Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
SAUL
(Georg Friedrich Händel)
Besuch am
10. Juni 2023
(Premiere am 27. Mai 2023)
Es ist eine echte Dernière – die letzte Vorstellung der Saison und die letzte Vorstellung im Haus an der Behrenstrasse vor dem großen Um- und Erweiterungsbau der gesamten Anlage. Fünf Jahre soll der Umbau dauern – also bis zur Saison 2028/29. Ob es so sein wird? Als Co-Intendant Philip Bröking das auf der Bühne ankündigt, lacht das Publikum herzlich – man kennt die Verhältnisse in Berlin nur zu gut.
Als letzte Vorstellung ist das drei-aktige Oratorium Saul von Georg Friedrich Händel, uraufgeführt 1739, angesetzt, das vor weniger als einem Monat Premiere hatte. Obwohl ein Oratorium, wird es von Axel Ranisch voll szenisch inszeniert, unter der musikalischen Leitung von David Bates. Keine leichte Kost – weder zu inszenieren noch für das Publikum zu verkraften. Und doch wird es ein großer Erfolg.
Saul basiert auf der dramatischen Geschichte aus dem Alten Testament von König Saul und seinem Nachfolger, David. Nach dem Sieg über die Philister kehrt David zurück. Die Frauen von Israel loben ihn für seinen Triumph über den Riesen Goliath, was König Sauls Eifersucht weckt. Sauls Tochter Michal verliebt sich in David und warnt ihn vor Sauls mörderischen Absichten. Saul aber bietet David die Hand seiner älteren Tochter Merab als Belohnung an, in der Hoffnung, dass er im Kampf sterben wird, aber Merab weist David zurück. Saul plant weiterhin, David zu töten, doch seine Pläne werden ständig durchbrochen. David und Michal gestehen ihre Liebe zueinander, und Saul entdeckt, dass sie heimlich geheiratet haben. Er befiehlt seinem Sohn Jonathan, David zu töten, aber Jonathan ist ein enger Freund Davids und warnt ihn stattdessen. Saul versucht, David mit seinem Speer zu töten, aber David entkommt und flieht. Nach einem Treffen mit der Hexe von Endor, die die Erscheinung des verstorbenen Propheten Samuel beschwört, geht Saul in die Schlacht gegen die Philister und wird besiegt. Saul und sein Sohn Jonathan werden getötet, David wird zum König gekrönt. Das Libretto von Charles Jennens zeigt die Abwärtsentwicklung von König Saul, hervorgerufen durch Eifersucht und seinen Unwillen, Gottes Willen zu akzeptieren. Gleichzeitig wird die aufsteigende Größe von David hervorgehoben, der trotz vieler Hindernisse seinen Glauben und seine Integrität behält.
Ranisch und sein Bühnenbildner Falko Herold entscheiden sich für eine Mischung aus Hyperrealismus und Banalität – einerseits der überlebensgroße, abgeschlagene Kopf von Goliath, der zusehends in einer Videosequenz verrottet, anderseits findet die Handlung in unserer heutigen Zeit statt, dank der Kostüme von Alfred Mayerhofer, und bekommt damit eine hoch brisante Aktualität.
Foto © Barbara Braun
König Saul, dargestellt von Bass Luca Tittoto, ist kein starker Mann, der souverän über sein Reich regiert. Zwar tritt er in prächtiger Robe auf, ist aber von Eifersucht zerfressen, hält sich nicht an Gottesweisungen und bezahlt sein Ungehorsam letztendlich mit seinem Leben. Dagegen ist David, von Countertenor Aryeh Nussbaum Cohen gesungen, von Anfang an ein Sympathieträger, der die Rolle mit großer musikalischer und dramatischer Sensibilität porträtiert. Die Kinder von Saul, Merab, Michal und Jonathan haben jeweils ihre eigene Persönlichkeit: Merab, von Sopran Penny Sofroniadou dargestellt, besticht durch ihre imperative Klarheit; Michal, von David geliebt, wird von Sopran Nadja Mchantaf mit großer Hingabe und und Ausdruck gesungen; Sauls Sohn Jonathan, zum Morden von David vom Vater angestochen, erweist sich als treuester Freund und stirbt, um David zu verteidigen. Er wird überzeugend von Tenor Rupert Charlesworth dargestellt. Ebenfalls nennenswert ist die Leistung von Tenor Ivan Turšić als manipulierende Hexe von Endor.
Der Chor, unter der Leitung von David Cavelius, ist ein starker Bestandteil des Oratoriums. Immer und immer wieder ergreifen die Damen und Herren des Chores Klage, flehen Saul an, zur Vernunft zu kommen, jubeln David zu, bis zum letzten erlösenden Jubelchor. Ranisch und Bates fügen dem Werk ein anderes Ende zu – David, alleine auf der Bühne, stimmt das Lied King David von Herbert Howells aus dem Jahr 1923 an – über die Traurigkeit, und wie eine Nachtigall ihm Trost gibt. Ein wunderschönes, leises Ende, wunderbar von Aryeh Nussbaum Cohen gesungen.
Dirigent David Bates hat sich dem barocken Klang verschrieben und eben diese Farben holt er aus dem Orchester der Komischen Oper heraus. Insgesamt eine eindrucksvolle Leistung, die auch von dem Publikum wärmstens gewürdigt wird.
Aber der letzte Abend ist noch lange nicht vorbei. Das Publikum wird eingeladen zu verweilen, ein Glas Wein oder zwei zu trinken, das Tanzbein zu Discoklängen zu schwingen und zu grooven, sich maskiert und in verrückten Perücken fotografieren zu lassen und generell die Atmosphäre der Komischen Oper zu genießen, mit vielen Pralinen des Berliner Chocolatiers Sawade obendrauf. Wer dann noch Lust hat, auf der Bühne zu schlafen, der kann das auf einem Feldbettlager tun – nach vorheriger Anmeldung. Das ist für den Kinderchor, der auf der Hauptbühne übernachten darf, ein besonderes Vergnügen.
Zenaida des Aubris