O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jaro Suffner

Aktuelle Aufführungen

Ein Literaturklassiker für Kinder wird vertont

NILS HOLGERSSONS WUNDERSAME ABENTEUER
(Elena Kats-Chernin)

Besuch am
12. November 2023
(Uraufführung)

 

Komische Oper Berlin

Wer kennt sie nicht – Nils der Lausebub und Faulpelz, der von einem Wichtel als Strafe in einen kleinen Däumeling verwandelt wird und so die Welt aus einer anderen Perspektive sieht; Marten der Gänserich, der sich in das schöne Gansfräulein Daunenfein verliebt; Akka, die Leitgans der Wildgänse; Smirre, der Fuchs, der immer auf der Aussicht nach guter Beute ist … ein Klassiker, nicht nur für Kinder!

Jetzt wurde das 1902 von Selma Lagerlöf geschriebene Geografielehrbuch als Vorlage für die gleichnamige Oper genommen – damals war ihr Auftrag, den Kindern die Schönheit der schwedischen Natur nahe zu bringen. Und die Autorin beschloss, sie aus der Perspektive der Vögel zu beschreiben.

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Es ist schon die dritte Zusammenarbeit der Librettistin Susanne Felicitas Wolf und der Komponistin Elena Kats-Chernin im Auftrag der Komischen Oper, nach Schneewittchen und die 77 Zwerge und Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer, die die Tradition einer vollwertig ausgestatteten Oper für Kinder pro Saison fortführt. Die Musik von Kats-Chernin ist eine farbenfrohe, eklektische Mischung aus verschiedenen Einflüssen, darunter auch Jazz, Tango und schwedische folkloristische Motive – und doch bleibt es ganz ihre eigene musikalische Sprache. Gerade für ein Stück wie Nils Holgersson, der eine so Verbundenheit mit der Natur hat, zeichnen die Melodien von Kats-Chernin eine spielerische und rhythmisch lebendige Natur aus. Die Komponistin ist bekannt für ihre Fähigkeit, traditionelle und moderne musikalische Elemente miteinander zu verbinden, was ihren Kompositionen eine einzigartige und erkennbare Klangwelt verleiht. Zusammen mit dem deutschsprachigen Libretto entsteht eine zauberhafte Symbiose von Abenteuer und Emotionen, die gleichermaßen für Kinder und Erwachsene leicht zugänglich ist.

Ruth Brauer-Kvam – übrigens an der Komischen Oper in Chicago kürzlich als Hauptdarstellerin Velma Kelly aufgetreten – gibt mit dem Werk ihr Debüt als Regisseurin. In erster Linie hat sie alle Hände voll zu tun mit einer Schar an Kindern vom Kinderchor – bestens einstudiert von Dagmar Fiebich – wie auch den Mitgliedern des Vocalconsort-Chors, die alle sehr viel Spaß haben, Wildgänse, Ratten oder Moorhühner darzustellen. Unterstützt wird sie hier von der Choreografin Martina Borroni, die die Charaktere in die physikalischen Bewegungsabläufe der diversen Tiere einweist. Alfred Mayerhofer entwirft sehr fantasievolle Kostüme für alle Darsteller. Besonders gelungen sind die Wildgänse mit langen Fransen an den Ärmeln, orangefarbenen Stiefeln und Fliegerkappen, witzige Ratten in grauen Anzügen und wunderbaren realistischen Kopfmasken sowie die Moorhühner in einem umwerfend schönen Sumpf, entworfen von Bühnenbildner Alfred Peter, der auch ein hyperrealistisches Adlernest baut. Sehr atmosphärisch geraten die Video- und Lichteffekte von Johannes Scherfling und Michel Wilde mit vielen realistischen Nebelschwaden – immerhin sieht das Publikum es ja auch aus der Perspektive der fliegenden Gänse. Brauer-Kvam erzählt die Geschichte geradlinig – angefangen von „es war einmal ein kleiner Junge, der ungehorsam und faul war“ bis zu seiner Verwandlung in einen verantwortungsvollen und nachsichtigen jungen Mann, der ganz nebenbei, durch die vielen Abenteuer die er erlebt hat, Menschlichkeit, Respekt, das Miteinander leben und gegenseitige Respekt von Mensch und Natur verinnerlicht.

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Die Produktion ist akustisch verstärkt, was zur Verständlichkeit des Textes beiträgt. Da es keine Übertitel gibt – viele der anwesenden Kinder sind noch zu jung, um lesen zu können – ist die Verständlichkeit doppelt wichtig. Diesem Mandat kommt Tenor Caspar Krieger als Nils Holgersson voll nach. Mit seinem hellen, etwas metallenen Timbre ist er als Nils glaubwürdig und überzeugend. Tenor Ferdinand Keller gibt einen staksigen Gänserich Martin, dessen Treue niemals angezweifelt wird. Mit einem warmen, aber autoritären Mezzosopran ist Sylvia Rena Ziegler die umsichtige Leitwildgans Akka. Der feine Sopran von Alma Sadé gibt der schönen Gans Daunenfein besondere Eleganz und Feingefühl. Tenor Johannes Dunz verleiht dem Fuchs Smirre eine komische Verzweiflung – seine Racheversuche bleiben allesamt erfolglos.  Bass Philip Meierhöfer ist ein besonders imposanter Adler, der letztendlich auch ein gutes Herz zeigt.  Sopran Mirka Wagner erscheint in einer Doppelrolle als besorgte Mutter Karen Nilsson und extrovertierte Trollkönigin Lillemor und zeigt in beiden Fällen ihre besondere Begabung, Emotionen hervorzurufen.

Dirigentin Erina Yashima und das Orchester der Komischen Oper entfalten die vielen Farbnuancen und Melodien der Partitur. Auch im Graben merkt man, dass die Musiker viel Spielfreude haben. Yashima erweist ein großes Maß an Sängerfreundlichkeit und sorgt für homogene Tonqualität.

Begeisterter, anhaltender Applaus von Groß und Klein am Ende der Premiere. Jedes Kind erhält ein kleines Büchlein mit einer CD mit der Musik – eine schöne Geste, die zum Wiederhören animiert, was nicht nur Kinder gerne annehmen. Und die Komische Oper beweist erneut, dass sie den Spielstättenwechsel ins Schillertheater mühelos gemeistert hat – alle Vorstellungen von Nils Holgersson sind ausverkauft.

Zenaida des Aubris