O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Klavier trifft Gitarre

ZWEI IN EINEM
(Diverse Komponisten)

Besuch am
11. Dezember 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Sinngewimmel, Bergisch Gladbach

Die Pianistin Naré Karoyan liebt Wortneuschöpfungen. Deshalb hat sie ihren kleinen Konzertsaal im Bergisch Gladbacher Stadtteil Refrath Sinngewimmel genannt. Und selten hat sie mit dem originellen Namen die monatlichen Aufführungen dort so getroffen wie heute Abend. Während andere Künstler vollmundig davon erzählen, dass sie „Genre-Grenzen sprengen“ und „spartenübergreifend“ arbeiten wollen, macht Karoyan es einfach. Nein, sie vermischt die Kunstrichtungen nicht, sondern stellt sie einander gegenüber. Unter dem Titel Zwei in Einem lädt sie eine Pianistin und ein Gypsy-Jazz-Trio ein, eben Ein Konzert, zwei Musikrichtungen, so der Untertitel des Konzerts, das zudem noch Überraschungen bietet.

Allmählich scheint sich das Sinngewimmel als Geheimtipp herumzusprechen. Da reist ein gut Teil des Publikums im bis auf den letzten Platz gefüllten Saal auch schon mal mit der Straßenbahn aus Köln an. Zugegeben, die Herausforderung ist nicht allzu groß, hält sie doch quasi vor der Haustür. Aber trotzdem muss einem erst mal ein ansprechendes Programm geboten werden, um sich auf den Weg zu begeben. Und das gelingt Karoyan immer wieder.

Rhythmie Wong – Foto © O-Ton

Was die Gäste an diesem Abend nicht wissen: Sie werden das vorerst letzte Konzert der Pianistin in Europa erleben. Denn die gebürtige Chinesin Rhythmie Wong kehrt zum Jahreswechsel zurück nach Hong Kong. Einen solchen Abschied erlebt man ja nicht alle Tage. Das hätte man ein klein wenig feiern können. Stattdessen eilt die kleine, zierliche Person zum Flügel, setzt sich auf die Kante des Hockers und startet fulminant in die Étude Op. 25 Nr. 8 in Des-Dur von Frédéric Chopin. Das Pianisten sich im Klassikbetrieb nicht mit überflüssigen Begrüßungen des Publikums aufhalten, ist ja so bekannt und unhöflich wie längst überholt. Wong kann das noch toppen. Sie wendet sich vom Publikum ab, den Blick gegen die Wand hinter ihr gerichtet. Das hat schon autistische Züge. Während ihres gesamten Vortrags wird sie nicht einmal den Blick ins Publikum richten. Da muss man erst mal durchatmen und sich gewöhnen. Denn sowohl das Programm wie auch der Vortrag sind eindrucksvoll. Insgesamt stellt sie vier Etüden Chopins in einen Rahmen mit vier der Moments musicaux von Sergej Rachmaninow, von denen der Komponist gesagt hat „Was ich versuche, wenn ich meine Musik aufschreibe, ist, einfach und direkt zu sagen, was in meinem Herzen vorgeht, wenn ich meine Musik komponiere“. In der Zusammenstellung der Stücke von Chopin und Rachmaninow entsteht eine emotionale Tal- und Bahnfahrt, die die Hörer eine halbe Stunde lang gefangen nimmt. Da gibt es die träumerischen Passagen ebenso wie die heiteren Momente, den Galopp so gelungen wie die nachdenklichen Stellen. Und ganz zum Schluss, bei der Verbeugung unter langanhaltendem Applaus, gelingt es Wong sogar, ein Lächeln in den Raum zu schicken.

Mindestens ebenso temperamentvoll, wenngleich erheblich mehr dem Publikum zugewandt, übernimmt das Martin-Henger-Trio die Bühne. Um gleich mal zu verkünden, dass der Namensgeber gar nicht anwesend ist, man aber trotzdem Gypsy Jazz spielen wolle. Stattdessen tritt Jermaine Reinhardt an der Gitarre auf. Hinter ihm wird Julian Walleck am Bass die Musik begleiten, neben ihm sitzt Taylor Pauken mit seiner Gypsy-Jazz-Gitarre. Diese Instrumente zeichnen sich durch ein kleineres Resonanzloch aus, was die leicht metallisch klingenden, typischen Töne bewirkt, sowie durch eine Einfaltung – einen cut-out – des Resonanzraums, die es ermöglicht, sehr viel leichter auch die Saiten am Ende des Halses zu erreichen, wodurch sich eine höhere Virtuosität ergibt.

Jermaine Reinhardt, Julian Walleck und Taylor Pauken (v.l.n.r) – Foto © O-Ton

Die drei, damit ist dann auch die letzte Überraschung des Abends gelüftet, spielen in dieser Konstellation zum ersten Mal zusammen. Schön, dass es so gut klappt, dass sie in der Mitte ihres Auftritts beschließen, es noch mal zu versuchen. Eröffnet wird vorerst mit einem absoluten Klassiker. All of me ist ein Lied, das 1931 für eine kleine Revue im Detroiter Fisher Theatre entstand. Komponist war Gerald Marks. Interpreten wie Count Basie oder Frank Sinatra nahmen sich des Songs ebenso an wie Duke Ellington und Ella Fitzgerald. Damjan Pejcinoski arrangierte ihn für Gypsy Jazz in einer weiteren großartigen Version. Übrigens nicht zu verwechseln mit dem späteren Erfolg von John Legend, der unter gleichem Titel eine Liebesballade veröffentlichte. Autumn Leaves ist einer der vielen erfolgreichen Songs von Eric Clapton, was die Herren an diesem Abend mit ihren Improvisationen gut zu verschleiern wissen. Selbstverständlich darf Django Reinhardt an diesem Abend nicht fehlen, auch wenn es kein Quintette du Hot Club de France gibt, mit dem der Gitarrist seine größten Erfolge feierte. Immerhin war er derjenige, der als Begründer oder Vorreiter, je nach musikgeschichtlicher Auffassung, des europäischen Jazz gilt.

Während die drei ihre Versionen von Joseph, Joseph oder Claire de Lune darbieten, geht einem einmal mehr durch den Kopf, ob sich die Bedeutung des Begriffs Zigeuner nicht längst vom Schimpfwort zu einem eher romantischen Begriff gewandelt hat. Django Reinhardt ist als Manouche, als französischer Zigeuner, am Stadtrand von Paris aufgewachsen, in einem Wohnwagen, dessen Brand ihn fast das Leben gekostet hätte. In der Folge seiner Verletzungen hat er neue Spieltechniken auf seinen Gitarren entwickelt. Ein Zigeuner, der es ganz nach oben geschafft hat. Weil er sich nicht um Schubladen gekümmert hat. Jedenfalls ist das Selbstbewusstsein, mit dem das Trio seine Musik zu Gehör bringt, vollkommen berechtigt. Und dass der Gypsy Jazz überlebt, ist großartig. Mit der Zugabe von Minor Swing beendet das Trio schwungvoll einen wunderbaren Abend.

Karoyan hat viel gewagt. Sie wird die Klavier-Enthusiasten genauso wenig vom Jazz überzeugt haben wie umgekehrt. Aber für einen Abend hat sie das gesamte Publikum für beide Musikrichtungen begeistern können. Also weiter so.

Michael S. Zerban