O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Barbara Braun

Aktuelle Aufführungen

Jubiläum mit Perspektive

75 JAHRE KOMISCHE OPER BERLIN
(Diverse Komponisten)

Besuch am
23. Dezember 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Komische Oper Berlin

Wenn sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit einer mindestens zehnminütigen Würdigung an den Geist der Komischen Oper über die Jahrzehnte und „die tiefe menschliche Sehnsucht, die inmitten von Zerstörung und Verwirrung nach Orten und Stunden sucht, in denen Humanität lebendig ist“ erinnert, dann können alle Mitglieder der Komischen Oper stolz sein, Teil dieses Theaters zu sein.  Und das sind sie auch, wie die vielen Videobeiträge, Ausschnitte, Interviews und Gespräche, die Axel Ranisch zusammengestellt hat, zeigen.

Ein Theater an der Behrenstrasse in Berlin gab es schon seit 1764. Immerhin hat hier die Uraufführung von Goethes Götz von Berlichingen 1774 und Lessings Nathan der Weise 1783 stattgefunden. Und hier hat sich auch die neue Gattung des deutschen Singspiels – entlehnt der der französischen Opéra comique – als Gegenteil der eher höfischen italienischen Oper entwickelt. Im 20. Jahrhundert hieß es Metropol-Theater und wurde international bekannt für die Operetten von Franz Lehár, Emmerich Kálmán, Oscar Straus oder Paul Abraham. 1944 kam die Schließung aller Theater. Anfang 1945 dann die Zerstörung durch die Bomben. Aber schon gleich nach dem Ende des Krieges wurde angedacht, das Theater wieder aufzubauen.

Nach der feierlichen Einleitung des Bundespräsidenten stimmt Hendrik Vestmann das Orchester zur Ouvertüre der Fledermaus an. Währenddessen wird auf der bühnenfüllenden Leinwand ein Rückblick auf die Ruinenstadt Berlin nach dem Ende des Krieges gezeigt – Schwarzweiß-Aufnahmen des damaligen Metropol-Theaters in Zerstörung, die buchstäbliche manuelle Arbeit der Trümmerfrauen, der mühsame Wiederaufbau mit nur rudimentären Arbeitsmaterialien und -maschinen. Alleine die Vorlesung des Briefes von Walter Felsenstein an die Kulturabteilung der sowjetischen Zentralkommandantur vom 9. Juni 1947, in dem er eine ganze Liste an Gegenständen aufführt, die notwendig sind, damit seine Mitarbeiter überhaupt arbeiten können – drei Schreibmaschinen, drei Nähmaschinen, etliche Sägen, Hammer, Werkzeug, Nägel, Stoffe und vieles mehr. Heute schmunzeln wir darüber, damals war es bitterernst.

Und dann die Premiere der Fledermaus eben genau am bitterkalten Abend des 23. Dezember 1947. Felsensteins felsenfeste Überzeugung, dass eben eine deutsche Opéra comique das richtige Pendant zur Staatsoper ist. Hier sollte internationales Musiktheater in deutscher Sprache gezeigt werden, hier sollte sich jedes einzelne Mitglied als Teil eines Ensembles, einer Familie fühlen, wo jeder Chorsolist den gleichen Vertrag wie ein Solist erhielt.  Während des Abends sind es die ausdrucksstarken Videoeinspielungen, die den eigentlichen Einblick geben: Ob ein Gespräch mit Felsenstein über seine Visionen für das neue Haus, auch mit seinem Sohn, der die menschliche Seite seines Vaters unterstrich, dann Harry Kupfer mit seiner Philosophie des realistischen Musiktheaters, Andreas Homoki und Vladimir Jurowski.  Leider wird der bedeutende Regisseur Joachim Herz, der als Intendant von 1976 bis 1981 fungierte, mit keinem Wort genannt.

Selbstverständlich kommt auch Barrie Kosky zu Wort, der das Haus zwischen 2012 und 2022 sowohl als Intendant wie auch mit vielen eigenen Produktion geführt hat und sicherlich zum internationalen Renommee enorm beigetragen hat. Immerhin reisen viele Besucher heutzutage nach Berlin, nur um eine Vorstellung an dieser Oper besuchen zu können. „Das Theater spiegelt die Stadt“, wird Barrie Kosky auf der Premierenfeier nach der Gala sagen.

Sehr authentisch auch die Interviews mit Sabine Franz, die schon seit 44 Jahren am Haus arbeitet, erst als junge Tänzerin, jetzt als Chefinspizientin, und mit Andrea Willert, langjährige Chorsolistin, die mit viel Liebe über ihre Arbeit am Haus sprechen, wo auch die eiserne Disziplin zu Wort kommt, die eben eine professionelle und kreative Arbeit erfordert.

Aber zurück zur Gala:  Zwischen den Videobeiträgen gibt es live-Einlagen, die alle Ensemblegruppen zur Geltung bringt: Da ist der Chor der Fuchskinder aus der Oper Das schlaue Füchslein von Leoš Janáček, das Terzett Soave sia il Vento aus Mozarts Così fan tutte, ein Duett aus Liebe zu drei Orangen von Sergei Prokofjew. Neben den großartigen Videobeiträgen wirken die echten Beiträge fast etwas blass und lassen einige spektakuläre Szenen wie das Ballett der Nasen aus der gleichnamigen Oper von Dmitri Schostakowitsch vermissen.

Zum Schluss auch ausgiebige Gespräche mit den jetzigen Ko-Intendanten Susanne Moser und Philip Bröking – immerhin werden beide die Hauptverantwortung für den bevorstehenden großen Umbau tragen.  Ab Juni 2023 zieht die Komische Oper in die Räumlichkeiten des Schiller-Theaters in Berlin-Charlottenburg, und dann wird das jetzige Haus, insbesondere alle Räumlichkeiten hinter der Bühne und alles um den Bühnenraum herum, nach den Plänen von Kilian Kada saniert und umgebaut. Nach einer ursprünglichen Prognose von 227 Millionen wird inzwischen mit rund 437 Millionen Euro und einer Bauzeit von mindestens zwei Jahren kalkuliert.

Zuletzt dann doch noch ein Bonbon: Ein kleiner ägyptischer Flirt aus Die Perlen der Cleopatra mit der einzigartigen Dagmar Menzel in der Titelrolle, den Chorsolisten und dem Ballett. Bunt, quietschvergnügt, frech und überdreht, so wie es das Publikum der Komischen Oper liebt.

Großer Applaus und Dank an alle Beteiligten, die dann wie das Publikum auf ein Gläschen und Geburtstagskuchen im Foyer eingeladen sind.

Zenaida des Aubris