O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Traum und Trauma

TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)

Gesehen am
8. April 2020
(Stream)

 

Staatsoper Berlin

Nach dem Tannhäuser zeigte die Berliner Staatsoper im Stream mit der Aufführung von Tristan und Isolde die zweite Wagner-Oper hintereinander, deren Inszenierung von 2018 noch kontroverser zu diskutieren ist als die vier Jahre ältere Version des Sängerkrieges. Mit Dmitri Tcherniakov hat die Staatsoper Berlin zudem einen Regisseur verpflichtet, der dafür bekannt ist, den Opernstoff psychoanalytisch zu hinterfragen. Tcherniakov, der den Tristan bereits am Mariinsky-Theater in St. Petersburg inszeniert hat, zeigt das Werk als eine Psychostudie wie aus einem Experimentallabor, in der alle Gefühle Produkte oberflächlicher Handlungen oder konsumierter Drogen zu sein scheinen und das Unterbewusstsein manipulierbar ist. Siegmund Freud lässt grüßen, nur dass der noch ein Knabe war, als Richard Wagner seine „Handlung in drei Aufzügen“ fertigstellte, inspiriert von der Philosophie Schopenhauers. Der Komponist adaptierte das mittelalterliche Tristan-Epos und schuf eine Musik, die die übermächtigen Emotionen und Gedankenströme der Hauptpersonen weit mehr in den Vordergrund rückt als jede andere Oper zuvor. In extremer Konzentration auf das Innerste der kaum noch handelnden Akteure verhalf er seiner beinah sinfonisch anmutenden Musik zu größter Entfaltung und Selbstständigkeit. Durch den strikten Verzicht auf formale Zäsuren schuf Wagner eine hocherotische Musik, eine „unendliche Melodie“ voll glühender Spannungen sowie die stetig wachsende, alles verzehrende Sehnsucht nach Erlösung.

Musikalisch gelingt das an diesem Abend mit nur ganz wenigen Abstrichen, doch die Handlung auf der Bühne lässt auch den eingefleischten Wagnerianer verzweifeln oder macht ihn ratlos, man schwankt irgendwie zwischen völliger Ablehnung und faszinierter Anteilnahme. Kurz vor Ende des langsamen, getragenen Vorspiels öffnet sich der Vorhang und man befindet sich in einem feudalen Salon eines hochtechnisierten Luxusliners, verkleidet mit edlem Furnier bis unter die abgehängte Decke, die Eleganz der einschwingenden Wände signalisiert dezente Macht. Die Globalisierung hat auf der Bühne Einzug gehalten. Über einen großen TV-Screen werden aktuelle Wetter- und Wasserdaten übermittelt. Mittels Fernbedienung kann von der Außenkamera auf verschiedene Bereiche des Schiffes umgeschaltet werden.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Zu Beginn sitzt da eine fröhliche, elegant-lässig gekleidete Männergesellschaft, die bei Schampus und Whisky debattiert. Der Alkohol verleiht ihnen eine Beschwingtheit, die zu Beginn dieses Dramas normalerweise nicht zu spüren ist. Der junge Seemann, der optisch dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz verblüffend ähnlich sieht, eröffnet den Reigen. Isolde betritt im eleganten Look den Salon, ihr folgt lässig gekleidet Brangäne. Während die Männer schnell die Szene verlassen, zappt Brangäne durch die Bordkameras und erklärt Isolde die momentane Position. Man sieht Tristan über den Monitor (Kamera 7) grinsen. Nun erscheinen auch Kurwenal und Tristan, und statt einer dramatischen Auseinandersetzung entwickelt sich hier zu Beginn mehr ein legerer Talk. Es wird nicht die einzige Stelle bleiben, an der die Musik und der Gesang diametral zur Handlung auf der Bühne ausgerichtet sind. Isolde genehmigt sich erstmal einen tiefen Schluck Wodka. Der Alkohol und seine Folgen sind in dieser Inszenierung omnipräsent und reduziert daher die Droge „Liebestrank“ lediglich auf eine andere Substanz. Als schließlich der Liebestrank seine fatale Wirkung entfaltet, bekommen Isolde und Tristan einen Lachanfall nach dem nächsten, und man hat das Gefühl, szenisch in einer Champagner-Operette von Johann Strauss zu sein und nicht in einem Psycho-Melodrama von Richard Wagner. Am Schluss des ersten Aufzuges erscheint König Marke wie ein schwergewichtiger Oligarch samt Bodyguards in dem Schiffssalon und setzt sich entspannt an den Tisch, Tristan macht es sich ihm gegenüber bequem. Das Entsetzen der Erkenntnis über den falschen Trank fehlt völlig an dieser Stelle und führt die Situation ad absurdum.

