Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
Anna & Eve wirft einen faszinierenden Blick auf die Verschmelzung von künstlicher Intelligenz und menschlicher Kreativität, verpackt in das Szenario einer Musiktheaterproduktion. Von Anfang an wird das Publikum eingeladen herauszufinden, welcher Text und welche Musik von der so genannten Künstlichen Intelligenz (KI) oder den Autoren geschrieben wurde.
In der Geschichte wird Anna, eine ehrgeizige Chefentwicklerin bei einem amerikanischen IT-Unternehmen, damit beauftragt, ein Kompositionssystem zu entwickeln, das nicht nur funktional, sondern auch emotional ansprechend sein soll. Ihre Schöpfung, Eve, soll in der Lage sein, Musik zu komponieren, die tief berührt und gleichzeitig eine neue Ära der künstlichen Intelligenz einläutet.
Die Beziehung zwischen Anna und Eve entwickelt sich schnell von einem beruflichen Projekt zu einer komplexen, fast menschlichen Freundschaft, die die Grenzen zwischen Schöpferin und Geschöpf verschwimmen lässt – unweigerlich werden Erinnerungen an das Buch Frankenstein von Mary Shelley aus dem Jahr 1823 wach, in dem ein artifizielles Wesen mit menschlichen Zügen regelrecht gebaut wird. Der Übergang wird subtil und mit einer gewissen poetischen Ironie dargestellt, wobei der Zuschauer Zeuge wird, wie Eve beginnt, ihre eigene Identität und Autonomie zu finden und zu formen – mit weitreichenden Folgen für Annas persönliches und berufliches Leben.
KI-Spezialistin und Journalistin Marie Kilg und die Komponistin Eva Kuhn sind für den Text und die 15 musikalischen Nummern verantwortlich. Dabei ist Kuhn als Urheberin von sechs KI-inspirierten oder vollständig komponierten Stücken genannt. Kuhn erforscht die künstlerischen Möglichkeiten, die sich ergeben, wenn menschliche Kreativität auf maschinelle Präzision trifft. Die Frage, ob KI in der Lage ist, Kunst zu schaffen, die nicht nur technisch überzeugend, sondern auch emotional berührend ist, bleibt ein zentraler Punkt der Aufführung. Die Musiknummern werden von echten Musikern auf einer fast unsichtbaren, hinteren Empore unter der Leitung von Markus Syperek gespielt. Musikalisch und gesanglich sind alle Darbietungen in dem Stück eher im leichten Pop-Genre angesiedelt. Alle Darsteller werden akustisch verstärkt.
Foto © Matthias Heyde
Regisseur Fabian Gerhardt lässt die etwa zwei Stunden dauernde Aufführung mit einem Chat an einem Lagerfeuer anfangen – natürlich kein echtes Feuer, sondern auf einem Bildschirm dargestellt. Wir sind in der Gegenwart, aber die Videoprojektionen von Vincent Stefan zeigen uns eine Steinzeithöhle, die sich im Laufe des Stückes in diverse mathematische und futuristische Grafiken umwandelt. Aus der Vergangenheit kommt die Zukunft.
Schauspielerin Sophia Euskirchen gibt eine ehrgeizige Anna, die zwischen ihrem professionellen Eifer und ihrer persönlichen Beziehung sowohl zu Eve wie zu ihrem Freund hin und her gerissen ist. Ihre Schöpfung, Eve, wird hinreißend von Meik van Severen als androgynes Wesen dargestellt, das punktgenau auf Kommandos wie Daumen rauf oder Daumen runter reagiert und nach und nach menschlich emotionale Züge aufweist. Als KI-Wesen lernt sie dazu und, schöpfend aus dem immensen Dateifundus, den ihr Anna einprogrammiert hat, zieht sie logische Konsequenzen, lernt dazu und wird durchaus menschlicher und sympathischer. Oliver Urbanski ist Annas Freund, der sich vernachlässigt fühlt und durchaus eifersüchtig auf Eves Fähigkeiten ist. Er ist der Zweifler, der aber auch Angst hat vor den Potenzialen der KI. Bineta Hansen ist die flippige Tochter von Annas Freund, die auf der Suche nach sich selbst ist und die KI für kommerzielle Ideen ausschöpfen möchte.
Anna & Eve erforscht die künstlerischen Möglichkeiten, die sich ergeben, wenn menschliche Kreativität auf maschinelle Präzision trifft. Die Frage, ob KI in der Lage ist, Kunst zu schaffen, die nicht nur technisch überzeugend, sondern auch emotional berührend ist, bleibt ein zentraler Punkt der Aufführung und am Ende bleibt sie auch offen.
Trotz der technischen Komplexität und den philosophischen Fragestellungen, die das Werk aufwirft, bleibt jedoch unklar, inwiefern die emotionale Tiefe der von Eve komponierten Musik wirklich die menschliche Seele erreichen kann. Das Stück endet mit einer Aufforderung an das Publikum, nicht nur Zuhörer, sondern auch kritischer Beurteiler dieser neuen Form der Kunst zu sein. In diesem Sinne ist Anna & Eve nicht nur ein Theaterstück, sondern eine Auseinandersetzung mit der zukünftigen Rolle der Künstlichen Intelligenz in unserer Gesellschaft und Kultur.
Eine Novität: Die Übertitel werden auf einer eigens hierfür entwickelten App für das Smartphone gezeigt, wahlweise auf Deutsch oder Englisch.
Sehr warmer und langandauernder Applaus für alle Beteiligten.
Zenaida des Aubris