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Aktuelle Aufführungen

Gebet im Führerbunker

RIENZI
(Richard Wagner)

Gesehen am
4. April 2021
(Premiere am 24. Juni 2010/Stream)

 

Deutsche Oper Berlin

Es ist schon fast ein Reflex. Wenn irgendein Regisseur meint, Wagner inszenieren zu müssen, erfolgt oft eine nicht immer reflektierte Auseinandersetzung mit dem Thema „Adolf Hitler und der Faschismus“. Das gilt seit Jahrzehnten für die Meistersinger von Nürnberg, aber das selten gespielte Frühwerk Rienzi, der letzte der Tribunen scheint ohne diese Thematik gar nicht zu inszenieren zu sein. Zu Ostern hat nun die Deutsche Oper Berlin ausgerechnet Philipp Stölzls radikal um die Hälfte gekürzte und umstrittene Inszenierung des Werkes aus dem Jahr 2010 als Video on demand angeboten. In der Originalfassung ist das Werk Richard Wagners eine „große tragische Oper“ in fünf Akten mit sechzehn Nummern und dauert ungekürzt knapp fünf Stunden ohne Pause. Sie wurde am 20. Oktober 1842 am Königlichen Hoftheater Dresden uraufgeführt. Auch das Libretto, nach der gleichnamigen Novelle von Edward Bulwer-Lytton, stammt wie bei allen Opern Wagners vom Komponisten. Die Oper handelt in freien Zügen vom Leben des spätmittelalterlichen römischen Staatsmanns und Volkstribuns Cola di Rienzo. Die Dresdner Uraufführung brachte dem 29-jährigen Leipziger Richard Wagner 1842 den ersten großen öffentlichen Erfolg. Zu seiner Lebzeit viel gespielt, hat er die „große tragische Oper“, deren Musik und Handlung noch überwiegend in der Tradition der „Grand Opéra“ Giacomo Meyerbeers steht, später selbst zur Jugendsünde erklärt, und das Werk hat es bis heute nicht in den Bayreuther Kanon geschafft. Rienzi sei Giacomo Meyerbeers „beste Oper“, spottete sogar einst der Dirigent Hans von Bülow, der immerhin Wagners Tristan und die Meistersinger zur Uraufführung gebracht hat. Dass der Rienzi vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch selten den Weg ins Repertoire gefunden hat, ist allerdings nicht nur der Distanzierung Wagners sowie dem allgemeinen Vorwurf der musikalischen Nachahmung, sondern in entschiedenem Maße auch der Wirkung der Oper geschuldet, die gerade in der Zeit des Nationalsozialismus für Propagandazwecke instrumentalisiert und missbraucht wurde. Entsprechend groß sind Erwartungshaltung an neue Inszenierungen oder Wiederaufnahmen im Kontext zur düsteren Rezeptionsgeschichte des Werkes.

Philipp Stölzl und Christian Baier haben für die Deutsche Oper Berlin den Rienzi auf zwei Akte und eine Nettospielzeit von zweieinhalb Stunden verkürzt, also das Werk mal eben um die Hälfte reduziert. Ob es legitim ist, bei dieser Fassung überhaupt noch vom Wagnerschen Werk sprechen zu wollen, sei dahingestellt. Was auffällt, ist die einseitige Kürzung, so dass fast ausschließlich die großen Chor- und Massenszenen erhalten bleiben. Das hat natürlich mit dem Inszenierungsansatz von Stölzl zu tun, der die Massenszenen in eine omnipräsente Wochenschaudarstellung in flackernden Schwarz-Weiß-Bildern mit Leni-Riefenstahl-Ästhetik auf eine Großleinwand bringt. Man darf nicht vergessen, Stölzl kommt vom Film, und die Kamera ist sein Lieblingswerkzeug. Dass man damit Opern spannend und hautnah inszenieren kann, hat er 2015 in Salzburg beim Gastspiel der Semperoper Dresden mit den beiden Kurzopern Cavalleria Rusticana und Pagliacci bewiesen. Doch mit dieser Inszenierung liegt Stölzl einfach daneben. Musikalisch bedeutet die Zusammenstreichung auch, dass viele Motive in den großen Chorszenen sich ständig wiederholen, was natürlich zu einem hohen Abnutzungseffekt führt. Lange Monologe, Duette, die etwas Ruhe in die aufgewühlte und dynamische Musik bringen, sind Fehlanzeige. Lediglich das Gebet des Rienzi als große Solo-Arie bleibt vom Kürzungswahn verschont.

