O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Endzeitstimmung im Duett

QUARTETT
(Luca Francesconi)

Besuch am
8. Oktober 2020
(Premiere)

 

Staatsoper Berlin

Der Auftakt ist gewagt. Die Staatsoper Berlin, die die Spielzeit traditionell am Tag der Einheit mit Beethoven, Wagner oder, wie 2019, mit Nicolai festlich eröffnet, feiert das 30-jährige Jubiläum mit der Premiere des zeitgenössischen Zweipersonenstücks Quartett von Luca Francesconi. Angesichts der länger zurückliegenden Planung kann diese Entscheidung für die klein besetzte Oper nicht mit Corona erklärt werden. Grund könnte hingegen sein, dass sie auf der gleichnamigen Theatervorlage von Heiner Müller basiert – und der war bekanntlich einer der wichtigsten systemkritischen Autoren der DDR und der Wiedervereinigung gegenüber skeptisch.

Quartett geht ursprünglich auf den Briefroman Gefährliche Liebschaften von Choderlos des Laclos aus dem Jahr 1782 zurück, der das Intrigenspiel eines adligen, moralisch verderbten Paares beschreibt. Müller gibt dem Geschlechtermachtkampf einen zeitlichen Rahmen, der als Eckpunkte die Vorrevolution Ende des 18. Jahrhunderts und eine fiktive Dritte-Weltkriegs-Apokalypse vorsieht. Die Marquise de Merteuil und ihr ehemaliger Geliebter, der Vicomte de Valmont, liefern sich ein Beziehungsduell der dunkelsten Sorte, das letztendlich tödlich endet. Gegenseitige verbale Verletzungen, Beleidigungen, sexuelle Perversionen bis zur Selbstzerstörung sind ihre Waffen in einem grausamen Spiel, zu dem der stetige Wechsel der Rollen gehört und Gift das letzte Mittel ist.

Die Vertonung und textliche Einrichtung von Quartett durch den 1956 geborenen Italiener Luca Francesconi wurde 2011 an der Mailänder Scala uraufgeführt und danach europaweit nachgespielt. In Berlin wird sie nicht im originalen Englisch gegeben, sondern in einer eigens hergestellten deutschen Fassung. Die Komposition besteht aus Klangballungen, komplexen Tonfolgen und Geräuschen, die vom Orchester im Graben live gespielt werden. Hinzu kommen elektronische Passagen und Off-Chöre, die zusammen einen über den gesamten Zuschauerraum irritierenden Raumklang erzeugen. Der nahtlose Übergang der verschiedenen Musikebenen verlangt von Daniel Barenboim einiges an Koordination und Strukturierung, was der Dirigent in Verein mit seiner Staatskapelle absolut souverän meistert.

In dieser wenig greifbaren Musiksprache müssen sich die zwei Gesangsstimmen orientieren und dazu umfangreiche Texte verinnerlichen. Beides gelingt auf imponierende Weise dem eher verhaltenen Bariton Thomas Oliemans, der in die Rolle des Vicomtes schlüpft, und mehr noch Mojca Erdmann als Marquise, die die in extremen Lagen angesiedelte Partie kristallklar und mit scheinbarer Mühelosigkeit singt.

Die Sopranistin beherrscht die Bühne, was in der Interpretation der Regisseurin Barbara Wysocka begründet ist. In ihrer Sicht spielt sich das Geschehen nicht in der Realität ab, sondern es sind personifizierte Erinnerungen der Marquise, in deren Mittelpunkt die quälenden Begegnungen mit dem Vicomte stehen. Sie werden flankiert von stummen Auftritten eines Mädchen und einer Tänzerin, die Unschuld und Verführung symbolisieren.

Die Regisseurin beschwört in ihrer Inszenierung eine verdorbene Welt, die aus den Fugen geraten ist. Das Bühnenbild von Barbara Hanicka stellt eine offene, zeitweilig rotierende Halbkugel in meist düsteren Farben dar. Projektionen suggerieren Natur- und Klimakatastrophen und eine Atomexplosion als Horrorszenarium. Die Erde könnte es sein, ein Bunker oder ein Kopf. Einmal flattern schwarze Vögel wie in Hitchcocks Thriller vom Himmel und natürlich ist auch Corona präsent, wenn sich die Mitwirkenden Masken aufsetzen, in Anspielung auf eine Textpassage, in der von einem Virus die Rede ist.

Erbaulich ist das alles nicht, wenn auch nahe an der momentanen Wirklichkeit.

Dennoch gibt es nach der erstaunlich gut ausgelasteten Vorstellung viel Beifall für alle Musizierenden.

Karin Coper