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Seit 1996 arbeiten die Choreografin und Interpretin Toula Limnaios und der Komponist Ralf R. Ollertz zusammen. Gemeinsam haben sie unzählige Werke konzipiert und zur Realisierung gebracht, nicht nur in Berlin, sondern international.
Reading Tosca wurde von den Bregenzer Festpielen 2008 beauftragt. Eine neue Perspektive auf ein klassisches Werk des Opernrepertoires sollte realisiert werden. Die Compagnie Toula Limnaios nahm sich dieser Herausforderung an. Nun wird das Werk auch in Berlin gezeigt.
Ein Mitschnitt einer Aufführung der Tosca bei den Bregenzer Festspielen mit Nadja Michael in der Hauptrolle, Zoran Todorovich als Cavaradossi und Gidon Saks als Scarpia unter der Leitung von Ulf Schirmer wird als akustische Grundlage genutzt. Da die Spieldauer gerade mal durchgehende siebzig Minuten umfasst, ist klar, dass nur einige Szenen berücksichtigt werden. Auf der leeren Bühne wird also das Finale des ersten Aktes in der Kirche, die Arie Vissi d’arte und das Finale des dritten Aktes choreografiert. Allerdings wird die Tonunterlage derart durch elektronische Anlagen verfremdet, dass auch ein erfahrener Opernkenner sehr genau hinhören muss, um irgendwelche bekannten melodischen Fragmente daraus zu entnehmen. Nicht nur, dass der Soundtrack keinen Wiedererkennungswert hat, aber die Verfremdung hat alle Musikalität eines Giacomo Puccini regelrecht abgestreift und nur noch schrille Dissonanz und Lautstärke übriggelassen. Ralf R. Ollertz gelingt eine Klanglandschaft, die konstant im Strudel von Albträumen wühlt.
Foto © Antje Köhler
Die Tänzer sind in modernen, flimsigen Klamotten, anders kann man es nicht ausdrücken, kostümiert. Einzig für den dritten Akt gibt es ein rotes allumfassendes Kleid, das auch als ritualisierte brutale Blutlache oder vereinigendes Herz interpretiert werden kann.
Limnaios hat eine Choreografie für ihre Tänzer kreiert, die keine Sympathie für die Protagonisten zulässt. Die acht Tänzer, außer Scarpia, wechseln sich in den Hauptrollen ab. Das unabdingbare Schicksal von Cavarodossi und Tosca wird durchgezogen. Von romantischen Liebesbeziehungen keine Spur. Im Gegenteil, besonders die Tänzerinnen werden malträtiert – sie werden an den Haaren gezogen und regelrecht mit einem mobilen Nebelgerät so eingenebelt, als wären sie lästige Insekten, die es auszuräuchern gilt. Das Programmheft notiert: „Die konkreten Handlungsstränge der Figuren werden abstrahiert und auf eine zeitgenössische Ebene gespaltener Identitäten und Beziehungskonflikte transportiert. Die Figuren verfehlen sich, auch wenn sie sich ganz nah fühlen – immer sind sie mit der eigenen Fremde konfrontiert“. Hierfür sind fast akrobatische, eckige Abläufe kreiert, die entweder einzeln oder als Gruppe sehr exakt ausgeführt werden.
Allen Tänzern, insbesondere den vier Tänzerinnen, gebührt ein besonderes Lob: Die Genauigkeit der Ausführung der oft komplizierten Abläufe zeugt von einer besonders engen Teamarbeit.
Der Schlussapplaus gilt eher der tänzerischen Leistung als dem Werk.
Zenaida des Aubris