O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bernd Uhlig

Aktuelle Aufführungen

Apotheose der Unterwäsche

DAS RHEINGOLD
(Richard Wagner)

Besuch am
12. Juni 2021
(Premiere)

 

Deutsche Oper Berlin

Die Pandemie hat diesen neuen Ring von Stefan Herheim etwas aus der Reihe gebracht – im September vergangenen Jahres war die Premiere von Walküre, jetzt erst kommt das eigentlich erste Werk Das Rheingold. Bei Walküre hatte Herheim versprochen, man würde sein Konzept besser verstehen, wenn man Rheingold sieht. Und so ist es auch, wenngleich es bei der gleichen Aussage bleibt: Die zentrale Idee ist die eines Menschenkollektivs, das seine Heimat verloren hat, seine physischen und intellektuellen Habseligkeiten in einen Koffer steckt und losgeht, um eine bessere Welt zu finden. Richard Wagner selbst war ja auch ein Flüchtling, musste immer wieder entweder wegen seiner politischen Ansichten und Aktionen oder wegen seiner Gläubiger die Stadt oder gleich das Land wechseln.

Wo werden diese Flüchtlinge die bessere Welt finden? Vielleicht doch auf der vorerst vollkommen leergefegten Bühne der Deutschen Oper, auf der sie sich jetzt befinden. Die Saalbeleuchtung ist noch an, das Orchester stumm. Da steht ein Flügel. Einer aus der Gruppe geht auf ihn zu, öffnet die Tastatur und schlägt ein Es an. Das ist das Zeichen für Dirigent Donald Runnicles und das Orchester, mit dem Vorspiel zu beginnen, währenddessen die Menschenmasse sich auf der Bühne rhythmisch bewegt. Musik ist doch auch Heimat.  So ist es denn auch logisch, dass die Rheintöchter und Alberich sich aus dieser Menschenmasse herauspellen, und sich die Geschichte des Goldes im Rhein entwickelt.

Foto © Bernd Uhlig

Die Menschengruppe bleibt auf der Bühne und giert nach den wenig erotisch wirkenden Rheintöchtern, die durchaus ihren Spaß mit Alberich und mit anderen Herren haben. Es breitet sich eine orgiastische Stimmung aus, die dazu führt, dass sich alle ihrer schäbigen Kleidung entledigen um die noch schäbigere – aber saubere – Unterwäsche zum Vorschein kommt.

In der Zwischenzeit sind Donner, Froh und Wotan aus dem Flügel dazugestoßen und spielen eifrig mit. Wenn Alberich eine gold-glitzernde Trompete zum Gold des Rheins erklärt und einen Ring daraus zaubert, folgen sie ihm wie dem Hameler Rattenfänger. Der Ring hat magnetische Kräfte und lässt seine Opfer entweder zappeln oder erstarren, je nach Willen des Trägers.

In Niebelheim werden die Flüchtlinge ausgebeutet und Mime – im Wagner-Look – fertigt den Tarn- als Stahlhelm, den Alberich aufsetzt, um dann mit erhobener rechter Hand den Nibelungen zu befehlen, ebenso zu agieren.

So folgt ein Zitat oder Gag dem nächsten – Loge ist als Mefistofeles-ähnliche Witzfigur dargestellt; Freia hat zwei pralle goldene Äpfel als Brüste, sie legt sich in das Klavier und wird mit diversen, vermutlich den Flüchtlingen gestohlenen Gegenständen wie ein siebenarmigen Leuchter zugedeckt; die Riesen sind SpongeBob-Schwammkopf-Geschöpfe; Erda ist die allwissende Souffleuse, die mit der Partitur aus ihrem Kasten steigt und das Ende ankündigt; Wotan zaubert das Schwert aus dem Souffleurkasten und sticht es in den Flügel – damit ist der Bogen zur Walküre geschlagen, wo Siegmund Nothung aus dem Flügel zieht. Wotan steigt nicht mit den anderen nach Walhalla auf, sondern begibt sich – noch schnell sich seines Sakkos entledigend – in den Souffleurkasten zu Erda, während eine Riesenprojektion die Embryos von Siegmund und Sieglinde zeigt.

Zusammen mit den fantasiereichen Bühnenbildern von Stefan Herheim und Silke Bauer, der Lichtregie von Ulrich Niepel und den Videoprojektionen von Torge Møller ergibt sich eine wahre Fibel an Kreativität, was man alles mit einfachen kilometerlangen Stoffbahnen machen kann unter Anwendung von einfachen Prinzipien von Konkaven- und Konvexgeschnüren – es entstehen spitze Berge, furchterregende Höhlen, Regenbogenwege und schwangere Bäuche. Die Kostüme von Uta Heiseke sind in ihrer sachlichen Hässlichkeit kaum zu überbieten – aber das ist ja wohl auch ihr Mandat.

Die Sängerriege ist homogen in ihrer Leistung – alle überzeugen, keiner sticht groß heraus. Das soll durchaus positiv gesehen werden. Dem Wotan von Derek Walton fehlt allerdings Souveränitat sowohl in der Haltung wie in der Stimme, da ist die Fricka von Annika Schlicht schon tonangebender – sowohl vokal wie in ihrer Rolle als Göttergattin. Tenor Thomas Blondelle als Loge spielt voller Inbrunst den intriganten Drahtzieher.  Markus Brück tobt sich als Alberich-Joker-Zombie-Clown aus. Ya-Chung Huang ist ein verängstigter und doch durchtriebener Mime. Die Rheintöchter Valeriia Savinskaia, Irene Roberts und Karis Tucker formen ein flottes Trio. Jacquelyn Stucker ist eine anmutige Freia, die sich in ihren Peiniger Fasolt verliebt. Judit Kutasi ist etwas leicht als Erda besetzt, spielt aber ihre Rolle als allwissendes Muttchen der Nation vorzüglich. Donner und Froh – Thomas Lehmann und Matthew Newling – wie auch Fasolt und Fafner – Andrew Harris und Tobias Kehrer – erfüllen ihre Rollen mit musikalischer Geflissenheit.

Donald Runnicles gilt aus ausgewiesener Wagner-Dirigent, was er hier auch wieder unter Beweis stellt. Er nimmt sich Zeit, die Themen zu entwickeln und in ihrer Dramatik zu steigern. Dabei unterstützt ihn das gut aufgelegte Orchester. Besonders die Niebelheimschen Ambosse sind in klangfarbiger Geschmeidigkeit zu hören.

Der Erfolg ist im Applaus eindeutig zu vernehmen – darunter auch die Freude des Publikums, wieder live applaudieren zu dürfen – für die Solisten, Dirigent und Orchester. Für das kreative Team gab es vereinzelt Buhrufe, die aber im allgemeinen Jubel untergingen.

Zenaida des Aubris