O-Ton

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Einsam zusammen

ROBINSON
(Oscar Strasnoy)

Besuch am
25. Februar 2023
(Premiere)

 

Staatsoper Unter den Linden, Berlin

Was können wir von einem Abenteuerklassiker, 1719 von Daniel Defoe geschrieben, heute noch lernen? Sehr viel, wie uns der Komponist Oscar Strasnoy mit Texten von Sigrid Behrens zeigt.  Das Auftragswerk der Staatsoper Unter den Linden birgt viele Überraschungen, die für einen kurzweiligen Abend sorgen.  Allein die Untertitelung des Werkes Kammeroper für selbstspielende Klaviere, Automaten und sieben Inseln macht neugierig.

Vielleicht sollte man Robinson eher eine operatische Installation nennen:  Immerhin gibt es – mindestens in dieser ersten Inszenierung von Anna Bergmann – gar keine Bühne.  Das Werk wird im Alten Orchesterprobesaal der Staatsoper aufgeführt. Bühnenbildner Lugh Amber Wittig dreht den Spieß um: Das Publikum sitzt in konzentrischen Kreisen auf einer Drehbühne und diese dreht sich – mal nach rechts, mal nach links – und gibt unterschiedliche Perspektiven frei. Das Publikum kann hautnah an den einzelnen Schicksalen der Protagonisten teilnehmen.

Strasnoy und Behrens nehmen die Geschichte von Dafoe – der schiffsbrüchige Robinson überlebt auf einer einsamen Insel – um die Themen der Isolation und Entfremdung, die wir ja alle in den letzten zwei Jahren durch die Pandemie persönlich erlebt haben, und verwendet diesen paradoxen Zustand, in dem die Einsamkeit das zu sein scheint, was uns am meisten verbindet.

Das etwa 90-minütige Werk ist in neun Abschnitte unterteilt: Die sieben Tage der Woche, die den Rhythmus des Lebens für Robinson auf seiner Insel bestimmen, plus einem Prolog und einem Epilog. Robinson ist nicht allein – zumindest ist seine Persönlichkeit in sechs weitere Persönlichkeiten aufgeteilt, die auf anderen Inseln im Raum agieren. So sind die Jugend, das Alter, die Zukunft, der Ausderweltfgefallene, die Abweichung und die Vermittlung andere Identitäten, die dann doch durch das verbindende Meer zu einer Persönlichkeit zusammengeführt werden. Diese Figuren sind nicht Robinsons Untergebene, sondern ihm ebenbürtig und ebenfalls auf ihren eigenen Inseln gefangen.  Interessant wird es, wenn die Vermittlung die isolierenden Vorhänge von den einzelnen Podesten reißt und die Insassen die Außenwelt wahrnehmen. Es geht um Kommunikation und Gemeinschaft, auch wenn sich die Akteure dann doch wieder auf ihre Inseln zurückziehen.

Schon von Anfang an sind die einzelnen Charaktere durch die Musik ideell miteinander verwoben. Es existiert kein Orchester, die Musik erklingt von zwei selbstspielenden Klavieren und einer Unzahl vermeintlich an die Insel angeschwemmter Alltagsobjekte, die zu musikmachenden Instrumenten umfunktioniert werden.  Sie ertönen allesamt von alleine, fein aufeinander digital abgestimmt von Edgardo Rudnitzky. So entsteht auch eine Stimmung von Eingeschlossensein und Zusammengehörigkeit, die von Dirigent Markus Syperek mittig mit den Sängern auf der Drehbühne koordiniert wird.

Bass Stephan Klemm verkörpert einen Falstaffschen Robinson – genussvoll räkelt er sich in seiner Badewanne und scheint seine Einsamkeit zu genießen. Einfühlsam erklingen seine Phrasen, von Verzweiflung keine Spur. Die Rolle der Zukunft, die für einen Koloratursopran geschrieben ist, wird mit einer erstaunlichen stimmlichen Beweglichkeit von Regina Koncz gesungen. Mezzosopran Fredrika Brillembourg verkörpert mit angepasstem, gefühlvollem Timbre das Alter als eine alternde Diva, die gänzlich in der Vergangenheit lebt. Ihr gegenüber ist die Jugend, von Tenor Johannes Wieners als Computerspieler mit Kopfhörer und Joystick ebenfalls nur in seiner abgeschiedenen Online-Welt lebend. Tenor Johan Krogius ist ein Ausderweltgefallener, der nur noch unter einem Müllsack bei Kerzenschein sein Dasein fristet. Bariton Carles Pachon ist als Abweichung ein androgynes Wesen, das sich auf seinem Trimmrad nur um sich selbst kümmert. Friederike Harmsen ist die Vermittlung, die sich frei bewegt und als Stewardess um alle kümmert.

In den unterschiedlichen Figuren von Robinson können wir uns selbst erkennen. Es obliegt jedem, ob er sich mit der Jugend, dem Alter, dem Ausderweltgefallenen oder den anderen Charakteren identifiziert. Dieses kurzweilige Werk gibt viele Einsichten. In dem Pendeln zwischen sich selbst und den anderen findet das kreative Team um Oscar Strasnoy, Sigrid Behrens und Anna Bergmann das ideale musikalische Vehikel für eine Meditation über die Einsamkeit in unserer Zeit.

Zenaida des Aubris