O-Ton

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Goldloses Rheingold

DAS RHEINGOLD
(Richard Wagner)

Besuch am
15. Oktober 2022
(Premiere am 2. Oktober 2022)

 

Staatsoper Unter den Linden, Berlin

Das Zustandekommen dieses Rings hat schon eine Vorgeschichte: Die Produktion des gesamten Rings in einem Guss in einer Saison, sollte eigentlich ein Geburtstagsgeschenk der Staatsoper für ihren Generalmusikdirektor Daniel Barenboim sein. Dann musste Barenboim Ende August aus gesundheitlichen Gründen von seinem Dirigat der drei Ring-Zyklen zurücktreten. Christian Thielemann wurde für den ersten und den dritten Zyklus verpflichtet. Thomas Guggeis für den zweiten Zyklus.

Direkt nach dem ersten Zyklus gab es einen Aufschrei und großen Protest von der Tierrechtevereinigung Peta, weil lebende Tiere – 20 Hamster und 30 Kaninchen – im Rheingold und der Walküre als Requisite benutzt wurden. In Käfigen gehalten, auf der Bühne unter gleißendem Licht und der lauten Musik von Wagner ausgesetzt. Daraufhin hat die Staatsoper Berlin den Einsatz von den Hamstern gestrichen und jetzt werden nur noch 20 Kaninchen in den Käfigen gehalten. Immer noch zu viele, zumal die Tiere sich kaum bewegen und man sie – besonders wenn man im Orchester sitzt – nicht wahrnimmt.

Aber nun zum Konzept von Regisseur Dmitri Tcherniakov. Alle vier Opern finden in dem Forschungszentrum E.S.C.H.E. statt.  Dieses Acronym steht für Experimental Scientific Center for Human Evolution – Wissenschaftliches Zentrum für menschliche Entwicklung. Der Grundriss für dieses Forschungszentrum ist auch auf den gesamten eisernen Vorhang gedruckt – es ist eine durchaus große Anlage, die die Dimension dieses Zentrums und die menschlichen Experimente nur erahnen lassen können.

Das Bühnenbild, das Dmitri Tcherniakov ebenfalls verantwortet, ist ein komplexes und extrem aufwändiges Gefüge, bestehend aus drei Räumen, die sich horizontal verschieben lassen plus drei zusätzlicher vertikaler Ebenen – man nimmt den Lift ins Nibelheim, zum Beispiel. Wie es sich für ein wissenschaftliches Zentrum der späten 1960-er Jahre gehört, sind die Einrichtungen extrem schlicht und steril gehalten.  Hier gibt es Stress-Labore, Anatomiesäle, Räumlichkeiten für die lebenden Hamster und Kaninchen. Diese kalte Atmosphäre wird zusätzlich noch von dem vielen Neonröhrenlicht von Gleb Filshtinsky unterstützt. Lediglich die Chefräume – mit warmen Holztäfelungen – zeigen an, dass man hier über ein durchaus gut ausgestattetes Zentrum verfügt. An finanziellen Mitteln mangelt es nicht – das zeigen schon die Testapparaturen an, die in den Laboren verwendet werden. Tcherniakov streicht jegliche teutonische Romantik. Er bricht die Handlung auf ihre emotionalen Grundelemente herunter. Konsequent streicht er auch konventionelle Requisite – hier wird kein goldener Hort oder Tarnhelm gezeigt. Ein echter Ring wird zwar schon verwendet, aber der wird eher als Kostümrequisit behandelt.

Daraus ergibt sich, dass die Akteure andere Funktionen ausüben – Wotan ist der Leiter des Instituts der sich sehr freut, sein fesches neues Forschungszentrum zu beziehen. Die Rheintöchter sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in weißen Kitteln mit Klemmbrettchen, die Alberich umkreisen und seine Reaktionen brav notieren, da er mit allerlei Elektroden auf seiner Liege gefesselt ist. Andere Mitarbeiter stehen beobachtend mit unergründbarer Miene im Hintergrund.