Wenn man das Programmheft zur Inszenierung durchforstet, kommt man auf ein Kapitel mit der Überschrift Hitler bedient sich bei Wagner. Hier wird von seinem Initialerlebnis 1905 berichtet, als er in Linz eine Aufführung des Werkes sah. „Das Werk erhält früh einen festen Platz im Herzen nationalsozialistischer Propaganda und Mythenkonstruktion. Es dient als Parabel auf Hitlers politischen Aufstieg und legitimiert die Ausübung und Konstitution seiner Herrschaft. Seinem Freund August Kubizek schildert Hitler nach jenem Opernerlebnis ‚im Zustand völliger Entrückung‘ seine Eindrücke: ‚In großartigen, mitreißenden Bildern entwickelte er (Rienzi) mir die Zukunft des deutschen Volkes.‘ Die Linzer Rienzi-Aufführung deutete Hitler als Initialerlebnis. (‚In jener Stunde begann es.‘)“, heißt es im Programmheft.

Hitlers Identifikation mit der Titelfigur, die Wirkung der Musik bei Massenveranstaltungen und Aufmärschen, das ist das simplifizierte Drehbuch für Stölzls Opernfilm Rienzi auf der Bühne. Die inhaltliche Zusammenfassung des Skripts von Stölzl liest sich dann so: Rom wird beherrscht von den Partikularinteressen und Clan-Kämpfen verfeindeter Adelsfamilien. An der Spitze der Bürgerpartei kämpft der charismatische Idealist Rienzi für Freiheit und Gerechtigkeit, Größe und Frieden. Er genießt das Vertrauen der Kirche und des Volkes. Die Königswürde lehnt er zwar ab, übernimmt aber mit „großen Gedanken im Kopf und im Herzen“, so Richard Wagner, das Amt des Volkstribuns. Rom, das er liebt wie eine Braut, will er den inneren Frieden und seine einstige Größe zurückgeben. Unterstützt und eingesetzt von der Heiligen Kirche verspricht er, an der Seite eines gesetzgebenden Senats die Rechte des Volkes zu schützen. Doch der Adel hat sich dem neuen politischen System und seinem Vertreter nur zum Schein untergeordnet. Ein erster Attentatsversuch der Nobili scheitert, den Attentätern droht die Todesstrafe. Adriano, Sohn eines der Verschwörer und der Geliebte der Schwester Rienzis, gerät zwischen die Fronten. Er bittet Rienzi um Gnade für den Vater. Der wirbt schließlich beim Volk dafür, seine Entscheidung, die Attentäter am Leben zu lassen, mitzutragen und wendet so die Todesstrafe ab. Doch der Frieden hält nur kurz. Den Treueschwur, den Rienzi den begnadigten Nobili abverlangt, brechen sie und zetteln neue Unruhen an, die diesmal nur mit hohem Blutzoll auf beiden Seiten niedergeschlagen werden können. Die Loyalität des Volkes zu seinem Tribun bröckelt. Als Rienzi den Machtanspruch Roms über die Grenzen der Stadt hinaus ausweiten will, wendet sich die Kirche von ihm ab. Damit ist der Damm gebrochen, der Retter wird zum Sündenbock. Das Volk ruft zur Steinigung und Verbrennung ihres einstigen Hoffnungsträgers auf. Vor seinem Tod verflucht Rienzi Rom und droht, es mit sich in den Untergang zu reißen.

Somit ist die Handlung reduziert auf den Aufstieg und Fall des Volkstribunen Rienzi. Die parallele Handlung, die Liebesgeschichte zwischen Adriano und Irene, Rienzis Schwester, gerät hier zu einem unbedeutenden Nebenschauplatz. Auch die tiefenpsychologische Dreierbeziehung zwischen Rienzi, Irene und Adriano wird nicht beleuchtet. Stattdessen arbeitet Stölzl, der auch für den Bühnenaufbau verantwortlich ist, mit platten Effekten. Die blonde Irene im hellen Dirndl und Gretelkranz im Haar entspricht dem arischen Menschenbild des Nationalsozialismus und könnte auch eine Anspielung auf Eva Braun sein, während Adriano in schwarzer Uniform natürlich auch optisch den Kontrast zu den weißgekleideten uniformierten Gefolgsleuten Rienzis bildet.

