Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
SONNENFLAMMEN
(Siegfried Wagner)
Besuch am
16. August 2020
(Premiere am 15. August 2020)
Internationale Siegfried-Wagner-Gesellschaft, Reichshof, Bayreuth
Es ist ein warmer Sonntag im August in Bayreuth. Normalerweise ist die Stadt voll mit internationalen Festspielgästen, die am Nachmittag zum Grünen Hügel wallen und den Werken ihres großen Meisters huldigen. Doch was ist schon noch normal in diesem Sommer? Wie jeder weiß, fielen auch die diesjährigen Bayreuther Festspiele der Corona-Pandemie zum Opfer, zu allem Übel musste auch die Chefin der Festspiele, Richard Wagners Urenkelin Katharina, aus gesundheitlichen Gründen die Leitung auf unbestimmte Zeit niederlegen, und das mit Spannung erwartete Debüt von Günther Groissböck als Wotan im neuen Ring des Nibelungen wurde sogar um zwei Jahre verschoben. Keine schöne Aussichten für diesen Sommer.
Und dennoch wird Wagner gegeben, allerdings ein Werk seines Sohnes Siegfried, der bisher eher stiefmütterlich in Bayreuth behandelt wurde. Doch die Internationale Siegfried-Wagner-Gesellschaft und die von ihr beauftragte Organisation International Siegfried Wagner Performances Project haben es sich zur Aufgabe gemacht, sämtliche Bühnenwerke von Siegfried Wagner auf nationaler und internationaler Ebene zu produzieren. Nachdem im vergangenen Jahr die Oper An allem ist Hütchen schuld, neben dem Bärenhäuter das bekannteste Werk von Siegfried Wagner, mit großem Erfolg gegeben wurde, steht in diesem Jahr seine achte Oper Sonnenflammen auf dem Programm. Doch die Vorbereitungen für diese Aufführungen standen unter keinem guten Stern. Eigentlich sollte das Werk in der Inszenierung von Peter P. Pachl mit den Solisten des Pianopianissimo-Musiktheaters und dem Karlsbader Symphonieorchester unter der musikalischen Leitung von David Robert Coleman zur szenischen Erstaufführung im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth kommen.
Foto © Joshua Luca Olbrich
Aufgrund der aktuellen Krise und der fortdauernden Restriktionen mussten diese Aufführungen leider abgesagt werden. Um das Projekt nicht sterben zu lassen, gibt es nun im Rahmen von Bayreuth Summertime eine reduzierte Version von Siegfried Wagners Sonnenflammen – mit den Solisten des Pianopianissimo-Musiktheaters, ohne Chor und Orchester – als „Szenische Vision einer Oper“ mit dem digitalen Orchester von Ulrich Leykam auf der Kulturbühne Reichshof. Das ist übrigens ursprünglich ein altes Kino gewesen, wo Siegfried Wagner und seine Frau Winifred in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts den einen oder anderen Film geschaut hatten. Kurz vor Probenbeginn dann der nächste Schock. Johannes Föttinger, der in dieser Produktion die große Partie des Gomella verkörpern sollte, wird tot in seiner Wiener Wohnung aufgefunden. Ihm zum Gedenken wird diese Inszenierung gewidmet. Regisseur Pachl gelingt es trotzdem, die schwierige Partie zu besetzen, und zwar mit einer Doppellösung. Dirk Mestmacher mimt die Partie des Hofnarren auf der Bühne, und William Wallace singt von der Seitenbühne.
Das Werk ist inhaltlich schon etwas krude und am Anfang nicht ganz leicht zu durchschauen. Kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs erzählt Wagner die Geschichte eines gestrandeten Deserteurs im untergehenden Kaiserreich Byzanz. Der von seinem Vater Albrecht wegen eines Fehltritts verfluchte, fränkische Ritter Fridolin will in den Kreuzzug ziehen, bleibt aber wegen der Liebe zu Iris, der Tochter des Hofnarren Gomella am byzantinischen Hof hängen. Hier hat er in Kaiser Alexios einen mächtigen Gegenspieler, der mit Iris einen Nachkommen zeugen will, da sein eigenes Kind mit der Kaiserin debil ist. Byzanz gerät Fridolin mit seiner furchtbaren Sonnenhitze zum Symbol der Sonnenflammen. Iris warnt Fridolin vor der verzehrenden Sonne Byzanz‘, und als solche entpuppt sich auch Kaiser Alexios selber, der sich als „Sonne“ verehren lässt. Wie Sonnenflammen treffen Fridolin aber auch Iris‘ Augen, und auf diese verweist Fridolin, wenn er am Ende stirbt. Die Tragödie spiegelt die Stimmung in Deutschland zur Entstehungszeit als Tanz auf dem Vulkan wider, mit deutlichen Parallelen zur Gegenwart. Irisierende Klangflächen, rhythmisch packende Ensemble-Sätze und leidenschaftliche Kantilenen kennzeichnen die symbolstarke Tonsprache Wagners.