Fricka ist Frau Direktorin Wotan mit bravem Kostüm und Queen-Handtasche, Freia im Audrey-Hepburn-Etuikleid von Givenchy. Loge im poppig-gelben Cordanzug. Die Kostüme von Elena Zaytseva künden von sorgfältiger Recherche der Ära.

Untersuchung menschlicher Verhaltensmodelle in einer Testgruppe prangt auf einem Banner zwischen den Stockwerken auf dem Weg hinunter nach Nibelheim. Man ahnt Schlimmes – trifft dann Alberich, der mit einem Gummiknüppel Mime und die Nibelungen terrorisiert. Allerdings reduziert Tcherniakov dann Alberichs Prahlerei mit dem Tarnhelm auf Halluzinationsniveau – als vermutliche Kröte wird er von zwei Sicherheitskräften in einer Sicherheitsjacke abgeführt. Die Bezahlung von Fasolt und Fafner erfolgt dann konsequenterweise auch nur mit der letzten symbolischen Übergabe des Rings. Der Höhepunkt des Einzugs der Götter in Walhalla ist ein billiger Trick von Froh, der aus einer Blume einen ganzen Regenbogen zaubert.

Wobei die Personenregie und -Deutung von Tcherniakov durchaus ausgearbeitet wird. Darin liegt seine Kunst – in der psychologischen Deutung und Darstellung der detailreichen zwischenmenschlichen Beziehungen. Hierfür ist es unerlässlich, dass er willige und verständnisvolle, erstklassige Interpreten zur Verfügung hat.

Allen voran Michael Volle als Wotan, der sowohl stimmlich wie darstellerisch einerseits als stolzer Forschungszentrumdirektor prahlt und anderseits einen verzweifelten Pater familias gibt und sichtlich von der zierlichen Fricka von Claudia Mahnke dominiert wird. Anett Fritsch gibt die Freia mit hellem und elegantem Sopran. Johannes Martin Kränzle ist ein sehr intensiver Alberich, der sich mit seinem ganzen Wesen und tragenden Bariton in die Rolle wirft. Stephan Rügamer leidet sichtlich unter ihm als Mime. Sowohl bei Kränzle wie auch Rügamer ist es der physische und psychische Ausdruck ihrer Rollen, die beeindrucken. Mika Kares als Fasolt und Peter Rose als Fafner sind die Grobiane, die sich in dem sterilen Umfeld des Zentrums nicht wohl füllen. Sie pochen auf bodenständige Bezahlung und verwirklichen dann auch gleich Alberichs Fluch. Lauri Vasar als Donner und Siyabonga Maqungo als Froh können zwar stimmlich gut mithalten, werden aber von Tcherniakov eher als Komparsen behandelt. Rolando Villazón feiert sein Debüt in einer Wagnerrolle als Loge und gibt dem Charakter einen reichlich komödiantischen Anstrich, ohne die dazugehörige stimmliche Leistung zu erfüllen. Anna Kissjudit gibt eine sehr bürgerliche Erda in hellblauem Kleid und mit getragener stimmlicher Würde. Bleiben die drei Rheintöchter zu nennen: Evelin Novak als Woglinde, die Wellgunde von Natalia Skrycka und Anna Lapkovskaja als Flosshilde werden fast als Drillinge ausgestattet, ähneln sich auch sehr in der – guten – Stimmführung.

Im Graben steht Thomas Guggeis, der den Großteil der Probenzeit mit dem Ensemble gearbeitet hat. Die Staatskapelle folgt seinem teilweise munteren Tempo mit Leichtigkeit und Spielfreude. Guggeis hat die Gabe, auch den enorm melancholischen und tragenden Passagen von Richard Wagner eine Positivität zu verleihen, die dem Dramatischen noch mehr Ausdruck gibt.

An diesem ersten Abend des Rings zeigt Tcherniakov, dass er die gesamte Wagnersche Mythologie und damit auch die nordische Sagenvorlage, aus der Wagner sich reich bedient hat, völlig ignoriert. Es gibt auch kein Anzeichen, dass Tcherniakov den Ring als Parabel für eine gesellschaftliche Endzeit auslegt.

Das Publikum dankt den Sängern und dem Dirigenten mit andauerndem Applaus.

Zenaida des Aubris