O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Wilfried Hösl

Aktuelle Aufführungen

Die Diva im Zeittunnel des Operntodes

7 DEATHS OF MARIA CALLAS
(Marina Abramović)

Besuch am
10. April 2022
(Premiere am 8. April 2022)

 

Deutsche Oper Berlin

Um eine Opernaufführung handelt es sich hier nicht … Die Protagonistin ist keine Opernsängerin. Was ist es dann? Wer ist die Künstlerin? Marina Abramović ist Performance-Künstlerin. Sie sagt von sich, dass sie ihren Körper als Instrument, als Objekt einsetzt, und zwar in der Regel nicht ohne den Einsatz einer physischen und mehr noch mentalen Schmerzensgeste. Auch den Betrachter bezieht sie je nach dessen eigener Bereitschaft zur Intensität der Begegnung mit ein. Über viele Jahre gibt es verstörende Berichte von internationalen Projekten rund um den Globus, die über diese Schmerz- und Begegnungsintensität berichten.

Das prominenteste Projekt fand im Museum of Modern Art in New York statt. Unter dem Titel The Artist is Present konnten sich ihr die Besucher an einem Tisch für eine Minute zum Blickduell gegenübersetzen. Es bildeten sich endlose Schlangen von Interessierten. Abramović hielt das drei Monate lang durch, jeden Tag, acht Stunden. Eine der rhetorisch-intellektuellen Sphäre des Westens gänzlich fremde Form der Begegnung und Kommunikation.

Die Stimme Maria Callas‘ hat sie seit ihrem vierzehnten Lebensjahr verehrt. Abramović versucht sich in die Einsamkeit der großen Sängerin am Schluss ihres Lebens einzufühlen, als sie in ihrer Wohnung in Paris vereinsamt auf den Tod wartete. Sie litt zeitlebens darunter, dass Onassis sie für Jackie Kennedy verlassen hatte.  Abramović mag sich auch in ihre eigene Biografie, insbesondere die Trennung von ihrem langjährigen Partner Ulay versetzt haben, mit dem sie viele Jahre in unwiederbringlicher künstlerischer Einheit lebte. Ihr Thema auch hier ist die Intuition in Extremsituationen, existenzielle Herausforderungen, letztlich auch Todesgefahr oder -nähe, wenngleich der Widerstand dem Tod gegenüber ebenso thematisiert wird.

Was unternimmt Abramović während der Performance? Unmittelbar nicht viel. Sie liegt im Bett vorne rechts am Bühnenrahmen. Schläft sie, lebt sie noch? Dahinter werden bühnengroße Filme präsentiert, in welchen sie – oft mit dem Schauspieler Willem Dafoe – in assoziativ-kurzen, teils fantastischen Spielszenen unter der Regie von Nabil Elderkin zum Gesang der Callas-Arien agiert.

Ebenfalls auf der tendenziell abgedunkelten Vorderbühne treten wie Dienerinnen in blass-blauen Gewändern sieben Sängerinnen vor diesen Filmszenen auf, um sieben Arien, die auch die Callas gesungen hat, vorzutragen. Sie sind richtige Opernsängerinnen.

Es entwickelt sich ein Erleben wie bei einem Flug zurück durch den Zeittunnel von Todesszenen italienischer und französischer Opern. Im Körper von Marina Abramović spürt die vereinsamte Diva ihren eigenen Tod, blickt und fühlt zurück im Empfinden der sieben großen Arien, die sie ehemals selbst gesungen hat.

Die Übergänge werden von Klangeinschüben – teilweise unter Begleitung durch einen kleinen Damenchor – mit pathetischem Inhalt ausgefüllt. In diesen Übergängen schwebt die Szene mit Videoproduktionen von Marco Brambilla über farbig-changierende Wolkenformationen zum nächsten Teil über. Erst vor der letzten Szene wird das Zimmer der Callas sichtbar und das Mobiliar von den Sängerinnen mit schwarzen Schleiern verdeckt.

Am Schluss steht Abramović am vorderen Bühnenrand, als ob sie selbst die Casta-Diva-Arie aus Norma sänge, die von einer Aufnahme der Callas eingespielt wird und sehr plötzlich und unvermittelt – bei schmerzhafter Unterbrechung des musikalischen Bogens – abbricht.

Foto © Wilfried Hösl

Licht aus – das war’s.

Unter der Formenstrenge der Gattung Oper ist die gesamte Darbietung Kitsch – aber es handelt sich hier ja nicht um eine Opernaufführung …

Die Problematik des Konstrukts liegt darin, dass Abramović sich nicht allein auf die eigene Intensität verlassen kann, sondern gewissermaßen einen Umweg über die Stimme der Callas nimmt, „die nicht vergeht“.

Und doch ist die Stimme der Callas nur als Aufzeichnung dabei, und man muss in Referenz zur Abramović feststellen, dass dieser Umweg nicht dieselbe Intensität entfaltet wie ihr ureigener Auftritt. Wobei den sieben Sängerinnen ein Auftritt ohnehin nur in einem sehr streng bemessenen Rahmen zugestanden wird.

In dem im Programmheft veröffentlichten Interview betont sie, dass sie auch neues, jüngeres Publikum in die Oper bringen will. Das ist in den Vorstellungen in Berlin gelungen. Die kleine Aufführungsserie von drei Vorstellungen ist komplett ausverkauft. Sie äußert explizit die Hoffnung, dass sich nunmehr dieses neue Publikum auch regelmäßig weitere Opernaufführungen ansehen werde.

Die Sängerinnen singen auf unterschiedlichem Niveau. Die Deutsche Oper bietet unter anderem zwei Stipendiatinnen des Hauses eine großartige Auftrittsgelegenheit. Die Lucia der Adela Zaharia ist überwältigend, und sie singt zurzeit auch in einer echten Opernaufführung der Lucia di Lammermoor im Haus an der Bismarckstraße. Da können die vielen neuen Zuschauer gleich wieder hingehen. Im Übrigen wird das Opernhaus selbst sicher noch Ideen entwickeln, wie man dieses potenzielle Interesse aufgreifen kann.

Die Sängerinnen werden vom Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Yoel Gamzou begleitet. Der Dirigent ist nicht wieder zu erkennen: Keine 24 Stunden zuvor hat er als Generalmusikdirektor am Musiktheater Bremen eine feinnervige, rhythmisch hervorragend abgestufte Jenůfa-Premiere dirigiert, keine leichte Kost. Bei dieser Performance liefert er hingegen einen schwerfälligen Breitband-Klang ab. Wenn das für die Ziele dieser Performance genauso soll, hat der Zuhörer keine Gelegenheit zu erahnen, wie diese Musik klingen kann. Wer kann so die Musik und diesen hervorragenden Dirigenten richtig hören und würdigen, vom ebenso überzeugenden Orchester ganz zu schweigen? Aber es handelt sich ja hier nicht um eine Opernaufführung …

Die Uraufführung dieser international erwarteten Performance fand am 11. April 2020 an der Bayerischen Staatsoper in München statt und wird Corona-bedingt erst jetzt in Berlin gezeigt. Die Produktion ist außerdem eine Koproduktion mit dem Maggio Musicale Fiorentino, der Greek National Opera und der Opera National de Paris, auch dort handelt es sich nicht um Opernaufführungen …

Achim Dombrowski