O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bilder ähnlich der besuchten Aufführung - Foto © Monika Rittershaus

Aktuelle Aufführungen

Wagner im Kinderzimmer

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)

Besuch am
10. Dezember 2022
(Premiere am 25. November 2022)

 

Komische Oper Berlin

Kann man die Adjektive lustig, slapstickartig und farbenfroh auf eine Inszenierung von Der fliegende Holländer anwenden? Man kann, spätestens wenn man eine Aufführung an der Komischen Oper Berlin unter der Regie von Herbert Fritsch und unter der musikalischen Leitung von Dirk Kaftan besucht.

Ein überdimensionales, dunkelrotes Schiff mit einem Segel im Stil eines Kinderspielzeugs füllt die Mitte der Bühne. Es ist von hohen, leuchtend grünen Wänden umgeben, die die norwegischen Fjordklippen darstellen, die von Wagners Helden besungen werden, aber ebenso die Wohnstube von Daland.  Das Schiff wird entweder von der Dalandschen oder der Mannschaft des Holländers gesteuert und führt durch die stürmischen Gewässer und emotionalen Wellen der Musik. Das ebenfalls von Herbert Fritsch entworfene Bühnenbild wird von Carsten Sander dramatisch beleuchtet und wechselt die Farben mit den jeweiligen Stimmungsebenen – auf gelbe Horizonte folgen beispielsweise magenta- und rosafarbene Panoramen. Bettina Helmi steuert Kostüme bei, die von stilisierten Matrosenanzügen für die Männer über Puderquasten mit Schleifen und Schürzen für die norwegischen Frauen bis hin zu einem verdrossenen Shabby-Chic-Stil für die Scheintoten im Holländer-Schiff reichen.

„Der Mythos um Richard Wagner und seine Werke ist mit unerbittlicher Ernsthaftigkeit überfrachtet. Ich wollte Wagner zurück ins Kinderzimmer bringen“, beschreibt Fritsch seinen Ansatz. Das hat er auch getan. Und in der Tat gelingt es ihm, den Kern des Dramas freizulegen, indem er ihn durch Charakterisierungen, die stets überdreht sind, wie bei einem fröhlich-verspielten Theaterstück für Kinder darstellt. Die Körpersprache der Figuren ist von übertriebener Mimik und Grimassen geprägt. So wird beispielsweise der musikalische Sturm der Ouvertüre in den ballettartigen Bewegungen der Matrosen ausgedrückt, die sich auf der Bühne hin und her wälzen, um den Sturmböen nachzugeben.

Hinzu kommt eine Besetzung, die sich dem Konzept des Regisseurs sichtlich erfreut hingibt und mit Engagement umsetzt. Bariton und Ensemblemitglied Günter Papendell hätte in der Titelrolle vielleicht von einer tieferen Stimmlage profitieren können, aber seine Darstellung als Karikatur vom Kapitän Jack Sparrow aus Fluch der Karibik passt zur Rolle. Allein sein Kostüm trägt zur Person des verfluchten Kapitäns bei: eine androgyne Aura, die durch orangefarbene Dreadlocks, ein weißes Gesicht und barocken Shabby-Chic noch verstärkt wird. Tijl Faveyts wird als opportunistischer und flotter junger Kapitän eingesetzt. Auch er ist stimmlich etwas zu leicht für einen erfahrenen Daland, aber seine Verkörperung von jemandem, der seine Großmutter – in diesem Fall Tochter Senta – für den richtigen Preis verkaufen würde, passt ins Profil. Brenden Gunnell als Erik ist eine echte Bereicherung für die Produktion. Sein Tenor hat einen metallischen Kern, den er zu formen versteht, um seine echte emotionale Angst bei dem Gedanken, Senta zu verlieren, zu vermitteln. Caspar Singh wirkt überzeugend in seiner schauspielerischen Interpretation des Steuermanns, aber sein heller Tenor leidet unter Intonationsunsicherheiten.

Eine erfolgreiche Holländer-Aufführung hängt stark von der Besetzung der Senta ab. Daniela Köhler ist eine gute Wahl. Einerseits kann sie ihre Spitzentöne sicher und kraftvoll vortragen, andererseits bereiten ihr die Tiefen keine Probleme. In einem orangefarbenen Rüschenkleid ist sie der strahlende Mittelpunkt des Abends und lässt nie vergessen, dass sie nach ihren eigenen Regeln lebt, in diesem Fall, indem sie sich in ein lebensgroßes Porträt des mythologischen Holländers – gemalt von Charlie Casanova – verliebt. Karolina Gumos‘ Mary ist stimmlich und dramaturgisch blass im Vergleich zu der ansonsten starken Besetzung.

Ein besonderes Lob geht an den Chor und die Statisten der Komischen Oper und des Vocalconsort Berlin: Sie stürzen sich in ihre Rollen und rollen teilweise buchstäblich auf dem Boden herum, was ihnen sichtlich Spaß bereitet. Jegliches Pathos wird zugunsten von varietéhaftem Überschwang und chaplinesken Charakterskizzen ausgetrieben. Die gespenstische Besatzung des Holländer-Schiffes erfreut mit einzelnen schauspielerischen Vignetten eines Sammelsuriums von grotesken Typen.

Das Orchester unter der Leitung von Dirk Kaftan versucht durchweg, dessen schnellem Taktstock zu folgen, mal besser, mal schlechter. Tatsächlich lässt Kaftan vom ersten Takt an nicht locker, weder im Tempo noch in der Lautstärke. Die Sänger singen großenteils an der Rampe, so dass sie keine Probleme haben, in den Saal zu projizieren und über das Orchester zu singen. Ein bisschen weniger Lautstärke und ein etwas differenzierterer orchestraler Ausdruck könnte nicht schaden.

Das Publikum applaudiert diese bissige, unpathetische und übertriebene Inszenierung, die dann doch mit einem gewissen Happy End abschließt. Dazu kommt noch eine launige und unkonventionelle Reihenfolge des Applauses, als der Chor einen kleinen Tanzschritt macht und dann das gesamte Ensemble in einem fröhlichen Karussell das Schiff umrundet. Das mag keine endgültige Interpretation des Fliegenden Holländers gewesen sein, aber sie hat definitiv ihre Vorzüge.

Zenaida des Aubris