O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Baus

Aktuelle Aufführungen

Milde Pointen und gediegene Tempi

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
10. April 2022
(Premiere am 2. April 2022)

 

Staatsoper Unter den Linden, Berlin

Daniel Barenboim ist ein Meisterinterpret der Werke von Wolfgang Amadeus Mozart. Daran besteht kein Zweifel. Lange ist es her seit seiner ersten Da-Ponte-Trilogie 1973 mit Peter Ustinov als Regisseur für das Edinburgh Festival. Danach hat er Zyklen mit den Regisseuren Jean-Pierre Ponnelle, Patrice Chereau, Thomas Langhoff und Doris Dörrie aufgeführt. Nun ist seine Zusammenarbeit dieser Werke mit dem Regisseur Vincent Huguet, ehemaliger Chereau-Schüler, auch komplett.

Als Huguet vor einigen Jahren mit der Mozart-Da-Ponte-Trilogie begann, änderte er die Reihenfolge, in der die Werke komponiert wurden. Denn sein Konzept sieht vor, dass die drei Opern jeweils von verschiedenen Lebensabschnitten erzählen: Così fan tutte von der Liebe und den Turbulenzen der Jugend und der Selbstfindung in der Hippie-Ära, Nozze di Figaro von den Herausforderungen des Erwachsenseins, der Ehe, den Affären und der Midlife-Crisis in den 1980-er und 90-er Jahren. Nun sind wir im Alter angelangt, im Hier und Jetzt der Selbstbetrachtung. Dieser Don Giovanni, der heute zur Aufführung kommt, will seine erotischen Fähigkeiten nochmal testen.

Huguet merkt an, dass er sich von den vier Bänden Sexualität und Wahrheit des französischen Philosophen Michel Foucault aus den 1970-er Jahren inspirieren ließ. Wie in den beiden anderen Teilen der Trilogie gibt es jedoch kaum Hinweise auf diesen philosophischen Diskurs. Der Regisseur  überträgt die Geschichte eines Verführers, der in der Hölle landet, weil er sein Mordopfer verspottet, in die Gegenwart: Don Giovanni ist das Alter Ego des Star-Modefotografen Peter Lindbergh, unschwer zu erkennen mit einem Drei-Tage-Bart, lässiges Hemd über die Jeans – Sex, Drugs and Rock-n-Roll: Dieser Typ hat alles mitgemacht. Er ist dessen müde, kann aber nicht aufhören – das Verführen gehört zu seinem Lebenselixier. Zumal er als Fotograf die schönsten Models sowieso vor die Linse bekommt, Casting Couch inklusive, in seinem schicken Beton-Loft – die Kulissen von Aurélie Maestre sind aus den beiden anderen Opern erkennbar. Am Ende trifft Don Giovanni den Commendatore in einer Leichenhalle. Ist der Bösewicht wirklich tot, und alles ist gut? In dieser Inszenierung sind wir uns nicht sicher. Zwar wird Don Giovanni geknebelt und ihm wird eine tödliche Spritze versetzt, aber dann erscheint er doch wieder und lacht sich über die besungene Doppelmoral seiner vermeintlich moralisch aufrechten Opfer kaputt.

Damit das Publikum auch wirklich mitbekommt, dass die Geschichte im Jahr 2022 spielt, wird der Commendatore versehentlich getötet, als er sich den Kopf an einem Felsbrocken stößt, und als Don Ottavio mit seinem Handy um Hilfe ruft, erscheint die Polizei in Vollkörperschutzanzügen und mit den nötigen Tatort-Requisiten; Leporello hat ein Tablet und macht Tinder-Rechts-Swipes, die alle Eroberungen Don Giovannis zeigen – jede ein perfekt fotografiertes Model in Kostümen von Clémence Pernoud, Donna Elvira eingeschlossen – die auf eine große Leinwand projiziert werden. Solche Gags können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Regiekonzept recht dünn ist. Der Abend pendelt unbeholfen zwischen realistischen und symbolischen Szenen hin und her, ohne eine einheitliche Sprache zu finden. Zudem streckt Huguet Szenensequenzen und ganze Arien mit ungeschickt gestimmten Auseinandersetzungen, die kaum Konsequenzen für die Rollengestaltung haben.

Daniel Barenboim und seine Staatskapelle entscheiden sich für überaus breite Tempi, was dazu führt, dass eine sehr detaillierte musikalische Erzählung entsteht, die auch die Texturen und die verschiedenen instrumentalen Ebenen mit erstaunlicher Klarheit zeigen. Trotzdem ist wenig von der erotischen Spannung zu spüren, die gerade diese Mozart-Partitur so unvergesslich macht.  Nur die Cembalo-Rezitative, in denen die Sänger meisterhaft die Grenzen der Sprache ausloten, wirken wirklich frisch.

Bleiben noch die Solisten, der größte Trumpf dieser Produktion. Michael Volle, ein großer Wagner- und Verdi-Interpret, hat seinen Zenit als Don Giovanni eindeutig überschritten. Aber das mag Absicht sein: Er soll einen alternden Lebemann darstellen, der allmählich seine Kraft verliert. Sein sonorer, an den Rändern aufgerauter Bariton wirkt entsprechend kräftig, wenn er prahlt oder poltert – und wenn eine Ahnung vom nahenden Ende in ihm aufsteigt, verleiht er seiner Stimme eine grandiose Farblosigkeit. Aber wenn die Melodie einfach und liedhaft wird, wie in der berühmten Champagner-Arie, klingt seine Stimme gepresst.

Um ihn herum steht ein Ensemble junger Frauenstimmen, die ihre Rollen mit einer solchen Frische angehen, dass es eine reine Freude ist, ihnen zuzuhören. Elsa Dreisig als junge und sexuell unerfüllte Donna Elvira, die sich nach Don Giovannis Liebe sehnt und weiß, dass sie sie nicht bekommen kann.  Stimmlich zeigt sie sich verletzlich, verletzt und geradezu wütend. Gleiches gilt für Slávka Zámečníková als Donna Anna, die mit ihrem silbernen Sopran zeigt, wie komplex ihre Situation zwischen Rache am Mörder ihres Vaters, Mitschuld und Leidenschaft für einen Verführer ist, der so viel interessanter ist als ihr langweiliger Verlobter. Denn der Don Ottavio von Tenor Bogdan Volkov ist so bürgerlich, wie er nur sein kann; jemand, der viel redet, aber wenig unternimmt. Ihm gelingen überzeugende Momente in der Mittellage, aber meistens bleibt er ziemlich langweilig. Die Zerlina von Sopran Serena Sáenz klingt ebenso frisch und schillernd, wie David Oštreks Masetto sonor ist. Adam Palka, der in letzter Minute für den indisponierten Riccardo Fassi als Leporello eingesprungen ist, dessen Rolle als Lehrling seines Meisters gedacht war, gibt seiner Figur einen ungestümen Durchmarsch. Der Commendatore von Bass Peter Rose überzeugt durch solides Rollenspiel und Gesang.

Bei aller Güte der Frauenrollen und dem hervorragenden Spiel der Staatskapelle im Orchestergraben ist von psychologischer Charakterisierung oder zumindest von Regiehandwerk in dieser Inszenierung kaum etwas zu spüren, so dass viele Fragen offenbleiben.

Anhaltender Applaus, besonders für die Solisten, für den Dirigenten und das Orchester.

Zenaida des Aubris