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Die Party zum Schluss

BARRIE KOSKY’S ALL-SINGING, ALL-DANCING YIDDISH REVUE
(Diverse Komponisten)

Besuch am
15. Juni 2022
(Premiere am 11. Juni 2022)

 

Komische Oper Berlin

Spot an! Schon mit dem ersten Paukenschlag ist klar – das wird ein großartiger Abend! Wo beginnen? Beim Konzept, den Sängern, den Tänzern … mit der Musik natürlich. Die Revue ist eine Hommage an die jiddische Unterhaltung, die im Borscht-Belt – den Ferienorten der amerikanischen Catskill Mountains Mitte des 20. Jahrhunderts – üblich war.

Barrie Kosky hat lange nachgedacht, so sagt er selbst, über das letzte Stück seiner zehnjährigen Intendanz. Diese Revue ist das Resultat der Überlegungen, und besser hätte es nicht sein können. Die Abfolge von 21 Nummern bietet populäre Musik, arrangiert und dirigiert von Adam Benzwi, auf der Bühne Adam Benski genannt, und der bekannten witzigen und präzisen Choreografie von Otto Pichler. Mitglieder des Ensembles und Gaststars treten in teilweise herrlich schrillen Kostümen von Klaus Bruns auf der sehr einfach gestalteten Bühne mit vielen unterschiedlichen schillernden Vorhängen und Beleuchtungseffekte von Franck Evin auf. Kosky, der die Show auch durch aufgezeichnete Einführungen moderiert, hält das Publikum in einer heiklen Balance aus Ironie und Humor bei der Sache. Spiel- und Tanzfreude pur bei allen Teilnehmern: Da gibt es die „Mezzosopranistin aus Minsk“ Sylvie Sonitzki, eine Boygroup orthodoxer Juden, einen Tempelchor in pastellfarbenen Abendroben. Beim Finale marschieren alle auf – ein riesiges Ensemble, das von der großen Band unterstützt wird, für ein Spektakel, das das Publikum freudig und feierlich mit einem Befehl entlässt: „Tanzt!“

Barrie Kosky und Adam Benzwi haben anderthalb Jahre recherchiert und arrangiert – immerhin gibt es eine Unmenge an Material zur Auswahl. In Europa so gut wie völlig unbekannt, waren die großen Ferienhotels der Catskill Mountains an der amerikanischen Ostküste das Zentrum der jiddischen Unterhaltungskultur der 1950-er und 1960-er Jahre, als ganz Familien die Städte in den Ferienzeiten verließen und die Sommerfrische der Berge aufsuchten: Für die Kinder gab es jede Menge Sport und Spaß, für die Erwachsenen Kasinos und Shows. Viele bekannte Namen sind hier – besonders am Anfang ihrer Karriere – aufgetreten: Barbra Streisand, Jerry Lewis, Sammy Davies Jr. oder Danny Kaye beispielsweise. „Es war eine Fortsetzung der Tradition des Varietés des 19. Jahrhunderts, das auf den Bühnen Europas und in New Yorks Lower East Side das Publikum in Bann gezogen hatte und nun auf die Popmusik der 50er und 60er und die in jenen Jahren aufkommenden lateinamerikanischen Einflüsse stieß. Da mischten sich Mambo- und Samba-Rhythmen mit Popsongs in jiddischer Sprache,“ sagt Kosky in einem Interview. Adam Benzwi und Daniel Busch haben teilweise neue Arrangements geschrieben, und diese Abfolge ist nun eine Mischung aus melancholischen Soli, aberwitzigen Tanznummern mit den bewährten Otto-Pickle-Tänzern, sowie für unsere Ohren heutzutage harmlos klingende Unter-der-Gürtellinie-Witze. Was alle vereint, ist das Gefühl eines genial zusammenarbeitenden Ensembles.

Es war Barrie Kosky wichtig, so viele Ensemblemitglieder wie möglich einzubeziehen: angefangen von der umwerfenden Ruth Brauer-Kvam, die mit ihrer sexy Interpretation von Abi Gezunt, unterstützt von den Otto Pickle Dancers, den Ton für den fast dreistündigen Abend setzt. Dagmar Manzel in mehreren Rollen und ganz hinreißend in einer Elvis-Persiflage; eine elegante, schwarzgekleidete Helene Schneiderman, die einen melancholischen Song auf ihr totes Kind singt; Christoph Marti und Tobias Bonn als Vertreter der Flugindustrie, die den Evergreen von Frank Sinatra I did it my way auf Jüdisch bringen; Barbara Spitz als Laverne Kalish mit Tänzern in einem hinreißenden Makin‘ Wick-Wacky Down in Waikiki und weiteren sechzehn Nummern – mal heiter beschwingt, mal innig, immer unterhaltsam –  inklusive den launigen, eingespielten Ankündigungen von Kosky selbst, mitsamt der „Botschaft unserer Sponsoren“, die für „köstlich leichten, immer richtigen, gefilten Fisch in Gläsern“ wirbt. Sigalit Feig, Alma Sadé, Christoph Marti, Helmut Baumann, der große Max Hopp und viele mehr sind Teil der Besetzung, die die große Party mit dem ganz eigenen Kosky-Touch auf die Bühne bringen.

Es ist Koskys Abschiedsinszenierung als Intendant, aber er kommt ja nächste Saison wieder – mit La Cage aux Folles und weiteren Stücken. Mehr als alles andere ist die Revue ein Geschenk von Kosky an die Komische Oper, eine Liebeserklärung an sein Ensemble, ein Ausdruck seiner Tradition und seiner Fantasie. Bislang gibt es keine Pläne, die Revue in den Spielplan aufzunehmen. Aber vielleicht geht es doch an den Broadway? Mit der liebevollen und schwungvollen Mischung aus Nostalgie und Musikalität wäre es dort sicherlich ein großer Schlager.

Zenaida des Aubris