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DIE RACHE DER FLEDERMAUS
(Kai Tietje)
Besuch am
11. Februar 2023
(Premiere am 10. Februar 2023)
Im Englischen gibt es einen wunderbaren Begriff, den man nicht so richtig ins Deutsche übersetzen kann: wenn etwas camp ist, ist das so viel wie übertrieben, grotesk, klamaukhaft, ironisch, zum Augen-Rollen-komisch aber nicht immer zum Lachen, überdreht. Die Rache der Fledermaus ist camp.
Stefan Huber und Kai Tietje nehmen sich den Klassiker von Johann Strauss Sohn vor und erzählen die gleiche Geschichte, aber unterziehen sie einer nochmaligen heftigen, klamaukigen Übertreibung und machen es eben camp. Das hat weder die Geschichte noch die Musik nötig. Witziger oder relevanter wird es dadurch nicht. Aber warum nicht mal eine abgespeckte, zackige Version? Die Musiktheaterproduktion ist ein Gastspiel des Casinotheaters Winterthur, die zeigt, dass es nicht immer foie gras und Champagner sein muss.
Schon bei der Ouvertüre geht’s los – das gesamte vierzehnköpfige Ensemble singt die so bekannten Melodie a cappella in einem durchaus flotten Tempo, das dann durch das gesamte Stück gehalten wird. Manchmal wäre ein Innehalten angebracht, als Kontrast, um dann wieder Fahrt aufzunehmen. Regisseur Stefan Huber und Choreograf Danny Costello aber lassen nicht locker. Immer wieder ertönt der Ruf nach „nicht singen“ und am Ende auch noch das obligate „Singen ist gegen die Hausordnung“. Das gesamte Ensemble twirlt und quirlt über die Bühne, nicht nur im zweiten Akt bei der Party von Prinz Orlovsky.
Auf der leeren Bühne sind viele Stühle und Sessel – ausgesuchte Fundusstücke vielleicht – die hin und her geschoben werden, je nach musikalischer Laune und Situation. Da ist der rot-samtene Belle-Epoque-Sessel für Rosalinde, dort der überstülpte Art-Deco-Sessel als Schreibtisch für den Gefängnisdirektor Franke, alles sehr geckig, wofür Heike Seidler verantwortlich ist. Ebenso macht sie die Kostüme, und da zeigt sie auch einen witzigen, parodistischen Mischmasch an Stilen – von poppigen Mary-Quant-60-er über Pailletten und Fauxfell-besetzten Ärmeln bis hin zum 90-er-Jahre-Sportdress für Frosch. Nach dem Motto, alles drin alles dran. Irgendwie funktioniert der Schmelztiegel dann doch.
Foto © Michael Bigler
Huber feuert sein Ensemble an und holt jedes Quäntchen an Spielfreude aus ihnen raus. Da sind die Geschwister Pfister – schon oft auf der Bühne der Komischen Oper gefeiert – Tobias Brun als betrogener und betrügender Ehemann Gabriel von Eisenstein und seine Frau Rosalinde, von Christoph Marti in Drag gespielt und mit krächzendem Falsett gesungen. Beide bilden eine Achse, werfen sich die Bälle zu. Dazu kommen die Rollen von Franz Frickel als Gefängnisdirektor Frank und Max Gertsch als Notar Dr. Falke – solide Bürger, die sich in ihrer Biederkeit auch amüsieren können. Die Chanson- und Musicalsängerin Stephanie Dietrich mimt den Prinzen Orlofsky mit übertriebenem russischem Akzent und wenig Witz. Dafür ist Gabriela Ryffel mit pointierten Koloraturen und kapriziösen Wendungen ein äußerst gelungenes Stubenmädchen Adele, die eine wunderbare Gegenspielerin mit trockenem Humor in Nini Stadlmann als opportunistische Schwester Ida hat. Alen Hodzovic verkörpert mit schönem, tenoralem Timbre und gutem komischem Timing die Rolle des Sängers und ehemaligen Liebhabers Alfred. Und dann wäre noch Stefan Kurt – zuletzt an der Komischen Oper gefeiert als Zaza in La Cage aux Folles – der in dieser Produktion gleich drei Rollen hat: als Advokat Dr. Blind, den Ägypter Ali Bey und Frosch der Gefängniswärter. Eben als Frosch – eine beliebte Rolle für Schauspieler, die oft auch Bezug auf aktuelle gesellschaftliche und politische Geschehnisse kommentieren – macht sich Stefan Kurt die Rolle zu eigen mit gekonntem Sinn und Timing für seine Pointen.
Das Orchester ist reduziert auf fünf Musiker die rund 30 Instrumente spielen. Da ist das – in schickem Grün-Metallic-Frack – Trio der Zucchini Sistaz, der musikalische Leiter Kai Tietje und Falk Breitkreuz, der auch als Kellner fungiert. Auf einem Podium hinter der Bühne platziert, wirken die bekannten Straussschen Melodien erstmals befremdlich jazzig, aber bald swingt man mit und erwartet schon den nächsten Tusch und Akzent der Bongos, Singende Säge, Gitarre, Ukulele, Trillerpfeife, Jazztrompete, Maultrommel … aber keine Geigen.
Treu dem Namen der Institution – Komische Oper Berlin – wurden zwei Musicals hintereinander herausgebracht. Erst La Cage aux Folles in einer sehr üppigen Produktion, jetzt Die Rache der Fledermaus in einer minimalistischen Ausstattung. Die Frage kommt ganz natürlich – wie teilt man am besten ein Budget auf? Den Besucher freut beides, und hier wie dort werden die Produktionen wild gefeiert.
Zenaida des Aubris