O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Lachen und Weinen aus der Dunkelheit

PIERROT LUNAIRE
(Arnold Schönberg)

Besuch am
30. September 2020
(Premiere)

 

Komische Oper Berlin

Das Kulturleben in Berlin fängt an, Schwung zu nehmen. Als Auftakt für die Saison 2020/21 bringt die Komische Oper eine One-Woman-Show, die aus drei Monodramen besteht – erst zwei kurze Stücke von Thomas Beckett und dann der Pierrot Lunaire von Arnold Schönberg. Alles auf Deutsch, alles ohne Übertitel – heutzutage ganz ungewöhnlich. Darstellerin für diese drei sehr unterschiedlichen Charaktere ist die in Berlin geborene Schauspielerin und Sängerin Dagmar Manzel. Dem deutschen Publikum aus über 80 Filmen bekannt, ist Manzel gern gesehene Schauspielerin an der Komischen Oper, zuletzt als Hauptdarstellerin in der Operette Die Perlen der Cleopatra und davor in Ball im Savoy.

Barrie Kosky und Dagmar Manzel haben lange schon den Wunsch gehegt, diese Stücke zu inszenieren. Dass das Projekt zu diesem Zeitpunkt Corona-bedingt verwirklicht werden konnte, ist glücklicher Zufall, so Kosky in seiner Dankesrede auf der Bühne nach der pausenfreien Vorstellung. Nun hat Manzel die Gelegenheit, diese drei verschiedenen Rollen, drei grundverschiedene Persönlichkeiten, mit großer Differenzierung und Ausdruck zu verwirklichen.

Pierrot Lunaire ist ja kein abendfüllendes Stück, also wurden noch zwei Monodramen ohne Musik von Samuel Beckett vorangestellt – Nicht ich von 1972 und Rockaby von 1981.

Beckett schrieb in seinen Bühnenanweisungen für Nicht ich, dass nur der Mund sichtbar sein sollte. Es sollte keine Körperlichkeit bestehen. Bei Kosky ist die Bühne schwarz, ein einzelner Lichtstrahl fällt auf einen übergroßen Mund mit grellroten Lippen und strahlendweißen Zähnen. Dieser Mund spuckt den Monolog aus, ein kaum unterbrochener, atemloser Redefluss, dem dann doch eine gewisse Melodie der Sprache entnommen werden kann. Die Worte werden wiederholt, werden zerrissen, akzentuiert. Obwohl nur etwa 15 Minuten lang, sind es 15 Minuten der höchsten Konzentration für die Darstellerin. Der Text hat keinen narrativen Kontext – die Worte befassen sich mit einem inneren paranoiden Zustand, obwohl angeblich eine andere Person gemeint ist.

In Rockaby ist Manzel eine alte Frau, die einsam auf der großen, dunklen Bühne – auch hier nur mit einem Scheinwerfer beleuchtet – auf einem Schaukelstuhl sitzt und über ihr Leben, aber auch ihren hoffentlich bald kommenden Tod sinniert. Sie ist in ihrem besten schwarzen Kleid gekleidet und schaukelt unentwegt. Der Titel bezieht sich auf die Zusammenfügung der englischen Worte rock für schaukeln und lullaby für Wiegenlied, vergleichbar in etwa mit dem deutschen „Hoppe, hoppe Reiter“. Auch bei diesem Rockaby gibt es keine heile Welt, auch hier schreit das Kind, wenn es fällt. Auch diese alte Frau lacht und weint durchs Leben. Und wartet jetzt, schaukelnd, auf ihren Tod.

Als Pièce de resistance – dreimal sieben Gedichte aus dem Zyklus von Albert Girauds Pierrot Lunaire – wurde von Arnold Schönberg 1912 die Auftragskomposition für die Schauspielerin Albertine Zheme komponiert. Eine „durchaus talentierte Wienerin“, wie Alban Berg urteilte. Aus der ursprünglich angedachten Pianobegleitung für Sopran hat Schönberg ein kammermusikalisches Ensemble von fünf Musikern für Sprechstimme komponiert. Das hat Christoph Breidler hier zu einem homogenen Körper um die – für unsere heutigen Ohren – durchaus melodiösen und lyrischen Schönbergschen Klänge zusammengefügt. Kosky lässt Manzel als kleines Kind in blau-weißem Matrosenanzug mit einem vielgeliebten Teddybären auf einem übergroßen Kinderbett auftreten. Als Gegensatz zu diesem kindlichen Bild rezitiert Manzel die komplizierten Rhythmen mit ausdrucksstarken stimmlichen Klangfarben. Man muss aber schon sehr genau hinhören, um bei den Gedichten von Giraud eine Weiterentwicklung der frechen, oft melancholischen Figur des Pierrots oder darüber hinaus des traurigen Clowns zu finden.

Ein einfach anmutender und doch tiefsinniger Abend mit einer großartigen Darstellerin. Einhelliger Applaus für Manzel und Kosky sowie die Musiker.

Randbemerkung: Bei der Walküre-Vorstellung in der Deutschen Oper Berlin vor drei Tagen mussten alle Zuschauer eine Maske über den gesamten Abend, auch am Sitz, tragen. Im Gegensatz zur Aufführung an der Komischen Oper Berlin, da war expressis verbis per Durchsage keine Maskenpflicht am Sitz. Nach welchen Regeln wird hier gespielt?

Zenaida des Aubris