O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bernd Uhlig

Aktuelle Aufführungen

Kein Plädoyer für die Freiheit

FIDELIO
(Ludwig van Beethoven)

Besuch am
30. November 2022
(Premiere am 25. November 2022)

 

Deutsche Oper Berlin

Die Geschichte von Fidelio – der Ehefrau, die sich als Mann verkleidet und in den politischen Gefängnissen nach ihrem Mann sucht, ihn findet und befreit – ist zeitlos und ebenso aktuell heute wie zur Zeit ihrer Uraufführung 1805. Sollte es solch eine Überschrift in der Zeitung von morgen geben, würde es kein großes Aufsehen erregen.

In der Neuproduktion an der Deutschen Oper setzt Regisseur David Hermann auf kargen Minimalismus. Nach der gloriosen musikalischen Strahlkraft der Ouvertüre befinden wir uns in einem eingezäunten Raum von Johannes Schütz, der auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet, wo die Gefangenen mit übergestülpten Kopfbedeckungen und übergroßen Masken entlang der Mauern unbeweglich sitzen und angekettet sind. In der Mitte befindet sich ein Podest, hier wäscht Marzelline, die Tochter des Gefängniswärters Rocco, routiniert die neueste Leiche und ihr Freund Jaquino hilft ihr dabei. Warum die Leiche gewaschen wird, wenn sie sowieso kurz darauf ziemlich brutal in ein Massengrab geschmissen wird, bleibt unerklärt. Aber allein diese Szene setzt die Stimmung, die in der gesamten Oper herrschen wird: kalt, unmenschlich, brutal, ein Ort, in dem ein skrupelloses politisches System ihre Unbeliebten abschiebt. Hier kommt keiner lebend raus. Und doch überrascht es dann, wenn die Gefangenen sich erstaunlich leicht und ohne großen Widerstand von ihren Ketten befreien, die Mauern des Gefängnisses durchbrechen und das Weite suchen. Dagegen ist die gesamte leere Bühne der kalte Kerker. Florestan ist auch nicht der einzige, der hier lebt. Einige andere Körper – oder eventuell Leichen – liegen hier auch herum.

Dagegen kann die Musik von Beethoven mit ihrer Positivität und echter Empathie nicht ankämpfen. Es bleibt immer ein beklemmendes Gefühl, besonders wenn am Ende der Minister das Gefängnis als publikumswirksamen Stopp auf seiner Wiederwahl-Tour besucht und konstant auf die Uhr schaut, wann das sentimentale Geschwafel endlich zu Ende sein wird, schließlich wartet der nächste Termin schon. Auch die dann befreiten Insassen werden nicht von ihren liebenden Frauen, wie im Libretto von Ferdinand Sonnleithner, Stephan von Breuning und Georg Treitschke notiert, empfangen. Nein, hier steht der Pöbel, der sensationslustig droht, die Absperrrungen zu stürmen und eigentlich eher interessiert ist, ein Autogramm vom Politiker zu erhaschen.

Foto © Bernd Uhlig

Ingela Brimberg ist eine Leonore, die zwar physisch und schauspielerisch gut zur Rolle passt und jegliche Weiblichkeit bis zum Schluss unterdrücken kann. Allerdings erfüllt sie die vokalen Anforderungen der Rolle nicht – ihr Sopran hat keinen Kern und entbehrt der nötigen Strahlkraft, besonders in der Befreiungs-Szene. Ihr Florestan wird von Robert Watson gesungen. Sein Tenor ist zwar wirkungsvoll in dem berühmten Gott, welch Dunkel hier, aber auch er wirkt erschöpft und gebrochen – was schauspielerisch natürlich überzeugt, aber der Musik wenig dienlich ist. Tobias Kehrer bringt seinen Bass gut zur Geltung. Mit seinem Arbeitsanzug, der in dem aus den Medien bekannten Orangeton der Anzüge aus dem Guantanamo-Gefängnis erinnert, macht Rocco einen Opportunisten. Sopran Sua Jo und Tenor Gideon Poppe wirken als Marzelline und Jaquino beide sonnenlos bleich, ihrem Schicksal ergeben, sind aber beide stimmlich hervorzuheben in ihrer klaren Linienführung und Wortverständlichkeit. Bariton Jordan Shanahan ist Don Pizarro, der mit dunklem Kern als korrupter Beamte rücksichtlos buchstäblich über Leichen geht, bis er selbst in das für Florestan bedachte Grab gestoßen wird. Bariton Thomas Lehmann ist der smarte Don Fernando, der hier von einem Wahltermin zum nächsten hetzt, getrieben von seiner Kampagnen-Managerin.

Generalmusikdirektor Sir Donald Runnicles dirigiert sein Orchester mit zum Teil forschen Tempi und probiert besonders im letzten Bild, allen strahlende Klangfarben abzuverlangen. Der Chor der Deutschen Oper, einstudiert von Jeremy Bines, gibt seinem Ruf alle Ehre, sowohl stimmlich wie schauspielerisch fokussiert und präsent.

David Herrmann gestaltet die letzte Szene als einen Massenauftritt, in dem auch Leonore und Florestan, Marzelline und Jaquino in der tobenden, ja wütenden Menge verschwinden. Gefühlsmäßig bleibt der große Jubel der Freiheit aus. Ob es überhaupt eine Freiheit gibt? Die Frage bleibt offen.

Zenaida des Aubris