Der zweite Akt spielt in einem als Empfangssalon ausgestatteten Raum, mit schwerem Interieur, wuchtigem Teppich, schwerem Fischgrätenparkett und Holzintarsien. Die feine Gesellschaft, die sich hier versammelt hat und sich mit Alkohol auf die bevorstehende Jagd vorbereitet, spielt mit ihren Gewehren und verschwindet dann, um Isolde, jetzt in einem edlen grünen Kleid gewandet, und Brangäne, im blauen Rock und weißen Blazer, die Szenerie zu überlassen. Isolde hat wieder getrunken, amüsiert sich köstlich über Brangänes Bedenken bezüglich eines möglichen Verrats von Tristans trautem Freund Melot. Die Beleuchtung wird kurz ausgeschaltet, das Zeichen für Tristan. Die dann folgende Liebesszene entwickelt sich zu einer der seltsamsten und unverständlichsten in der Inszenierungsgeschichte des Werks. Ein aufgedrehter Tristan im Smoking grinst um die Ecke, stürzt gleich darauf mit Champagner und Käse-Häppchen in den Salon und feiert ausgelassen Wiedersehen mit seiner schon angeheiterten Geliebten. Dann sitzen sich beide stumm im Sessel gegenüber.

Und beim großen Liebesduett O sink hernieder Nacht der Liebe … beginnt Tristan in Freudscher Manier seine Isolde zu hypnotisieren. Tristan scheint die innerlich leere Isolde in der niedersinkenden Liebesnacht ohne jede Berührung nur durch Hypnose auf sich beziehungsweise auf das Sterben-Wollen einzuschwören. Während Brangänes Wachtruf wird auf dem Gazevorhang, der im Übrigen die gesamte Vorstellung vor der Bühne herabgelassen ist und die Szenerie wie durch einen Weichzeichner zeigt, ein Video von Tieni Burkhalter eingespielt, dass die Gesichter der beiden im Großformat zeigt und dann Tristans blutende Stirnwunde, über die sanft Isoldes Finger streichen. Es ist eine verstörende Imagination, die das widerspiegelt, was in der gemeinsamen Vergangenheit der beiden Charaktere passierte, nämlich als Tristan in der Figur des Tantris Hilfe bei Isolde suchte und fand. Im Finale des Liebesduetts So starben wir um ungetrennt … hat Tristan ein Heft in der Hand, aus dem er anscheinend seine Worte abliest. Sind es seine eigenen Aufzeichnungen oder doch Schopenhauers philosophische Erkenntnisse? Man weiß es nicht. Am Schluss ist die feine Gesellschaft im Nachbarsalon am Tisch versammelt, König Marke hat Tristan den Rücken zugekehrt und scheint Melot für sein Denunziantentum zu tadeln. Ja, es scheint sogar, als verteidige er Tristans Verhalten. Während dieser scheinbar unbeteiligt an einer Wand lehnt, versteckt sich Brangäne hinter den Rücken der mittlerweile aufgestanden Männer. Tristan provoziert Melot, und der rammt ihm aber kein Schwert oder Messer zwischen die Rippen, sondern würgt ihn fast zu Tode, was für den dritten Aufzug natürlich wesentlich ist, denn Tristan erleidet keine äußere, blutende und nicht heilende Wunde.

