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SERGEI RACHMANINOV ZUM 150. JUBILÄUM
(Sergei Rachmaninov, Vladimir Drozdoff)

Besuch am
28. Januar 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Sinngewimmel, Bergisch Gladbach

Mal am Samstagabend ein Konzert in intimer Runde genießen. Das geht gut im Kammermusiksaal Sinngewimmel von Naré Karoyan und Florian Noack in Bergisch Gladbach. Hier wirst du auf das Freundlichste bei der Ankunft persönlich begrüßt, sehr viele der Gäste gleich namentlich. Man kennt sich, und da ist es nicht verwunderlich, dass auch an diesem Abend wieder alles bis auf den letzten Platz besetzt ist. Schließlich wissen die Besucher, dass sie auf vergleichsweise kleinem Raum allererste Qualität erwartet. Und beim Programm vertrauen die Besucher ganz auf Karoyan und Noack.

Heute Abend gibt es im Stadtteil Refrath Besuch aus Amsterdam. Cellistin Ella van Poucke und Pianist Caspar Vos sind angereist, um für feinste Unterhaltung zu sorgen. Beide bereisen als Solisten die Bühnen dieser Welt, wenn sie nicht gerade kammermusikalisch unterwegs sind oder an den Hochschulen Amsterdam und Den Haag lehren.

Als Lehrer war er vollkommen ungeeignet. Ein zweiter Chopin konnte also aus ihm nicht werden. Stattdessen verdiente er sein Geld als Dirigent und Pianist. Da konnte er bereits einen ersten großen Kompositionserfolg mit seinem 1. Klavierkonzert in fis-moll verzeichnen. Die Rede ist von Sergei Wassiljewitsch Rachmaninoff. Am 1. April 1873 wurde er in Nowgorod geboren, sein Leben über nahezu zwei Weltkriege von Flucht bestimmt. Aber immer gab es noch Zeit zu komponieren. Als er zwei Jahre vor Ende des Zweiten Weltkriegs in Beverly Hills einem Krebsleiden erlag, hinterließ er ein Oeuvre, das ihn in der Welt der klassischen Musik bis heute unvergessen werden ließ. Dass er dieses Jahr 150 Jahre alt geworden wäre, ist für van Poucke und Vos Grund, ihn zu feiern. Und so heißt es auch im Sinngewimmel: Sergej Rachmaninow zum 150. Jubiläum.

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Van Poucke und Vos eröffnen mit einem Prèlude und einem orientalischen Tanz – und haben bereits gewonnen. Atemwegserkrankungen ersticken scheinbar im Keim. Unbeweglich sitzen die Besucher auf ihren Stühlen. Und Vos kann die Spannung noch steigern. Er erzählt von Vladimir Drozdoff, einem russischen Pianisten und Schüler von Rimsky-Korsakov, der nach New York auswanderte. Seine große Bewunderung für Rachmaninow veranlasste ihn, das dreisätzige Stück Au tombeau de Rachmaninoff, also am Grab von Rachmaninow, zu komponieren. Im ersten Satz, dem Dies irae, dem Tag des Zorns, ist die Trauer, Wut und Hilflosigkeit festgehalten, im zweiten Satz, dem Epitaphe, verstärkt sich die Hilflosigkeit, Fragen nach dem Sinn werden laut, ehe im dritten Satz Psalmodie du printemps die Aussöhnung mit dem Verlust, ja, die Freude darüber, den verlorenen Menschen gekannt zu haben, in den Vordergrund tritt. Zwar ist auf dem Programmzettel der Dies irae angegeben, die berückende Schönheit des Stücks, das Vos dann interpretiert, spricht allerdings eher für die Psalmodie du printemps.

Das kann zwar die viersätzige Sonate für Cello und Klavier op. 19 nicht mehr überbieten, aber sie steht auch in der Virtuosität der Interpretation um keinen Deut zurück. Es ist nicht nur eine Wonne, im wohlgeheizten Raum der Musik entspannt zu lauschen, sondern auch, den beiden beim Umgang mit ihren Instrumenten aus unmittelbarer Nähe zuzuschauen. Da verfliegt die Zeit.

Einen kurzen Nachschlag gibt es noch mit der Vocalise op. 34, dann ist auch diese großzügige Stunde Geschichte. Das Publikum ist beglückt. Und wenn die alte Dame im Rollstuhl sich die Augen wischt und dem Kritiker aufträgt „Schreiben Sie nur, wie schön das war!“, dann ist dem nichts mehr hinzuzufügen.

Ende Februar geht es im Sinngewimmel weiter mit Frei, aber einsam, einem Kammermusikabend mit Klarinette und Klavier.

Michael S. Zerban