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DIE SACHE MAKROPULOS
(Leoš Janáček)
Besuch am
13. Februar 2022
(Premiere)
Die Opernsängerin ist 337 Jahre alt. Sie wurde als Tochter des Arztes Rudolf II. in Prag 1585 geboren. Nachdem der Kaiser ein Elixier für ewiges Leben bei seinem Hofarzt Makrupulos in Auftrag gegeben hatte, traute er sich nicht, es selbst zu nehmen. Stattdessen musste es die Tochter des Arztes, Elina, trinken. Sie überlebt und gibt sich immer neue Namen, alle mit den Initialen E. M. In der Oper trägt sie den Namen Emilia Marty. Aber sie muss mit dem alten Mittel „geboostert“ werden. So schaltet sich die Diva in einen mittlerweile Jahrzehnte andauernden, absurden Erbstreit bei einer Prager Kanzlei ein, um die alte Zauberformel wieder zu erlangen. Das gelingt ihr tatsächlich. Als sie das Geheimnis in Händen hält, ist ihr Lebensüberdruss durch die Jahrhunderte derart gewachsen, dass sie die Formel vernichtet und auch sie ihrem natürlichen Lebensende entgegen gehen kann.
Karel Čapek schrieb die Komödie mit surrealen Momenten 1922, Leoš Janáček hat auf dieser Grundlage seinen eigenen Text kreiert. Die Oper wurde am 18. Dezember 1926 im Nationaltheater Brünn uraufgeführt. Die Berliner Erstaufführung fand erst spät, am 18. April 1978 als Gastspiel des Nationaltheaters Bratislava in der Komischen Oper statt. Die Premiere an der Staatsoper ist die erste Produktion an diesem Hause.
Dirigent Simon Rattle bekennt, dass es sich um eine unglaublich schwere Partitur handelt, der man sich mit dem Orchester nur verantwortungsvoll nähern kann, wenn man seinen gemeinsamen Humor nicht verliert und im Erarbeitungsprozess immer wieder herzlich lachen kann. Und genau das hat ganz bestimmt auch Claus Guth dem gesamten Team versprochen. Denn es gelingt auf wunderbare Weise, eine Erzählung aus der Sicht der ewigen Operndiva, über ihre Enttäuschungen, ihren Überdruss an den Menschen und am Leben, ihre Verzweiflung und schließlich ihres Wunsches nach einem natürlichen Ende zu zeigen, ohne in schwarze Melancholie zu verfallen. Auch der Ansatz, eine alternde Operndiva mit ihren exaltierten Eigenarten ganz in den Vordergrund zu stellen, wird vermieden.
Stattdessen erleben wir eine gereifte Frau, die das Geschehen um sich herum immer unverständlicher, sinnloser und absurder empfindet. Die Szene wird zunehmend mit surrealen Elementen angereichert, wenn das Personal in der Anwaltskanzlei um die Akten tanzt, oder sich andere schwebend-clowneske Bilder einstellen. Da fällt schon fast gar nicht mehr auf, wie absurd sich die Auseinandersetzungen im Erbstreit entwickeln, wie auch das Erscheinen mehrerer Madama Butterflys im Theater. Auch vergangene oder aktuelle sexuelle Abenteurer passen sich in diese Atmosphäre ein. Die szenische Entfaltung folgt den für die tschechische Tradition so typischen Zwischenwelten als Gratwanderung zwischen Realität und Surrealität, wie man sie aus den Erzählungen von Pan Tau oder bei Herrn Broucek kennt.
Gleichwohl wird das Kernthema des menschlichen Wunsches nach ewigem Leben mit Ernsthaftigkeit und ohne Klamauk berührt. Zwischen den Akten der Oper begibt sich die Diva in eine Art Laborraum, die grandiose Bühne stammt von Étienne Pluss, in dem sie erschöpft ihre Kleider für die Fortsetzung des Lebensspiels wechselt. Für die Kostüme ist Ursula Kudrna verantwortlich. Die Szene strahlt eisige Kälte aus. Es erklingt gefühlt eine Ewigkeit ein intensives Geräusch wie die künstliche Beatmung an einer Herz-Lungen-Maschine. So mag sich die junge Arzttochter in ihrem ersten Koma nach der Einnahme des Elixiers gefühlt haben, abgeschnitten vom Leben für die Ewigkeit. Auch wenn sie medizinisch-physisch weiterlebt, bleibt sie dem Missbrauch durch Vater und Kaiser ausgesetzt. Äußerlich bleibt sie sehr erfolgreich, ganz zu schweigen von ihrer mittlerweile kalt-berechnenden Beherrschung der Männer in ihrem Umfeld.
Foto © Monika Rittershaus
Marlis Petersen ist die berühmte Diva und desillusioniert-erfahrene Frau im Zentrum des Strudels. Petersen meistert die äußerst schwierige Partie stimmlich makellos auf scheinbar mühelose Weise. Ihre Darstellung fußt einerseits auf einer gar nicht divenhaften, eher mit allen, auch bitteren Erfahrungen geprägten Frau, die vollkommen geerdet erscheint. Und doch wird immer deutlicher, dass sie den desillusionierenden, immer absurder erscheinenden Momenten in ihrem Leben nicht entkommt, sich alle weiteren Erwartungen an das Leben und sich selbst bis zur Selbstaufgabe weiter auflösen.
Dem widerspricht die emotional lustvolle Begegnung mit dem mehr als skurrilen Stutzer Hauk-Sendorf von Jan Ježek in keiner Weise. Auch die erpresste Affäre mit dem Machtmenschen Jaroslav Prus – überzeugend verkörpert von Bo Skovhus – die in einer für Prus erschütternd kalten Liebesnacht mit Marty endet. Schließlich scheint sich die Sängerin in ihrer grenzenlosen Identifikation mit der Rolle nachgerade aufzulösen und zunehmend dem Tod entgegenzugehen.
Aus dem großartigen weiteren Ensemble sei zumindest noch die stimmlich und darstellerisch mitreißende Charakterstudie des immer verzweifelter und irrewerdenden Anwalts Dr. Kolenatýv von Jan Martinik hervorgehoben.
Für Simon Rattle ist das Werk Janáčeks eine Herzensangelegenheit. Seine vorangegangenen Produktionen an der Staatsoper von Jenufa 2021 und Katja Kabanova 2014 sowie Aus einem Totenhaus 2011 belegen das schon seit Jahren in bewundernswerter Form.
Für Rattle ist Die Sache Makropulos in gewisser Hinsicht das modernste Werk des Komponisten. Die Staatskapelle Berlin spielt durchsichtig, brillant und vollzieht nachgerade physisch-sprechend die originelle Musiksprache Janáčeks nach. Das Orchester wird nicht nur der besonderen tschechischen Sprach-Deklamatorik der Komposition gerecht, vielmehr entsteht ein differenziertes und feinsinniges Geflecht von einfühlsam gesponnenen, handlungsorientierten Klangbildern, die jede potenzielle Sprödigkeit aufgrund der umfänglichen Text-Struktur vermeidet und in ganz andere, umfassendere Klangwelten führt.
Ein großer Erfolg der Staatsoper mit viel Beifall und bravi für alle Beteiligten.
Achim Dombrowski