Zur Ouvertüre erwartet den Zuschauer ein irgendwie bekanntes Bild. Ein großes Arbeitszimmer, mit Grammophon und großer Schreibtischlampe, mit einer Panoramaperspektive auf die schneebedeckten Berge, die als Schwarzweiß-Film eingeblendet sind. Aha, vermutlich sind wir auf dem Obersalzberg gelandet, und dieser dickliche Diktator namens Rienzi ist also in Wirklichkeit Hitler, oder doch Mussolini, denn immerhin spielt das Werk ja in Rom. Auf einem Stuhl sitzt der Diktator Rienzi, in weißer Uniform und dirigiert versonnen die Ouvertüre mit. Dann gerät der Diktator außer Rand und Band, er schlägt Räder, kugelt sich auf dem Tisch rum, um dann in einer Art Simulationsflug die Erdatmosphäre zu verlassen und den Erdball aus großer Entfernung durchs Fenster zu betrachten. Das ist nicht nur ein Zitat, sondern schon mächtig abgekupfert bei Charlie Chaplins Der Große Diktator und ein ziemlich starkes Intro. Gernot Frischling als turnsicheres Rienzi-Double macht da schon mal einen guten Job. Zumindest weiß man an dieser Stelle schon, worauf man sich in den kommenden zweieinhalb Stunden einlässt. Im ersten Bild ist es also Hitlers Berghof, natürlich mit Hirschgeweih und Bergblick, anschließend im zweiten Bild sollen es wohl Reichskanzlei und Führerbunker sein.

Die Großaufnahmen erinnern an einen filmischen Mix aus Fritz Langs Monumentalwerk Metropolis und der NS-konformen Kameraführung einer Leni Riefenstahl.  Die Szene nach der Ouvertüre ist der einzige Teil, der quasi in Farbe gezeigt wird. Man sieht im Hintergrund eine utopische Stadt, die Menschen tragen teilweise verzerrende Gesichtsmasken, und Rienzi erscheint im braunen Ledermantel als gutmütiger und friedensstiftender Volkstribun, Adriano trägt hier noch einen schwarzen Smoking. Doch schnell ändert sich das Bild, als die Menschen sich demaskieren und voller Ekstase ihrem Führer zujubeln. Die Frauen tragen jetzt uniform schwarze Kleider mit weißen Schürzen, auf ihrer Brust ein großes „R“ in einer Raute. Da hätte Stölzl auch direkt das Hakenkreuz nehmen können. Zu der großen Chorstelle Erschalle Feierklänge marschiert das Frauengeschwader vereint mit den schwarzgekleideten Soldaten im Gleichschritt auf der Stelle. Es werden also sämtliche Klischees der NS-Propaganda bedient. Führer Rienzi in Großaufnahme bei demagogischen Reden, beim Haare streicheln kleiner Kinder. Ein „Höhepunkt“ der Inszenierung, wenn man in diesem Zusammenhang den Begriff überhaupt verwenden sollte, ist Rienzis vermeintlicher Gnadenakt gegenüber den Adligen im zweiten Akt.  Während man vorne Zeuge wird, wie der Tribun mit den Aufsässigen noch in die stets präsente Propagandakamera lächelt, sieht man auf der Filmleinwand im Hintergrund, was wirklich geschieht. Die grade noch Begnadigten werden per Kopfschuss exekutiert. Die Szene wirkt beklemmend, weil sie so real dargestellt wird und weil hier die Szene auf der Bühne zur Live-Projektion in einem krassen Gegensatz steht. Und während der Chor in Ekstase ausbricht, entsteht das neue Rom.

Wie in einem Zeitensprung sieht man dann im zweiten Bild den wahnsinnig gewordenen Diktator in seinem Führerbunker, auf einem Gehstock gestützt, die Hände vom Parkinson geschüttelt. Auf der Großleinwand Panzer auf Bahnwaggons, Flugzeuge, die einen Luftangriff fliegen, es herrscht ein großes Schlachtengetümmel. Während auf der Oberbühne alles zerstört ist und die Szenerie in ein flammendes Rot getaucht ist, erscheint der Führerbunker in der Unterbühne in einem fahlen Ockergelb. Das Attentat von Adriano auf Rienzi scheitert, und die Szenerie hat etwas vom 20. Juli 1944 und dem vergeblichen Attentat von Stauffenberg auf Hitler. Sein großes Gebet Allmächt’ger Vater, blick herab singt Rienzi alleine in seinem Bunker, um dann mit den Modellbauten eines neuen Germania, wie es Albert Speer einst konzipierte, zu spielen, wie ein kleiner Junge mit Bauklötzen spielt. Am Schluss zertritt Adriano das Modell des Kapitols, während Rienzi vom Volk gemeuchelt wird und blutüberströmt zusammenbricht. Bei dieser Schlussszene verlässt Stölzl nochmal den Schwarzweiß-Modus und zeigt die Szene in Farbe.

