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Dunkles Leuchten in einer gewaltbereiten Sozialisation

FRANCESCA DA RIMINI
(Riccardo Zandonai)

Gesehen am
14. März 2021
(Premiere/Live-Stream)

 

Deutsche Oper Berlin

Der 1883 geborene Riccardo Zandonai gehörte zu einer Gruppe von italienischen Opernkomponisten, die vor dem Ersten Weltkrieg die italienische Oper und insbesondere die übermächtige Puccini-Ästhetik reformieren wollten. Zandonai war Schüler Ruggero Mascagnis. Von seinen insgesamt elf Opern ist in seltenen Aufführungen lediglich seine Francesca da Rimini auf der Bühne präsent geblieben.

Das Sujet geht zurück auf den fünften Gesang aus Dantes Göttlicher Komödie, welchen Gabriele d’Annunzio 1901 in ein überbordendes Versepos verarbeitet und in Italien auf die auf Bühne gebracht hat, wozu ihn Eleonora Duse als Partnerin anregte und die Rolle der Francesca auch auf der Bühne verkörpert hat. Der Musikverleger Tito Ricordi hat eine für die Oper gekürzte und brauchbare Fassung der Vorlage angefertigt, die d’Annunzio – der auch immer um Geld verlegen war – unterstützt und sogar durch einzelne Verse ergänzt hat

Die Handlung spielt im Italien des 13. Jahrhunderts. Die Adelsgeschlechter befinden sich seit Jahren in einer kriegerischen Auseinandersetzung und haben dadurch auch ihr Vermögen verloren. So auch die Familie Francescas, die sie an den missgestalteten Giovanni, Mitglied der noch immer einflussreichen Malatesta-Dynastie verschachern will. In dem abgekarteten Spiel wird der schöne Paolo, Bruder des Bräutigams, vorgeschoben, um von Francesca die Einwilligung zur Ehe einzuholen. Das gelingt. Doch Francesca und Paolo verlieben sich untrennbar. Malatestino, der dritte Bruder der Familie verrät die beiden an den betrogenen Giovanni, der Francesca und seinen Bruder Paolo ersticht.

Die Musik zeichnet sich zunächst durch die komplette Abwesenheit von klassischen Arien und Ensembles aus. Obwohl das Orchester voll ausspielt und durch eine fortlaufende untergründige Nervosität geprägt ist, klingt es immer wieder wie hinter einem unsichtbaren Schleier. Es werden farbenprächtig historische, mittelalterliche Klangkolorits verwandt, auch Lauten werden einbezogen. Insgesamt zeichnet sich die Klangstruktur der Partitur durch eine hoch-intensive Mischung von Jugendstil, Avantgarde, Dekadenz und Moderne aus, wie sie in dieser Form einmalig bleibt. Natürlich sind Anklänge an Debussy, Wagner, Richard Strauss und andere zu hören. Aber man täte der Partitur unrecht, wenn man nicht den komplett eigenständigen Charakter der musikalischen Struktur und des Ausdrucks hervorhebt.

Die Oper wurde bei der Uraufführung 1914 in Turin auch als Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen in Italien in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gelesen, einer Kritik an einer moralisch unverantwortlichen Elite, die ihren humanitären Kompass und deren Werte verloren hat. Die gesellschaftliche Sozialisation ist durch Gewalt und Blut geprägt.

Das Bühnenbild von Johannes Leiacker ist durch eine Reihe von floralen Jugendstilelementen geprägt und eröffnet im Hintergrund wiederholt den Blick auf präraffaelitische Landschaftsmotive.

Regisseur Christof Loy bringt die Handlung zwischen Szenen der mädchenhaften Begegnungen Francescas mit ihren Freundinnen und den kriegerischen Auseinandersetzungen mit nachhaltigen Kontrasten und gelegentlich auch viel Blut auf die Bühne. Die verschiedenen Charaktere der drei Malatesta-Brüder werden durch Besetzung und Personenführung sehr klar porträtiert und deutlich voneinander abgegrenzt. Potenziell überzogene Charakterisierungselemente werden vermieden. So ist Giovanni nicht ein wie auch immer geschlagener, hässlicher armer Teufel, sondern vielmehr eher nur der deutlich ältere Bruder Paolos. Die Freundinnen Francescas bewegen sich in ausgesprochen natürlichen, mädchenhaften Auftritten und der Hofnarr changiert in heutiger Kleidung mit Jeans und dann wieder historisierendem Kostüm wie ein Traumwandler zwischen den stilistischen Welten des Stoffs und der Musik.

