O-Ton

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Foto © JR Berliner Ensemble

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DIE DREIGROSCHENOPER
(Kurt Weill)

Besuch am
20. August 2021
(Premiere am 13. August 2021)

 

Berliner Ensemble

Kurt Weill hat es eine „Farce mit Musik“ genannt, Bertolt Brecht eine „Parodie einer Oper“ voller Gesellschaftskritik. Nun hat der Regisseur Barrie Kosky eine Neuproduktion der Dreigroschenoper herausgebracht. Er bezeichnet es als „skizophrenisches Bastardenstück – es hat keine Eltern und keine einzige Identität, sondern ist ein Mischmasch von Musical, Oper, Operette, ein Schauspielstück mit Musik“. Es ist eben diese Anarchie der Musik, der Texte, die die Magie ausmachen, auch 93 Jahre nach der Uraufführung im August 1928 eben am Berliner Ensemble. Damals war die Probenzeit extrem chaotisch – die Farbe war auf den Bühnenbildern noch nicht richtig trocken, als sie aufgebaut wurden, Schauspieler wurden in letzter Minute krank, das Libretto und die Musik wurde täglich umgeschrieben. Elisabeth Hauptmann, die Co-Autorin des Textes und Übersetzerin der Vorlage The Beggar’s Opera von John Gay aus dem Jahr 1728, und die damals knapp 30 Jahre alten Brecht und Weill hatten alle Hände voll zu tun. Heuer hat die Pandemie die Probenzeit und damit die Premiere über ein Jahr hinausgezögert.

Noch während der Uraufführung dachten die Macher, es würde ein Flop. Und dann der große Erfolg! Die Lieder von Kurt Weill wurden überall gesungen und gepfiffen, der Funke hatte gezündet. Es gibt wohl kein anderes Theaterstück, was so eng mit Berlin und dem Berliner Ensemble verbunden war und ist wie dieses.

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Dieser historischen und dramaturgischen Verantwortung ist sich Barrie Kosky sehr bewusst. Die Darsteller sollen keine Opernsänger sein, eher Schauspieler, die singen. Sie sollen „Schmutz in der Stimme“ haben, sagt Kosky. Brecht insistierte, dass die Darsteller Gesang und Schauspiel deutlich voneinander trennen sollten. Diese Brüche sollen dem Zuschauer deutlich sein. Kosky und der Dirigent Adam Benzwi haben sich dagegen entschieden – die Charaktere singen aus der Situation heraus. So fließen die Szenen besser ineinander.

„Ich will hier keine Oper“, sagt der berüchtigte Verbrecher Macheath bei seiner Hochzeit zu Beginn des Stückes. Daraufhin lässt Kosky ihn im Orchestergraben die Partitur vom Dirigentenpult stehlen. Er blättert durch die Seiten, summt dabei den größten Hit der Show, Mack the Knife, zerreißt sie und wirft die Reste in einen Eimer. Deutlicher geht es wohl kaum. Kosky versteht diese Geste als subtile Hommage und flammende Erklärung der Unabhängigkeit zugleich. Es ist ein Moment, der wie viele andere in Koskys Inszenierung das Sprichwort verkörpert, dass man Regeln kennen muss, um sie zu brechen.

Er weiß auch, dass es letztlich ein Problemstück ist. Damals wurde es von der jungen Weimarer Republik geprägt und prägte wiederum auch die Gesellschaft. Die schiere Vielfalt der Satire am Kapitalismus und der bürgerlichen Moral könnten es in eine Version des Musicals Cabaret entarten lassen. Nicht so in dieser Version. Bei Kosky ist es kein Museumsstück. Er hat Text und Musik zusammengerafft und konzentriert alles auf das menschlichste aller Dramen – die Liebe. Das wird überdeutlich mit einem weißen Neonschild, das von dem Dachboden herabgelassen wird mit der Aufschrift „Liebe mich“. Der Aufschrei gilt Macheath, der von allen geliebt werden will. Zwar scheitern alle seine Beziehungen – meist am Geld – aber er lässt sich nicht entmutigen und sucht am Ende nach seinem nächsten Abenteuer. Übrigens ist das Schild eine moderne Reverenz an die Originalproduktion von Caspar Neher, die damals mit Projektionen gearbeitet hat.

