Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
Für jeden von uns bedeutet Glück etwas anderes – für den einen ist es, geliebt zu werden, zu wissen, dass es einem geliebten Menschen gut geht, vielleicht sogar ganz profan, Geld zu haben oder das Gefühl Gerechtigkeit zu erfahren. Die gesamte Palette – und mehr – hat Giacomo Puccini in seinem 1918 uraufgeführten Triptychon Il Trittico zusammengeführt. Jetzt haben die Regisseurin Pinar Karabulut und der Dirigent John Fiore eine Neuproduktion an der Deutschen Oper Berlin herausgebracht: Knallbunt, überdreht, skurril, abstrakt, aber auch einfühlsam, sensibel und echt komisch. Eine gelungene Mischung aus Komödie, Tragödie und Parodie.
Die Stücke Il Tabarro, Suor Angelica, und Gianni Schicchi sind als Einheit konzipiert, stehen aber jeweils für sich allein, da sie in Genre, Stimmung und Stil sehr unterschiedlich sind. Karabulut und ihre Bühnenbildnerin Michaela Flück bauen eine abstrakte Welt mit effektiver Nutzung der Drehbühne, die mal ein Ufer der Seine, eine Wohngemeinschaft in den Bergen oder ein mondänes Schlafzimmer hervorzaubert. Dazu kommen die bunten und sehr einfallsreichen Kostüme und Perücken von Theresa Vergho und das atmosphärische Lichtdesign von Carsten Rüger. Insgesamt ergibt sich eine surreale, farbige Welt, die – obwohl so unterschiedliche Geschichten erzählt werden – eine gewisse Einheit ergeben. Das Leben in all seinen Facetten.
Il Tabarro ist ein düsteres Stück, das die tragische Geschichte von unerfüllter Liebe, Eifersucht und Verrat erzählt. Michele, der Schiffer auf der Seine, nahe Paris, und seine Frau Giorgetta sind entfremdet. Während Michele nostalgisch an ihre frühere Leidenschaft denkt, hat Giorgetta eine Affäre mit Luigi, einem der Arbeiter. Beide Männer lieben Giorgetta, aber während Luigi leidenschaftlich und ungestüm ist, ist Michele still und nachdenklich. Nachdem Michele von der Affäre erfährt, konfrontiert er Luigi und ersticht ihn. Michele nimmt Giorgetta schützend unter seinen großen Mantel – den tabarro. Als Andeutung an das nächste Stück, lässt Karabulut Suor Angelica hervortreten, die den toten Luigi umarmt, in einem Pietà-ähnlichen Bild als Vorbote ihres eigenen Schicksals. Bariton Misha Kiria ist der ruhige, besonnene Michele. Dagegen tritt Jonathan Tetelmann’s Luigi mit leidenschaftlichem, durchdringendem Tenor auf. Die Giorgetta von Sopran Carmen Giannattasio wankt zwischen ihrer drögen Realität und einem erhofften mit Liebe erfühlten Leben mit Luigi.
Im zweiten Stück, Suor Angelica, ist eine junge Frau aus noblem Hause nach der Geburt ihres unehelichen Sohnes ins Kloster verbannt. Den Sohn sieht sie nie wieder. Bei Karabalut lebt sie nun in einer eher weltlichen, abgeschiedenen Gemeinde, wo zwar über Buße-tun konstant gesungen wird, aber es doch ziemlich fröhlich zugeht. Kein Kreuz in Sicht, sondern Kopfputz mit Mondsichel, die eher an Schinkels berühmte Königin der Nacht erinnert und auch als Symbol der Rache gilt. Immerhin scheinen einige der anderen Nonnen wegen des gleichen Vergehens wie Angelica hier zu leben, verlustieren sich aber mit Späßchen und Gartenarbeit. Endlich erhält Angelica Besuch von ihrer Tante, einer Fürstin, die aber nur Vermögensverhältnisse regeln will. Mezzosopran Violetta Urmana gibt eine beeindruckende Figur, eiskalt, den Konventionen der Gesellschaft absolut gehorchend. Auf Suor Angelicas konstantes Drängen erzählt sie endlich, dass der Sohn gestorben ist. Verzweifelt entschließt sich Angelica, das Leben zu nehmen, und bereitet in einem Ritual ein Gift vor. Nach dessen Einnahme bereut sie es aber sofort und betet um Erlösung. In dieser herzzerreißenden Schlussszene entfaltet Mané Galoyan ihre bewundernswerte Gabe, den schmalen Grat zwischen Kitsch und Würde zu gehen, ohne larmoyant zu wirken.
