Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
FELIX’S ROOM
(Adam Ganz, Scan Lab Projects)
Besuch am
2. Juli 2023
(Premiere am 28. Juni 2023)
Es begann mit der Entdeckung der Skizze eines Raumes. Die wurde von dem Mainzer Geschäftsmann Felix Ganz gezeichnet. Sein Urenkel, Adam Ganz, der die Skizze gefunden hat, fängt daraufhin an, die Familiengeschichte zu recherchieren. Felix Ganz als vermögender Kaufmann und Kunstsammler und seine zweite Frau Erna waren angesehene Mitglieder der Frankfurter Gesellschaft – Felix immerhin auch im Vorstand von Karstadt. Die Villa auf dem Michelsberg war prächtiger Mittelpunkt vieler Soireen, auch mit Auftritten der Tochter, die Opernsängerin war. Mit dem Aufstieg Hitlers und den massiven Einschränkungen für jüdische Bürger ab 1938 wird das Leben zusehends schwierig. 1941 werden Felix und Erna gezwungen, ihre Villa zu verlassen und in ein „Judenhaus“ einquartiert. Ein einziger, kleiner Raum wird ihnen zugewiesen. Sie können gerade mal die notwendigsten Sachen mitnehmen, einige Bilder und eben auch eine Kommode aus dem 18. Jahrhundert mit schönen Nussbaumfurnier. Felix Ganz zeichnet diesen Raum für seine Tochter, die noch rechtzeitig nach London entkommen konnte. Jetzt hat Urenkel Adam Ganz diese Skizze als Anlass genommen, die Geschichte aufzuschreiben. Eine Geschichte, die kein Happy End hat. Felix und Erna werden nach Auschwitz deportiert und ermordet.
In seinen Recherchen hat Adam Ganz die Kommode im Landesmuseum Mainz entdeckt, die dank Provenienzforschung der Familie zugeeignet werden konnte. Die elegante Kommode ist das einzige reale Element im Raum, umgeben von hochtechnologischen, durchsichtigen, metallenen Vorhängen, auf die die holografischen Projektionen des Raumes und der Geschichte projiziert werden.
Dank der Zusammenarbeit mit dem Architekten Matt Shaw und der Digitalingenieurin meriko borogove wurde Felix’s Room im Londoner Kreativstudio Scan Lab Projects mit 3D-Scan- und Projektionstechnologie entwickelt. So ist der kleine Raum bis ins kleinste Detail sichtbar – bis hin zum dampfenden Wasserkocher. In der nächsten Minute erscheinen der Bazar in Konstantinopel oder die Pyramiden in Ägypten anderseits. Dank einer Unmenge an real-gescannten und bearbeiteten Daten kann das Team von Scan Lab ein sehr lebendiges und doch virtuelles Umfeld erstellen. Das knapp einstündige Stück lebt von den hervorgerufenen Erinnerungen an bessere Tage. Tage, an denen Felix und Erna in den Orient gereist sind, um wertvolle Teppiche zu kaufen oder im eigenen Ballsaal zu tanzen.
Foto © JR Berliner Ensemble
Adam Ganz sitzt an einem kleinen Tisch rechts auf der Bühne, liest aus Briefen und führt durch den Abend. Zum Teil sind die vorgelesenen Passagen verschlüsselt, da muss man schon hinter den Worten hören, wie eingeschränkt und deprimierend der Alltag gewesen sein muss. Es ist die emotionale Leistung von Veit Schubert als Felix Ganz, der ruhig und immer optimistisch über die schwierige und unsichere Lage schreibt und seinen langjährigen Freund Heinrich um Nachrichten der Familie und Intervention bei den Behörden wegen eines versprochenen Ausreisevisums bittet. Eben weil seine Darstellung nie ins Larmoyante abgleitet, ist sie umso stärker, weil das Publikum weiß, wie es endet, er aber noch bis zum Ende Hoffnung auf eine Rettung hat. Ihm zur Seite steht die ebenso feinfühlige Darstellung seiner Frau Erna durch die Sopranistin Alma Sadé. Sie ist es, die dann auch eine Ballade auf die Kommode singt, von Tonia Ko komponiert, über die glücklichen Tage der Vergangenheit im schönen eigenen Zuhause. Ein anderes Lied hat Christoph Breidler komponiert, das sich mit Felix Ganzʼ Aufenthalten und geschäftlichen Erfolgen in Berlin beschäftigt – mit No. 5 Karstadt kann Johannes Dunz seinen schönen Tenor ganz im Stil der jazzigen 20-er Jahre zum Strahlen bringen. Sopran Julia Domke ist die Tochter, die stolz vom Vater auf einem Ball vorgestellt wird und das Sempre Libera aus Traviata schmettert. Alma Sadé singt Küss Mich aus Oscar Straus‘ Perlen der Cleopatra beschwingt mit einem Unterton an Melancholie.
Das kleine – echte – Streicherensemble wird vom Klavier aus von Christoph Breidler dirigiert. Außer den Originalkompositionen wird eine untermalende Klanglandschaft geboten, die eine musikalische Brücke zur Vergangenheit herstellt.
Trotz oder gerade durch die hochtechnologische visuelle Umsetzung bleibt die Geschichte real und berührend. Ein bewegender Abend, der lange in Erinnerung bleiben wird.
Zenaida des Aubris