Im dritten Akt verwandelt sich die Szene in ein heruntergekommenes Gutshaus. Man assoziiert alte russische Filme, Provinz, verarmter Kleinadel, existenzielle Tristesse. Zwei Stühle, ein gusseiserner Kamin, ein Büffet. Hinten eine abgetrennte Schlafkammer mit Vorhang. An den Wänden eine alte Tapete mit Burgmotiven. Auf einem alten weißen Sofa liegt Tristan. Regisseur Tcherniakov hat auch das Bühnenbild gestaltet, die Kostüme hat Elena Zaytseva entworfen. Kurwenal, in Camouflage-Hose und olivgrüner Lederjacke kümmert sich rührend um den siechen Tristan. Auf dem Bett sitzt ein Musiker als Hirte und spielt sehnsüchtig wunderbar das Englisch-Horn – ein großes Kompliment an Florian Hanspach-Torkildsen für die musikalische und szenische Darbietung. Als Kurwenal auf Tristans drängende Frage nach Isolden antwortet: „Noch ist kein Schiff zu sehen …“ und das Englisch-Horn wieder schwermütig einsetzt, wird ein Video eingeblendet, das den jungen Tristan mit seinen Eltern zeigt. Und ab diesem Moment driftet die Inszenierung in banale Küchenpsychologie ab. Tristan sehnt sich nach dem Sterben, und er denkt an seinen Vater, der schon vor seiner Geburt starb, und an seine Mutter, die während seiner Geburt starb. Dieses Trauma hat Richard Wagner ja auch im Siegfried und im Parsifal verarbeitet, und es trägt teilweise autobiografische Züge, denn Wagners Vater starb nur wenige Monate nach Richards Geburt. Tcherniakov holt nun Tristans Eltern auf die Bühne.

Die Mutter ist schwanger, der Vater kommt von der Arbeit heim und wird von der Frau umsorgt wie in einem kitschigen Werbefilm für Kaffee der 50-er Jahre, während Tristan sich in seinen Fieberwahn immer weiter hineinsteigert und nach dem Tode sehnt „Sehnen! Sehnen!“ Die Eltern legen sich auf das Bett, die Mutter zieht den Vorhang zu. Als Tristan bei seinem Ausbruch „Verflucht sei furchtbarer Trank!“ den Vorhang wieder aufreißt, sind seine Eltern verschwunden. Diese Art der Darstellung ist weder nachvollziehbares Regietheater noch tiefenpsychologisch fundiert, es wirkt einfach nur abstrus und lächerlich. Wenn schon der Bezug zu den Eltern, dann hätte man es mit der Videoeinspielung belassen können, aber das ist wieder die Art Schlaumeier-Regisseur: Seht her, ich habe den Tristan verstanden und ihr nicht. Zu guter Letzt muss Tristan, bevor er stirbt und Isolde ihn ein letztes Mal anlächelt und streichelt, wie ein Irrer herumtoben. Schon der Part O diese Sonne … ist nach über vier Stunden fast mörderisch zu singen, dass man dann noch körperliche Hochleistung verbringen soll, das können eigentlich nur Regisseure fordern, die wenig Ahnung von der Physiologie des Singens haben.

Andreas Schager als Tristan verfügt aber über so eine starke Kondition, dass er beides auf unglaubliche Art verkörpert, chapeau! Nach der Sterbe-Szene scheint Tcherniakov nicht mehr viel eingefallen zu sein, und es wird hektisch auf der Bühne. Als Markes Mannen nahen, verrammelt Kurwenal die Tür mit dem Sofa, natürlich vergebens. Das Licht erlöscht, für einen Moment ist es dunkel auf der Bühne und die folgende Auseinandersetzung kann man nur erahnen. Als das Licht wieder angeht und Marke die Szene betreten hat, liegt der tote Tristan auf dem Bauch, Kurwenal windet sich vor Schmerzen am Boden und Isolde schmiegt sich am Boden an den toten Geliebten. Dann tragen Markes Männer den toten Tristan auf das Bett und setzen ihn halb hin, eine entwürdigende Position für einen Toten. Als Isolde ihren zärtlichen Schlussgesang Mild und leise, wie er lächelt … beendet hat, tritt sie zu Tristan ans Bett.  Zum Sterben? Zur Totenwache? Wir wissen es nicht. Sie stellt einen Wecker zu seinen toten Füßen, zieht den Vorhang zu, und dann erlischt auch das Licht auf der Bühne. Zurück bleibt ein teilweise begeistertes, aber auch teilweise ratloses Publikum.