Nach der Ouvertüre erscheint auf dem Vorhang aus schwarzem Lametta das weiße, runde Mondgesicht von Josefin Platt als Moon over Soho, einer Rolle, die für diese Inszenierung geschaffen wurde. Sie gibt die Moritat von Mackie Messer wie eine Ballade mit viel Vibrato, eben so, wie es damals die legendäre Lotte Lenya – Weills Frau und erste Interpretin – gemacht hat. Immerhin ist es diese Nummer, die über die Jahrzehnte von solchen Größen wie Louis Armstrong, Ella Fitzgerald, Frank Sinatra und Robbie Williams interpretiert wurde. Der Schlager erklingt im Laufe des Abends immer wieder, sogar aus einer Souvenir-Spieldose, ein subtiler Hinweis auf die allgegenwärtige Vermarktung des Werkes. Sobald sich der Lamettavorhang erhebt, wird ein kompliziertes, schwarzes Klettergerüst sichtbar. Bühnenbildnerin Rebecca Ringst hat einen Labyrinth-Turm gebaut, der durchaus auch gesellschaftskritisch bewertet werden kann: Wer ist oben, wer unten, wer bewegt sich leicht oder beschwerlich im Gerüst, wer benutzt es als Sprungbrett in eine andere gesellschaftliche Schicht. Unterstützt wird Ringst von der effektvollen Beleuchtung von Ulrich Eh, der den verschiedenen Gestaltungsebenen noch mehr Tiefe gibt. Die Kostüme von Dinah Ehm verankern das Geschehen in der Gegenwart – Tüll und Glitzer sind ebenso vertreten wie Nerz und T-Shirts und helfen, die Rollen typgerecht zu definieren.

Nico Holonics ist Macheath alias Mack the Knife, ein junger Mann, der geliebt werden will, der ein Produkt seiner Umgebung ist, der keine monogame Beziehung eingehen will oder kann und der vergnügt lächelt, wenn sich die Damen um ihn reißen. Auch wenn ebendiese Damen ihn dann selbstbewusst verlassen, verliert er nicht den Glauben an sich selbst und seine Fähigkeit, sie zu manipulieren.

Foto © JR Berliner Ensemble

Cynthia Micas gibt eine souveräne Polly Peachum, die Tochter des Chefs der Bettlerbande und diejenige, die gleich zu Anfang insistiert, Frau Macheath zu werden, bevor das Verhältnis weitergeführt wird.  Ihr Vater, Jonathan Jeremiah Peachum, ist von Tilo Nest mit dunklem Charme dargestellt. Brecht stellt ihn als äußerst bürgerlichen Unterweltboss dar, der auf Ordnung und Sitte und korrekte Abrechnung der Bettlergeschäfte beharrt. Und Peachum wird seinerseits von seiner Frau, Celia Peachum, dominiert. Constanze Becker gibt sie als kühlberechnende Dame von Welt, die überhaupt nicht mit der Ehe ihrer Tochter einverstanden ist. Sie tritt nur in einem Nerzmantel auf, zeigt viel Bein und verleiht ihrer Rolle die Autorität einer Machtmaklerin. Dann wären da noch zwei andere Damen in Macheaths Leben:  Jenny, wohl die Seele des Stückes, wehmütig und verbittert gesungen von Bettina Hoppe, und Lucy Brown besetzt mit Laura Balzer, die unter einem äußerst flippigen 20-er-Jahre-Fransenkostüm einen wunderbaren Sinn für Komödie hervorbringt.  Lucys Vater, der Polizeichef Tiger Brown und Macheaths ältester Freund, wird von Kathrin Wehlisch im maßgeschneiderten Männeranzug gespielt: Die Freundschaft zwischen den beiden deutet auch eine fragile vergangene Romanze an.

Musikalisch bezwingt Adam Benzwi neun Musiker, die insgesamt 22 Instrumente bespielen. Mal schrill, mal lyrisch, verführen die uns bekannten Melodien immer wieder von Neuem.

Zum Schluss, nach dem augenzwinkernden, jubelnden Finale zeigt der Mond über Soho noch einmal sein Gesicht und entlässt das Publikum mit einem düsteren Mack-the-Knife-Vers, den Brecht 1930 schrieb und der besagt, dass einige Menschen im Dunkeln sind und andere im Licht; und während man die im Licht sehen kann, wird man die im Dunkeln nie sehen. Eine Selbstverständlichkeit, die hier philosophisch und musikalisch gelungen umgesetzt wird. Kosky, Benzwi und das gesamte Team liefern ein überzeugendes, befriedigendes Drama, das vom Publikum entsprechend gefeiert wird.

Zenaida des Aubris