O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Es bleibt steril

DIE WALKÜRE
(Richard Wagner)

Besuch am
16. Oktober 2022
(Premiere am 3. Oktober 2022)

 

Staatsoper Unter den Linden, Berlin

Konsequent verweigert Regisseur Dmitri Tcherniakov alle Allusionen und Illusionen an konventionelle Requisite am zweiten Abend des neuen Ring der Nibelungen an der Staatsoper Unter den Linden.

Wie schon im Rheingold, befinden wir uns im E.S.C.H.E Forschungszentrum – im Wissenschaftlichen Zentrum für menschliche Entwicklung. Während der Ouvertüre wird ein kurzes Nachrichtenvideo gezeigt – ein Sträfling ist aus einer Justizanstalt entflohen; Merkmal – eine weiße Haarsträhne. Wie sie übrigens auch Wotan hat.
Dann befinden wir uns im Chefbüro des Zentrums mit großem Schreibtisch, wo Wotan dank Einwegfenster in die Wohnung von Hunding und Sieglinde als Voyeur die weitere Handlung verfolgen kann.

Diese Wohnung ist, stilgerecht zum sterilen, angedeuteten Konzept von Tcherniakov, der auch für das Bühnenbild verantwortlich ist, mit nur weißen Holzrahmen ausgestattet, die Räume lediglich andeuten. Die sind aber bis ins kleinste Detail ausgestattet – mit Eisschrank und Spüle, Handtuch und Glas, ehelichem Bett mit weißen Kissen und Leselampe. Sieglinde bietet Siegmund ein Glas Wasser aus dem Kühlschrank, setzt sich zu ihm auf das Sofa, und so kommen sie sich im Plauderton ganz entspannt näher.

Zwar gibt es keinen Wonnemond, keine Romantik, keine Esche, nur kaltes Neonlicht, aber diese Elemente fehlen auch nicht, solange man sich darauf einlässt, dass man sich die Requisite dazu denken muss oder es Hirngespinste des Komponisten sind. Man muss sich auf die Deutungsweise einlassen und akzeptieren, dann braucht man sich nicht zu ärgern und kann sich auf die fein ausgearbeiteten psychologischen Deutungen der Sänger einlassen. Tcherniakov hat Götter wie auch normale Sterbliche demystifiziert, sie zu spießigen Bürgern gemacht, die ihrem jeweiligen Alltag nachgehen.

Hunding, hervorragend von Mika Kares vorgetragen, ist Polizist oder Sicherheitsbeamter, will zuhause seine Ruhe haben und behandelt Sieglinde wie ein hübsches Spielzeug, erwartet von ihr totale Hingabe und Erfüllung seiner Wünsche. Vida Miknevičiūtė ist diese Sieglinde, schlank und sehr zierlich mit einem durchdringenden Sopran, der einen feinen Tremolo hat, der sie noch zerbrechlicher wirken lässt. Siegmund wird von Robert Watson interpretiert, dessen Stimme wenig Strahlkraft hat, aber schauspielerisch die Unsicherheit seiner Identität gut verkörpert. Erst als er das Schwert Nothung aus der Wand zieht, festigt sich seine Darstellung. Mit Sieglinde flieht er dann in den Keller des Zentrums, vorbei an den Käfigen mit den lebendigen Kaninchen, wo die beiden dann bange kauern und auf ihr Schicksal harren.

Die darstellerischen Fähigkeiten der Protagonisten verdichten sich im zweiten Akt, der wiederum im Chefbüro stattfindet:  Michael Volles Wotan und Claudia Mahnkes Fricka setzten sich als nur allzu menschliches Paar auseinander. Wotans Niederlage gegenüber Fricka ist fast schmerzlich physisch spürbar.

Ein halbrunder, mit Holz getäfelter Hörsaal ist der Ort für den dritten Akt. Der berühmte Walkürenritt ist als schwesterlicher Begrüßungssong für die in Jogginganzügen gekleideten Schwestern nachempfunden. Hierher bringt Brünnhilde die völlig verunsicherte Sieglinde. Wunderbar stimmlich tatkräftig, klar und verständlich, gestaltet Anja Kampe ihre Rolle. Hier entlädt sich dann auch Wotans Zorn auf Brünnhildes Ungehorsam, und hier findet dann auch die sehr berührende Abschieds- und Lebewohlszene zwischen Wotan und seiner Lieblingstochter Brünnhilde statt. Insbesondere die allerletzte Szene, von Thomas Guggeis und der Staatskapelle mit höchster Empathie begleitet, gestaltet Tcherniakov genial: Wotan bleibt im Hörsaal, der in die Ferne rückt, während Brünnhilde, mit ihrem Rucksack an der Rampe steht, ihm nachsieht und sich langsam dem Publikum und dem Menschsein zuwendet.

Wie auch schon im Rheingold, führt Thomas Guggeis die Staatskapelle mit sicherer und empfindsamer Hand, nie die Sänger überdeckend, mit einem außerordentlichen Gespür für den dramatischen Duktus der Musik. Zurecht wird er wie auch die Sänger am Ende mit Ovationen gefeiert.

Zenaida des Aubris