Foto © Eike Walkenhorst
Nach der Pause dann Stimmungswechsel: Puccini hat die Anekdote des Gianni Schicchi beim Lesen der Göttlichen Komödie von Dante gefunden: Nach dem Tod des reichen Buoso Donati entdeckt seine Familie, dass er sein gesamtes Vermögen einem Kloster vermacht hat. Die Familie beauftragt den Parvenü Gianni Schicchi, ihnen zu helfen, ein neues Testament aufzusetzen. Schicchi warnt sie jedoch, dass die Strafe für solch einen Betrug der Verlust der Hand und die Verbannung ist. Trotzdem drängt die Familie, diesen Plan umzusetzen. Schicchi, in seiner Klugheit, vererbt sich selbst den Großteil des Vermögens und endet mit einem humorvollen Epilog, in dem er das Publikum um Vergebung für seine Schandtat bittet. Der Schicchi war eine Paraderolle für viele Baritone – Tito Gobbi, Giuseppe Taddei, Leo Nucci – sie alle haben ihren Spaß mit ihm gehabt. Hier ist es Misha Kiria, der den lebenslistigen Schicchi überlebensgroß gestaltet. Seine Tochter, Lauretta, ist von Mané Galoyan als verliebtes und verzogenes Püppchen dargestellt – und singt hinreißend die sehr bekannte Arie Oh mio Babino caro. Ihr Angebeteter, Rinuccio, wird von Andrei Danilov, mit frischem und strahlendem Tenor dargestellt. Deutlich Spaß an der Rolle der alternden und raffgierigen Zita hat Annika Schlicht.
Pinar Karabulut lässt ihrer Fantasie in dieser Parodie auf die Heuchelei der Menschheit freien Lauf. Die gesamte buckelige Verwandtschaft des Toten ist einzeln charakterisiert – ein Kompliment an Perückenmacher und Maskenabteilung! Neidgrünes Make-up, der rote Kopf der Empörung, alle sind typisiert – und erinnern stark an eine Interpretation des Regisseurs Herbert Fritsch. Nur Lauretta und Rinuccio geben sich als normale, echte Liebende.
Bei der personenstarken Besetzung der Opern ist besonders die Leistung der Sopranistin Mané Galoyan hervorzuheben, die mit ihrer schauspielerischen und Gesangsleistung als verzweifelte Suor Angelica und als lebenslustige Lauretta zurecht tobenden Applaus erhält. Ebenso auch ist die Leistung von Mezzosopran Annika Schlicht zu werten, die als Schiffsarbeiterfrau La Frugola in Tabarro, Suora Zealtrice in Suor Angelica und als Zita in Gianni Schichi so grundsätzlich unterschiedliche Rollen voller Leidenschaft und Authentizität gibt. Auch Bariton Misha Kiria beweist seine stimmliche und schauspielerische Wandlungsfähigkeit vom trägen Michele in Il tabarro bis zum lebensfreudigen Gianni Schicchi.
Dirigent John Fiore, der kurzfristig für den erkrankten Donald Runnicles eingesprungen ist, gelingt es, die von Puccini so fein auskomponierten atmosphärischen Details und die psychologischen Tiefen der Charaktere hervorzuheben. Nie lässt er das Orchester die Sänger übertönen, breitet einen nuancierten Klangteppich unter ihnen aus. Dieses Stück ist ein nachdrückliches Beispiel für Puccinis meisterhafte Fähigkeit, Musik und Drama zu verschmelzen. Besonders für die Sterbeszene von Suor Angelica ist der Einklang mit der Sängerin in ihrer transzendentalen Verzweiflung und Hoffnung auf Erlösung eindringlich erhaben.
Am Ende des über dreistündigen Abends besteht der Eindruck, drei ganz unterschiedliche Werke erlebt zu haben. Il trittico ist ein prägnantes Beispiel für Puccinis Vielseitigkeit als Komponist. Jede der Opern stellt unterschiedliche emotionale und musikalische Herausforderungen dar, die das Publikum in ganz verschiedene emotionale Welten der menschlichen Erfahrung entführen. Das haben Karabulut und Fiore an diesem mit langem und lautem Applaus gekrönten Abend bewiesen.
Zenaida des Aubris