Musikalisch und sängerisch ist der Tristan allerdings auf höchstem Niveau. Andreas Schager darf als einer der führenden Wagnertenöre dieser Zeit bezeichnet werden, seine Interpretation und Darstellung des Tristan speziell in dieser Inszenierung gebietet den höchsten Respekt. Sein klarer Tenor ist kraftvoll in der Mittellage, ausdrucksstark in den Höhen und strahlkräftig in den dramatischen Ausbrüchen. Er schafft es ohne Mühen, mit seiner kraftvollen Stimme über das Forte des Orchesters zu kommen, ohne dass die stimmliche Präsenz darunter leidet. Seine dramatische Ausdruckskraft und seine physische Bühnenpräsenz in dieser Partie sind beeindruckend, gleiches gilt für seine Textverständlichkeit. Anja Kampe legt die Isolde manchmal zu hochdramatisch an, speziell im ersten Aufzug geraten ihre Wutausbrüche etwas schrill. Sie überzeugt vor allem mit ihrer wunderbaren weiten Mittellage, wo sie schöne Farbkontraste erzeugt, und wenn sie ins Piano geht. Ihren Liebestod am Schluss gestaltet sie zu einer elegischen Darbietung des Strömens und Versinkens, mit einer weltenumarmenden Gestik. Ekaterina Gubanova weiß in der Rolle der Brangäne mit einer warmen Mittellage und strahlenden Höhen zu begeistern, ihr Wachtruf im zweiten Aufzug ist voller Anteilnahme und von Mitgefühl geprägt. Boaz Daniel gibt den Kurwenal mit volltönendem Bariton und großer Ausdrucksstärke. Stephen Milling als König Marke beeindruckt mit seinem markanten und ausdrucksstarken schwarzen Bass. Sein Marke ist voller Trauer und Verzweiflung, sowohl über den Verrat Tristans, aber auch über den Verlust der beiden Menschen, die ihm am meisten bedeuten. Die Rolle des Melot ist mit Stephan Rügamer gut besetzt, und der junge Linard Vrielink lässt sowohl als Hirte als auch als junger Seemann mit schönem Tenor und großer Textverständlichkeit aufhorchen, und Adam Kutny fügt sich als Steuermann harmonisch ein.  Die Herren des Staatsopernchors sind von Raymond Hughes gut eingestimmt.

Die Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Daniel Barenboim musiziert mit einem insgesamt langsamen und breiten Tempo. Fast 20 Minuten länger ist die reine Spielzeit als bei seiner CD-Einspielung ein Vierteljahrhundert zuvor. Berührend sind die symphonischen Elemente wie das Vorspiel zum ersten Aufzug, das filigran und zerbrechlich aus dem Graben ertönt, sowie der Beginn des dritten Aufzuges mit dem schon erwähnten Englischhorn-Solo. Der berühmte dissonante Tristan-Akkord weckt die Hoffnung auf eine verströmende Tonsprache, die so charakteristisch für dieses Werk ist. Barenboim beherrscht die Kunst, Stimmung und Farben zu erzeugen und die Bögen fließen zu lassen. Eine insgesamt überragende Leistung der Berliner Staatskapelle. Leider ist durch den permanent vorhandenen Gazevorhang das Videobild bei den Nahaufnahmen undeutlich, und es bleibt mal wieder ein fader Beigeschmack, da Inszenierung und musikalische Darbietung nicht im Einklang stehen.

Andreas H. Hölscher