O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Heyde

Aktuelle Aufführungen

Das Kapitalmonster ist nicht zu stoppen

OPERA FOR SALE
(Yuval Halpern)

Besuch am
12. März 2020
(Uraufführung)

 

Neuköllner Oper, Berlin

Seit Anfang 2018 leitet das Recherchezentrum Correctiv zusammen mit der Berliner Tageszeitung Tagesspiegel ein groß angelegtes Rechercheprojekt gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern zu Eigentumsstrukturen im Immobilienmarkt.

Jetzt haben Felix Krakau und Yuval Halpern das 90-minütige Immobilien-Infotainment-Stück Opera for Sale daraus entwickelt. Nach dem Motto, man kann alles in Musik verwandeln, hat Krakau ein durchaus aktuelles und witziges Libretto geschrieben: Das Publikum besucht die Marketing-Präsentation der fiktiven Angel Dust Investment Immobilienfirma, die hohe Rendite verspricht. Lebensqualität oder gar Menschlichkeit haben hier keinen Platz. Es geht schlicht und ergreifend nur um Profit. Anhand der Recherchen von Correctiv sind viele äußerst undurchsichtige Verflechtungen von inländischen und – hauptsächlich – ausländischen Briefkastenfirmen in Ländern, die Steueroasen bieten, aufgedeckt worden. Leider sind in vielen Fällen die echten Drahtzieher bis dato noch nicht ermittelt worden oder konnten nicht dingfest gemacht werden. Verschleierung nennt man das. Solche Konstrukte helfen, Steuern zu vermeiden.  Auch Firmen die offiziell genannt werden können – zum Beispiel Deutsche Wohnen mit 111.500 Wohnungen oder Vonovia mit 41.943 Wohnungen, bei denen die Firma Black Rock der größte Anteilseigner ist – sind wenig transparent.

Yuval Halpern zeichnet für die musikalischen Kompositionen und Leitung verantwortlich: mit den beiden Musikern Omri Abramov und Doron Segal – an Keyboard respektive Synthesizer und Saxofon wie Blaswandler – zaubert er effektvolle Hintergrunddramatik. Mal agressiv, mal beruhigend, mal ironisch – es passt. Ansgar Prüwer stellt ein Baugerüst mit zwei Ebenen in das kleine Opernstudio, das passende Wohn-Trauma-Assoziationen erweckt. Jenny Theisen entwirft fantasiereiche, futuristisch blinkende Kostüme.

Kilian Ponert, Teresa Scherhag und Lou Strenger sind die drei Interpreten, die durch den Abend führen und alle Rollen spielen – ob Publikums-Anfeurer mit klischeehaften Marketingsprüchen, ein verzweifelter Mieter, der über 60 Prozent seines Einkommens für eine kleine Einzimmerwohnung aufbringen muss oder der Investor mit goldener Rolex, der nur auf den Profitpegel blickt.  Alle drei Akteure singen und sprechen mit inbrünstiger Überzeugung vergeblich, um das Kapitalmonster in Schach zu halten. Die satirereichen Schreckensszenarien – alle auf echten Aussagen basierend – rütteln das Publikum wach.

Zusätzlich zu einem großen Faltblatt, das als Programm dient, erhalten die Besucher das Büchlein mit dem Titel Wem gehört Berlin, herausgegeben von Correctiv und dem Tagesspiegel, mit vielen informativen Grafiken und Fakten. Ähnliche Recherchen gibt es für Hamburg, Düsseldorf, München, Augsburg, Würzburg, Heidenheim, Minden und Lüneburg.

Ein Abend voller Denkanstöße für das heutige Leben und Problematiken, die fast jeder Besucher an diesem Abend sicherlich schon irgendwann am eigenen Leibe erlebt hat.

Einhelliger Applaus für die Solisten und die Produktion. Es bleibt vorerst bei dieser einen ersten Vorstellung. Aufgrund der Corona-Virus-bedingten Theaterschließungen sind alle weiteren Aufführungen vorläufig abgesagt.

Zenaida des Aubris