O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Ungewöhnliche Konstellationen

LABOR BEETHOVEN 2020
(Diverse Komponisten)

Besuch am
12. März 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Akademie der Künste, Berlin, Hanseatenweg

1696 gegründet, gehört die Akademie der Künste in Berlin nach eigenen Angaben zu den ältesten europäischen Kulturinstituten. Mehr als 400 Künstler aus den Bereichen Bildende Kunst, Baukunst, Musik, Literatur, Darstellende Kunst, Film- und Medienkunst bilden das Rückgrat der Institution, die in Berlin an zwei Standorten vertreten ist. Mit ihrem Veranstaltungsprogramm stellt die Akademie „künstlerische Positionen der Gegenwart“ in der Öffentlichkeit vor. Dazu gehört auch Labor Beethoven 2020, ein Festival zeitgenössischer Musik zum Beethoven-Jubiläum, das das Experimentieren in den Mittelpunkt stellt. Hier sollten die Ergebnisse einer vierjährigen künstlerischen Zusammenarbeit junger Komponisten, Musiker und Künstler aus Basel, Tel Aviv und Thessaloniki musikalisch und interdisziplinär verdichtet werden.

Was in der Öffentlichkeit für Furore sorgen soll, ist bereits am Abend der Eröffnung Makulatur. Es ist der Abend, bevor in Deutschland der Kulturbetrieb eingestellt wird. In Berlin sperren die Akademiker die Öffentlichkeit vorsorglich schon vorher aus. Neben Akademie-Angehörigen sind nur noch Presse-Vertreter zugelassen. Die dürfen sich einen Eindruck davon verschaffen, mit welch ungeheurem Aufwand sich das Festival anlässt. Die Klanginstallation von Werner Cee de-symphonic, Kontra Punkt Berlin stellt sich als sinfonische Klanglandschaft im Birkengarten der Akademie der Künste im Hanseatenweg dar. Cee hat Fragmente der Beethovenschen Pastorale vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin aufnehmen lassen und sich kompositorisch damit auseinandergesetzt. Herausgekommen ist eine sechsstündige Aufnahme, die nun in dem Innenhof erschallt. Das hätte man sich gern ein wenig länger angehört, aber die nächste Station ruft. Auf dem Weg zur Ausstellung stellt sich die Frage, wer dieses Stück jemals vollständig hören wird.

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Die Ausstellung ist bunt und vielfältig, voller Klangexperimente, die akustisch, physikalisch und ästhetisch eine Annäherung der Gegenwart an die Klassik zeigen wollen. Da hätte man sich doch gewünscht, dass das mehr Menschen als die heute anwesenden hätten sehen und hören können.

Im anschließenden Konzert gibt es sechs Stücke, die per Live-Stream ins Internet übertragen werden. Das ist alles kurzfristig arrangiert, und entsprechend hoch ist die Nervosität bei den Organisatoren. Aber schließlich sind Mikrofone und Kameras eingerichtet, und es kann losgehen.

Spezifisch für das Konzert ist, dass es eben Laborsituationen entsprungen ist, in denen die Komponisten die Werke gemeinsam mit den Musikern entwickelt haben. Entstanden sind fünf Uraufführungen und eine Überarbeitung. Den Anfang macht Dystopia von Thanos Sakellaridis. Das fünfköpfige Ensemble besteht aus Saxofon in Alu-Folie, Akkordeon, E-Gitarre, Bass und Perkussion. Es erzählt eine Science-Fiction-Geschichte, in der es um Klone und ihre traurige Dauerexistenz geht. Sakellaridis sagt darüber, es sei der dritte Teil einer Trilogie, von der die ersten beiden Teile noch nicht geschrieben wurden und wahrscheinlich auch nie geschrieben werden. Nun denn, der dritte Teil kann auch gut für sich stehen.

Adrian Nagel widmet sich in Stillleben der Reduktion. Und zwar so sehr, dass an diesem Abend auch gleich noch die Tenorblockflöte entfällt, die eigentlich für das Stück mit vorgesehen ist. Umso mehr können die Besucher sich auf das Akkordeon kontrollieren, um das es eigentlich geht. Die eingespielte Elektronik fällt nicht so sehr ins Gewicht. Denn für Nagel stand die Frage im Mittelpunkt, einen Ton zu finden, der „bei leiser, aber stabiler Dynamik die längstmögliche Klangdauer erreicht“. Immerhin elf Minuten erreicht das Akkordeon, sehr zum Erstaunen und zur Freude des Komponisten.

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Stones von Faidra Charfta Douka ist ein Stück für Kontrabass-Solo, das sie im Hinblick auf das virtuose Spiel von Uli Fussenegger überarbeitet hat. Der Musiker bekommt so die Möglichkeit zu zeigen, dass ein Kontrabass mehr ist als ein tiefes und schwerfälliges Instrument, das seinen Platz rechts im Orchester hat. Sehr eindrucksvoll.

Batya Frenkiakh und Guy Rauscher haben mit Entanglement ein zweisätziges Werk für das Ensemble Adapter geschaffen, eine deutsch-isländische Musikergruppe, die sich der zeitgenössischen Musik verschrieben hat. Und so versuchen Querflöte, Klarinette, Harfe und Perkussion die Verbundenheit beider Sätze aufzuzeigen, die nur oberflächlich gegensätzlich erscheinen.

Zu den herausragenden Werken – auch hinsichtlich der Ungewöhnlichkeit des Musizierens – gehört an diesem Abend Trio von Ari Rabenu. Violine, Posaune und Harfe spielen fünf kurze Sätze, die sich mit Zeit beschäftigen. In diesen Sätzen werden schnelle, lineare Prozesse abgespielt, die nie zum Ausgangspunkt zurückkehren. In das Stück wird das Umstimmen der Harfe mit eingebaut, was nicht sonderlich elegant, aber originell wirkt.

In der Circus story: Taming the animals lässt sich Manolis Ekmektsoglou noch einmal ganz auf die Fähigkeiten von Saxofonistin und Schlagzeuger ein, die er um elektronische Elemente ergänzt. Charakteristisch für das Werk ist die Frage, die der Komponist stellt. „Versuchen sie hier, die Tiere eines chaotischen Zirkus‘ zu zähmen oder vielleicht ihre eigenen chaotischen Seelen?“

Man ist hier unter sich, und so fällt der Applaus nach jedem Beitrag enthusiastisch aus. Die Organisatoren haben ihren Live-Stream glücklich über die Bühne gebracht und sind zufrieden. Nach solch gelungenem Einstand hätte man sich auf das Festival freuen können, das laut Programmheft noch viele aufregende Momente versprach. Aber schon am darauffolgenden Tag steht fest, dass das Versammlungsverbot dem Fest endgültig den Garaus macht. Man wird sich also auch hier auf das kommende Jahr freuen, wenn eine hoffentlich glücklichere Wiederholung organisiert werden kann.

Michael S. Zerban