Ganz im Zentrum der Handlung steht das Geheimnis Francescas, die sich in den vorgeschickten Paolo verliebt, und die dann im weiteren Verlauf durch ein Verhältnis mit allen drei sehr unterschiedlichen Brüdern emotional verbunden ist. In ihrem Charakter spiegelt sich eine tiefe Liebe zu Paolo übergangslos mit Elementen des Ehebruchs. Sie ist gleichfalls auf geheimnisvolle Weise durch die sie umgebende Gewalt geprägt. Sie empfindet Lust im Ehebruch bei aller tiefen Beziehung zu Paolo, mit dem sie in den Tod geht.

Unspielbar und musikalisch nicht zu bewältigen, sollte man glauben. Aber die künstlerische Partnerschaft von Regisseur Christof Loy und Sara Jakubiak in der Titelpartie hat schon einmal am gleichen Haus in Korngolds Wunder der Heliane 2018 grandiose Ergebnisse erzielt. Jakubiak spielt und singt die Francesca mit bis zum Bersten fiebernder Intensität und Selbstvergessenheit. Sie ist durch ihre liebenden Empfindungen zu Paolo genauso verzaubert wie durch die schillernden Facetten ihrer Beziehungen zu den Brüdern Paolos. Ihre Verletzlichkeit korrespondiert übergangslos mit der Rolle der selbstbewussten Frau und auch mit ihrer eigenen Prägung in einer Umgebung von Gewalt und Krieg. Jakubiak wird zum prismatischen Brennpunkt aller im Stück vorhandenen Handlungskomponenten. Loy gelingt hier eine ebenso eindrucksvolle Zusammenarbeit wie vor einigen Jahren schon einmal mit Edita Gruberova, mit der er auf legendäre Weise Werke des Belcanto neu interpretiert hatte.

In den opulenten Kostümen von Klaus Bruns wechselt Jakubiak – gewissermaßen parallel zu ihren charakterlichen Entwicklungen – von großer, eher traditioneller Robe in einen Hosenanzug, in dem sie wie in umgekehrter Rosenkavalier-Anordnung Paolo die Rose ihrer Liebe übergibt.

Jonathan Tetelman als Paolo der Schöne sieht nicht nur gut aus, sondern kann sehr wohl Sara Jakubiak ein nachvollziehbarer Liebhaber sein, jedenfalls setzt er seinen strahlkräftigen Tenor mit Verve und Glanz ein. Auch das weitere, umfangreiche Ensemble ist mit Sensibilität ausgewählt. Da sind die Brüder Paolos mit Ivan Inverardi als Giovanni und Charles Workman als der verräterische Malatestino, ebenso wie Francescas Geschwister, die Samaritana von Alexandra Hutton und Samuel Dale Johnson als Ostasio.

Eine Gruppe von Mädchen und jungen Frauen um Francesca werden von Meechot Marrero, Mane Galoyan, Arianna Manganello, Karis Tucker und Amira Emmadfa verkörpert. Allen Sängerinnen gelingt es, je eine eigenständige Rollenstudie zu den Partien zu zeichnen. Der Hofnarr von Dean Murphy wirkt wie ein wundersam verwirrter Träumer zwischen allen Welten und stilistischen Facetten des Werkes.

Daneben gibt es eine insgesamt vierzehnköpfige Schauspielergruppe, die sehr behende Szenen der Auseinandersetzung, Androhung und Gewalt verkörpern. Das bietet sich auch deshalb an, weil der von Jeremy Bines in bewährter Form geführte Chor wiederum aus dem Probensaal akustisch hinzugeschaltet werden muss. Vielleicht ändert sich an dieser Stelle das Konzept ja auch noch einmal, wenn die Corona-Einschränkungen vorüber sind.

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Carlo Rizzi spielt die unbekannte Partitur grandios auf. Der Spannungsbogen der Musik kommt bestens zur Wirkung. Sehr gut bleibt die einzigartige Qualität der Partitur in Erinnerung. Das Dirigat wird dem eigenständigen Charakter des Werkes in jeder Phase gerecht, drückt auch auf die Tube, wenn sich die Handlung zuspitzt.

Die Videoübertragung zeichnet sich durch eine professionelle und mit dem Stück vertraute Kameraführung aus. Der Klang ist außerordentlich plastisch und durchsichtig mit einer guten Balance zwischen Gesang und Instrumentalmusik. Lediglich bei der Direktübertragung hapert es gelegentlich durch kurze Bildstillstände.

Für den 4. April ist die Live-Premiere mit Publikum vorgesehen. Die Deutsche Oper Berlin nimmt an einem Versuch verschiedener Berliner Opernhäuser und Theater teil, in dem unter streng definierten Hygieneregeln und vorab zu erfolgender Testung ein neuer Anfang mit sicheren Live-Aufführungen mit Publikum gemacht werden soll. Auf jeden Fall sollte man eine Aufführung in Nach-Corona-Zeiten nicht verpassen, wenn man sich denn überhaupt noch ein Vorstellungsvermögen für „normale“ Zeiten bewahrt hat.

Achim Dombrowski