O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jaro Suffner

Aktuelle Aufführungen

Die Hölle ist daheim

KATJA KABANOVA
(Leoš Janáček)

Besuch am
27. November 2021
(Premiere)

 

Komische Oper Berlin

Die Hölle muss gar nicht aus Feuer und Folterinstrumenten bestehen. Sie kann auch in einer ganz normalen, unbedeutenden Umgebung stattfinden, in der es kein bisschen menschliche Wärme gibt. Regisseurin Jetske Mijnssen ziseliert jede Rolle in dem Meisterwerk von Leoš Janáček minutiös und stellt die familiären Beziehungen gegeneinander auf als kammertheatralisches Psychodrama.

Unmerklich schieben sich die drei Räume mit den hohen Wänden von links nach rechts oder umgekehrt und geben immer ein Stück des Nachbarraumes – und der darin stattfindenden Aktionen – frei. Eng und klaustrophobisch gibt das Bühnenbild von Julia Katharina Berndt die Stimmung im Hause Kabanow wieder. An einem Tisch spielt sich das gesamte Drama ab. Unterstützt in der Visualisierung dieser Welt wird sie von den zeitlos spießigen Kostümen von Dieuweke van Reij. Hier dringt keine frische Luft, kein Vogelgesang ein, schon gar nicht Sonnenschein.

Unter der dominanten Regie der Schwiegermutter, der Witwe Kabanicha, leiden alle.  Der Sohn Tichon wird gnadenlos herumkommandiert, er hat nicht die Kraft, sich gegen die Mutter zu stemmen. Die Schwiegertochter Katja geht ins innere Exil. Nur die Pflegetochter Varvara zeigt noch Wärme und Lebensmut.

Katja wird von der Sopranistin Annette Dasch mit einer schauspielerischen und vokalen Vollkommenheit dargestellt, die fast beängstigend ist. Sie gibt eine Katja, die äußerlich ruhig ist, eine spröde, konventionelle Ehefrau und Schwiegertochter, die sich bemüht ein normales Familienleben vorzuleben, bis hin zur genauen und präzisen Verlegung des Tischtuches und der Platzierung der Teller auf dem Esstisch. Sie hat sich ihrem Schicksal ergeben, aber innerlich kocht sie und ihre Emotionen explodieren, als sie sich einen kleinen Glücksmoment mit dem gutaussehenden Boris gönnt. Und es sogleich bereut. Da hilft keine Beichte, nur der Tod. Der findet – entgegen dem Libretto nicht in der nahegelegenen Wolga – sondern ruhig, belanglos, im Wohnzimmer statt. Weniger ist mehr.

Tenor Magnus Vigilius ist der Liebhaber, der mit elegantem Timbre die Gunst der Abwesenheit des Ehemanns nutzt. Er wird von Stephan Rügsamer, dessen Tenor anfänglich ein gehöriges Vibrato aufweist, das aber zur Charakterisierung des verunsicherten Mannes zwischen Gut-Sohn und Lieb-Ehemann gut passt.

Foto © Jaro Suffner

Ebenbürtig zur Katja von Annette Dasch ist Doris Lamprecht als Kabanicha. An Kälte ist ihr wohl timbrierter und doch farbloser Mezzo nicht zu überbieten. Ob diese Frau jemals echte Liebe verspürt hat? Vermutlich nicht. Sie gönnt sich zwar einen erotischen Exkurs mit dem ältlichen Dikoj – die Szene wirkt hölzern komisch und ungelenk, soll es vermutlich auch. Der exzellente Bass und langjähriges Ensemblemitglied Jens Larsen überzeugt als alter Familienfreund und gelegentlicher Liebhaber von Kabanicha.

Auch die kleineren Nebenpartien sind gut ausgearbeitet. Die junge Pflegetochter Varvara, von Karoline Gumos mit ihrem freundlichen und samtigen Mezzo gesungen, dient als Gegenpol zur düsteren familiären Stimmung. Der junge Lehrer Wanja Kudrjasch wird von Timothy Oliver mit frischem Tenor gegeben. Hier zeigt Janáček eine halbwegs normale Beziehung, die hoffentlich in echter Liebe aufblühen wird, nachdem das junge Paar zusammen am Ende der Oper nach Moskau aufbricht.

Leoš Janáček verleiht seinen Charakteren auf der Bühne eine emotionale Sprachlosigkeit, die anderseits in der Musik ihren Ausdruck findet. Die Höhen und Tiefen der gesamten Bandbreite der Verzweiflung von Katja wie auch der anderen Charaktere finden Ausdruck in der Partitur.  Das versteht Dirigentin Giedrė Šlekytė bestens umzusetzen. Sie leitet das Orchester der Komischen Oper mit einer direkten Dynamik und Transparenz, die das Stück seine volle emotionale Wucht entfalten lässt. Der Eindruck entsteht, dass bei dieser Produktion die Regisseurin und die Dirigentin gut zusammengearbeitet haben – Darstellung und musikalischer Ausdruck gehen sehr gut Hand in Hand.

Die Produktion wird mit großem Jubel vom Publikum begrüßt. Höchst selten bei der Komischen Oper: sogar eine standing ovation. Statt einer Premierenfeier hält Hausherr Barrie Kosky eine kleine Rede direkt auf der Bühne, wo er sich bei den Mitwirkenden und auch bei dem maskentragenden Publikum der knapp zweistündigen Oper bedankt.

Zenaida des Aubris