O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Thomas Aurin

Aktuelle Aufführungen

Im Wandel der Zeiten

ARABELLA
(Richard Strauss)

Besuch am
23. März 2023
(Premiere am 18. März 2023)

 

Deutsche Oper Berlin

Klar, alle Eltern wollen das Beste für ihre Kinder. Sogar Richard Strauss und sein Librettist Hugo von Hoffmansthal nehmen sich dieses Themas an. Allerdings auf ihre Art – das als lyrische Komödie bezeichnete Werk bietet eigentlich nichts zum Lachen. Es ist eher eine überspitzte Sicht auf die Gesellschaft einer vergangenen Zeit, auch schon damals zur Uraufführung 1933. Arabella wird oft als arme Schwester vom Rosenkavalier dargestellt. Da ist sicherlich etwas dran – ein ähnliches Milieu, eine ähnliche Melodramatik und Nostalgie. Regisseur Tobias Kratzer spielt mit theatralischen Mitteln und macht eine Zeitreise mit dieser lyrischen Komödie, die im späten 19. Jahrhundert anfängt, um sie ins 21. Jahrhundert zu bringen.

Die aristokratische, aber verarmte und verschuldete Familie Waldner und ihre Töchter Arabella und Zdenka sind in Wien, um die schöne Arabella gut zu verheiraten. Zdenka wird als Junge – Zdenko – verkleidet, weil es für eine zweite, standesgemäße Ausstattung kein Geld gibt. Arabella wird von vielen Verehrern umworben, insbesondere vom Offizier Matteo, meint aber, der Richtige sei noch nicht erschienen und hält alle Bewunderer fern. Zdenka verliebt sich in Matteo und gibt sich als sein Freund aus, insbesondere in der Vermittlung von dessen Liebesbekundungen an Arabella. Doch dann taucht der Neffe eines alten Armeekameraden des Vaters, Graf Waldner auf, Mandryka. Er hat sich in das Konterfei von Arabella verliebt, das in einem Brief an seinen verstorbenen Onkel enthalten war und vom Vater an ihn geschickt wurde – mit dem Hintergedanken, Arabella an den alten, reichen Kameraden zu verkuppeln. Nach obligaten Verwechselungen, Intrigen und Aufklärungen, entscheidet sich Arabella für den reichen, aber provinziellen Mandryka, während Zdenka und Matteo zueinander finden.

Bühnen- und Kostümbildner Rainer Sellmaier kreiert besonders im ersten Akt eine authentisch plüschige Hotel-Sacher-ähnliche Atmosphäre. Die Bühne ist zweigeteilt – mal wird rechts die Rezeption des Hotels gezeigt, mal links das Wohnzimmer der Suite oder das Schlafzimmer der Schwestern. Video-Projektionen von Jonas Dahl bringen Nahaufnahmen, die auf Details aufmerksam machen sollen – einen Blumenstrauß von einem Verehrer, das Kartenspiel der Wahrsagerin – während schnelle Bühnenwechsel stattfinden.

Der zweite Akt spielt im Flur mit etlichen Türen, die zum dahinterliegenden Ballsaal führen. Hierher kommen die drei Grafen, die Arabella umschwirren wie Motten das Licht. Hier finden Mandryka und Arabella zueinander. Hier übergibt Zdenko einen gefälschten Brief an Matteo. Diese Atmosphäre der gesellschaftlichen Spiele, des sich Näherkommens und der emotionellen Verwirrungen, nimmt Kratzer als Anlass für eine tanzende Zeitreise, die mit den Walzern des ausgehenden 19. Jahrhunderts anfängt, weiter in die turbulenten Zwanziger mit Charleston und kurzen Kleidern, über die arge Zeit des Zweiten Weltkrieges mit Chargen in Uniform und Armbinden, bis in die poppigen 50-er und 60-er, tänzerisch von den Choreografien von Jeroen Verbruggen unterstützt.

Foto © Thomas Aurin

Endlich im Hier und Jetzt des dritten Akts angekommen, gibt sich Arabella als Jeans- und Bomberjacke-tragende Göre. Die Bühne wird nur von einer großen Videotafel und einer weißen Bank bestückt. Matteo und Zdenko sehen sich ein Video der vergangenen, gemeinsam verbrachten Nacht an, in der Zdenko vorgibt, Arabella zu sein. Diese Verwechslung wird Arabella zum Verhängnis, bis Zdenko ihre wahre Identität – als Frau – preisgibt und Matteo für sich gewinnt. Schlussendlich kommt es zur Versöhnung zwischen Mandryka und Arabella. Kratzer verleiht den diversen Persönlichkeiten und Charakteren Einsicht und Gestalt. Das ist am besten in der Wandlung der Arabella erkennbar, die, obwohl sie die Phrase Du sollst mein Gebieter sein singt, sich durchaus emanzipiert und selbstbewusst gibt und ihm das obligate Glas Wasser spielerisch ins Gesicht spritzt.

Donald Runnicles leitet das Strauss-erfahrene Orchester der Deutschen Oper mit durchgehender Tendenz, die Balance zwischen Bühne und Graben zu laut zu halten. Vielleicht ist das auch der Grund, warum die Sänger fast durchweg an der Rampe singen, um sich überhaupt Gehör verschaffen zu können.

Insgesamt gestaltet sich das Sängerensemble homogen. Herausragend ist Doris Soffel als Gräfin Adelaide, durch ihre Haltung und Bühnenpräsenz wie auch stimmliche Reife für die gewichtige Rolle der Mutter der beiden Töchter. Gabriela Scherer bringt einen glanzvollen Sopran für die schönen Kantilenen, die ihr Strauss als Arabella vorschreibt. Zdenka wird von der Koloratursopranistin Elena Tsallagova mit innerer Verzweiflung und Wehmut als junge Frau verkörpert, die einen jungen Mann spielen muss, und doch keine echte Hosenrolle ist. Bass Albert Pesendorfer ist der hoffnungslos dem Kartenspiel verfallenen Vater, Graf Waldner, der sich freut, dass seine Intrige letztendlich doch gut ausgeht.  Russell Braun als Mandryka verleiht seinem Werben um Arabella mit einem warmen Bariton Glaubwürdigkeit. Tenor Robert Watson ist als Matteo überzeugend verzweifelt. Dagegen sind die drei Grafen, die um Arabella werben – Thomas Blondelle, Kyle Miller und Tyler Zimmerman – Randfiguren, die die Geschichte nicht wirklich voran bringen.

Mit Arabella hat Tobias Kratzer einen Strauss-Zyklus an der Deutschen Oper angefangen, der mit Intermezzo und Frau ohne Schatten in den nächsten Spielzeiten fortgesetzt wird. Wir können auf seine Sichtweisen gespannt sein.

Zenaida des Aubris