O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Käfig voller Narren verzaubert

LA CAGE AUX FOLLES
(Jerry Herman)

Besuch am
28. Januar 2023
(Premiere am 2. Januar 2023)

 

Komische Oper Berlin

Ganz wie in einem echten Night Club fängt die Show mit einem Paukenschlag an, und Georges, der Conférencier, begrüßt sein Publikum und heißt es willkommen. Der rote Vorhang öffnet sich und offenbart mehrere überdimensionierte silbern-schimmernde Käfige, in denen buntkostümierte, närrische Vogelmenschen sitzen – Käfige voller Narren.  Dramatisch beleuchtet, applaudiert das Publikum dieses erste Tableaux. Es geht gleich weiter mit dem Ballett-Corps der Komischen Oper, fantasievoll choreografiert von Otto Pichler: eine ganze Horde von Tänzern in Flamingo-inspirierten Kostümen von Klaus Bruns mit Büscheln von pinkfarbenen Federn, die, zusammen mit den Les-Cagelles-Tanzsolisten, eine neunminütige Eröffnungsnummer hinlegen, die schon eine erste Applaus-Salve hervorruft.

Als der französische Autor und Schauspieler Jean Poiret das Stück 1973 schrieb, galten noch ganz andere Moralvorstellungen. In vielen Ländern der Welt war Homosexualität gesetzeswidrig. 1987 wurde ein Film mit Ugo Tognazzi und Michel Serrault gedreht – der war ein weltweiter Erfolg, fiel mitten in die Aids-Krise und traf den gesellschaftlichen Nerv der damaligen Generation mit dem Lied Ich bin, was ich bin. Eben diese Aussage ist genauso aktuell heute wie damals. Erzählt wird die Geschichte eines schwulen Paares: Georges, der Manager eines Nachtclubs in Saint-Tropez, in dem Travestiekünstler auftreten, und Albin, sein romantischer Partner und als Dragqueen Zaza die Hauptattraktion im Club, so wie das Durcheinander, das sich ergibt, als Georges‘ Sohn Jean-Michel die ultrakonservativen Eltern seiner Verlobten nach Hause bringt, um sie kennenzulernen.

Barrie Kosky, in seiner ersten neuen Produktion als Gastregisseur nach seiner zehnjährigen Intendanz an der Komischen Oper, gibt uns ein Kosky at his best: kurzweilig, farbenfroh, schrill, glitzernd, übertrieben, aber auch bedenklich und tiefgründig. Schon in der Vergangenheit hat sich das Team von Kosky, Pichler, Didwiszus und Bruns als sehr erfolgreich bewiesen. Bei La Cage kommt das Team kongenial zusammen: Der Regisseur führt seine Darsteller mit scharfsinnigem Witz, vielen Übertreibungen und doch auch ehrlichen Gefühlen; die Choreografien von Pichler lassen das gesamte Corps und die Cagellen steppen, wirbeln, Can Can, akrobatische Kühnheiten und immer wieder synchron Nummern tanzen; und der Kostümbildner Bruns kleidet alle in aberwitzige, glitzernde Roben, Tutus und Kopfschmuck ein. Didwiszus entwirft fast minimalistische und hoch homoerotische Interieurs à la Tom of Finland für die Privaträume von Georges und Albin und anderseits prächtig bunte Vorhänge mit Collagen von Kolibris, Flamingos und Kakadus für den Club.

Aber La Cage erfordert mehr als theatralischen Pep. Damit das Stück funktioniert, muss die Komik mit Gefühl ergänzt werden. Beide Hauptdarsteller schaffen das: der Schauspieler Stefan Kurt ist fesselnd als Albin, die oft hysterische Dragqueen, die als Zaza auftritt. Kurt ist kein klassisch ausgebildeter Sänger, und seine stimmliche Leistung ist nicht so ausgefeilt wie die vieler anderer. Aber seine Mischung aus elegantem Witz, dramatischem Gespür und emotionaler Verletzlichkeit ist durchweg fesselnd. Tenor Peter Renz, ein Liebling des Komische-Oper-Ensembles, spielt den Nachtclubbesitzer Georges, dessen Loyalität zwischen seinem Geliebten und seinem Sohn gespalten ist. Er singt mit Wärme und Schönheit und spielt mit der spröden Fröhlichkeit von jemandem, der versucht, in einem Irrenhaus den Verstand zu bewahren. Der Tänzer Daniel Daniela Yrureta Ojeda ist der perfekte Hausdiener und Vertraute Jacob und beeindruckt durch seine körperlichen Mätzchen und tadelloses komisches Timing in einer wunderbar szenenreichen Rolle. Nicky Wuchinger spielt vergleichsweise konventionell Georges‘ Sohn Jean-Michel, eine ziemlich farblose Rolle, obwohl er gut mit Maria-Danaé Bansen harmoniert, die sich geschmeidig als seine Verlobte Anne durch die Produktion tanzt. Der jetzt 84-jährige Helmut Baumann, eine Berliner Musiktheaterlegende, der 1985 in der deutschen Erstaufführung von La Cage die Rolle des Zaza spielte, verkörpert hier die Gastwirtin Jacqueline mit Charme und Eleganz.

Jerry Hermans Partitur ist und bleibt eine Mischung altmodischer Nummern im klassischen Hollywood-Stil, voller melodischer Songs und ansteckender Melodien. Dirigent Koen Schoots, der schon viel Erfahrung mit Musicals hat, hält das sehr versatile Orchester der Komischen Oper enorm in Schwung. Er unterschätzt keineswegs die Leichtigkeit der Musik und die Schwierigkeit des Musical-Genres.

Mit dieser Inszenierung hat Kosky sein ehemaliges Opernhaus in einen Ort verwandelt, an dem man einen Abend lang den täglichen öden Trott vergessen kann. Das Publikum der Komischen Oper ist bekanntlich lockerer – das ist auch an diesem Abend kostümlich erkennbar:  Viele Besucher haben sich zum Kernsatz der Oper bekannt Ich bin, was ich bin mit glitzernden Travestiekleidern, üppigen Perücken und Make-up, oder mindestens in High Heels und Stiefeln. Eine Show auch außerhalb der Bühne! Und selbstverständlich minutenlanger Jubel und standing ovations.

Zenaida des Aubris