Auch wenn man die Umsetzung der Videosequenzen durch Momme Hinrichs und Torge Møller handwerklich hervorheben muss, bleibt am Schluss nur ein fader Nachgeschmack. Opernregie ist keine Aneinanderreihung von Filmsequenzen, wo der Cutter beliebig nach den Vorgaben des Regisseurs schneidet und wieder zusammensetzt. Und eine sinnarme Kürzung einer Oper nur der Effekte willen ist ein Frevel. Wenn man mit dem Werk nichts anfangen kann, soll man es lieber lassen. Hier dem Regisseur den schwarzen Peter zuzuschieben, greift allerdings zu kurz, denn Mitautor Christian Baier gehörte zu diesem Zeitpunkt zur Intendanz der DOB. Mit Schwarzweiß-Denken und faschistischem Design allein ist es nicht getan, auch wenn das Bühnenbild von Ulrike Siegrist und Philipp Stölzl sowie die Kostüme von Kathi Maurer und Ursula Kudrna in diesem Setting sicher gut gepasst haben.

Dass die Aufführung dann doch noch irgendwie gerettet wird, ist vor allem der sängerischen Darbietung der Hauptprotagonisten geschuldet. Allen voran Torsten Kerl in der Titelrolle. Seine sängerische Darbietung des Rienzi zeigt, dass Kerl zum Zeitpunkt der Aufnahme zurecht einer der führenden Wagner-Tenöre seiner Zeit war. Er hat die charismatische Ausstrahlung eines Heldentenors, gepaart mit enormer Kraft und Ausdauer, und ein goldstrahlendes Timbre, dass die Höhen markant und mit Strahlkraft nimmt, und einer warmen Mittellage, ohne die Stimme künstlich abzudunkeln. Kerl schont sich zu keinem Zeitpunkt, gibt bei allen dramatischen Ausbrüchen Vollgas, um dann das große Gebet fast im Belcanto zu gestalten. Doch fehlt seiner Ausstrahlung, vor allem in den Großaufnahmen in den demagogischen Szenen, das dämonische, das verführerische Element eines Diktators wie Hitler oder Mussolini. Camilla Nylund als Rienzis Schwester Irene überzeugt mit leicht jugendlich-dramatischem Sopran und leuchtenden Höhen. Ihre innere Zerrissenheit zwischen der Liebe zu ihrem Bruder Rienzi und der Liebe zu Adriano moduliert sie mit großer Emphase. Kate Aldrich in der Hosenrolle des Adriano begeistert mit einer starken Bühnenpräsenz. Den inneren Konflikt ihrer Partie zwischen Liebe, Loyalität und Familienehre gestaltet sie klug modulierend mit großem Stimmspektrum. Ihr Mezzosopran ist warm und ausdrucksstark in der Mittellage, und kraftvoll ihre Höhen, die sie fast in Soprannähe katapultiert. Auch die kleineren Rollen gefallen an diesem Abend. Ante Jerkunica als Steffano Colonna und Krzysztof Szumanski in der Rolle des Paolo Orsini überzeugen mit markantem Bass und Bariton. Die kleinen Nebenrollen reihen sich ausnahmslos in ein hervorragendes Sängerensemble ein.

Chor und Extrachor der Deutschen Oper Berlin, bestens eingestimmt von William Spaulding, zeigen musikalisch große Chorszenen, voller Stimmharmonie und begeistern durch klaren Ausdruck und Intensität. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin überzeugt an diesem Abend durch eine beeindruckende Klangmalerei, aus der die Bläser dominant und sauber hervorstechen. Die Ouvertüre beginnt verhalten, fast unheilvoll, wird dann dramatisch kraftvoll und dynamisch, das Gebetmotiv des Rienzi ist stark betont. Sebastian Lang-Lessing leitet das Orchester der Deutschen Oper Berlin sicher durch die vielen Klippen der stark verkürzten Partitur. Er wechselt klug die Tempi, begleitet die Sänger mit viel Gefühl und lässt sich nicht dazu verleiten, der Emphase der Musik nachzugeben und die Sänger zu überdeckeln. Das Publikum in der Deutschen Oper Berlin ist sich in der Bewertung der musikalischen Darbietung einig. Begeisterung für Chor und Orchester sowie Beifallsstürme für Kate Aldrich, aber auch großer Jubel für Torsten Kerl und Camilla Nylund.

Als einziges Fazit bleibt, dass die Inszenierung dem Frühwerk Wagners in keinster Weise gerecht wird und es durch die starke Kürzung entstellt und nur einseitig darstellt. Wagners Werk lebt in erster Linie von seiner musikalischen und sängerischen Ausdruckskraft. Es bedarf keiner Pseudo-Regie, um auch dieses sicher etwas sperrige Frühwerk dem Publikum näher zu bringen.

Andreas H. Hölscher