Siegfried Wagners achte Oper Sonnenflammen wurde 1912 vollendet, erlebte ihre Uraufführung aber erst 1918 in Darmstadt. 1920 kam das Werk an der Hofoper Dresden zur Aufführung, von Wagner selbst inszeniert, mit Richard Tauber als Ritter Fridolin. Erstmals seit der konzertanten Wiederaufführung 1979 in Wiesbaden brachte das Opernhaus Halle im Januar 2002 eine komplette Wiedergabe dieser Oper. Und nun, als verkürzte szenische Vision einer Oper, Bayreuth 2020. Begleitet wird diese Aufführung in der Bayreuther RW21 Galerie mit einer Ausstellung zur Oper und ihrer Symbolik.
Wagner war wie sein Vater stets sein eigener Librettist. Hier malt er den Hof von Byzanz – das Geschehen spielt zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts – in ganz schillernder Weise, umreißt das Handeln der Kreuzritter mit „Raufen – Taufen – Saufen“ und entwirft makabre Festivitäten. Das Werk ist voller Weltuntergangsstimmung und so auch das Ende tragisch – ohne Hoffnung auf jegliche Erlösung. Wie sein Vater benutzt Wagner die so typischen Alliterationen, aber in einer mehr persiflierenden Art. Nichtsdestotrotz glüht die Musik in einer vom Impressionismus und Jugendstil geprägten Leidenschaft wie kaum in anderen Werken Wagners. Da hört man natürlich Anklänge an seinen Vater, aber auch Humperdinck, Bruckner und Strauss mischen da stilistisch mit. Die Ouvertüre als kleine symphonische Dichtung ist schon ein Meisterwerk, während das Werk musikalisch nicht immer stringent ist und hier und da etwas langatmig klingt.
Foto © Joshua Luca Olbrich
Pachls „szenische Visionen einer Oper“ kommen schon fast Trash-artig rüber. Für die heutige Zeit adaptiert, sieht man den Ritter Fridolin zu Beginn mit einer Virutal-Reality-Brille über die Bühne stolzieren. Die virtuelle Realität wird durch über 150 rasend schnell aneinandergereihte Videoclips dargestellt. Vom Stummfilm der frühen Zwanziger bis zum Werbeclip des Bärenmarke-Bären, von der Titanic bis zur Aida-Nova. Am Schluss ein verzehrender Atompilz, zwischendurch immer wieder die Iris eines Auges, als Symbol für die Ausstrahlung der Tochter des Hofnarren Gomella. Diese Videolandschaft ist das Bühnenbild, und von Robert Pflanz kongenial zur Musik und zum Gesang inszeniert. Die Kostüme des Modedesigners Christian Bruns sind bunt und teilweise schrill, besonders Gomella im lilafarbenen Outfit mit Netzstrumpfhose ähnelt einer Persiflage eines gewissen Freddie Mercury. Pachl lässt den Akteuren auf der kleinen Bühne im Reichshof die Freiheit zum improvisierten Chaos, und dennoch kristallisiert sich schnell der Fokus auf diese unheilige Dreierbeziehung Fridolin – Iris – Alexios. Und so wirkt die Aufführung wie ein Crossover von Oper und studentischem Off-Theater.
Es gibt kein Live-Orchester, was den ästhetischen Gesamteindruck erheblich schmälert. Dafür erklingt ein „digitales Orchester“. Das ist nicht einfach eine musikalische Einspielung einer Konserve, zu der die Sänger singen müssen. Das digitale Orchester basiert auf der Notationssoftware Sibelius. Mit dieser Software arbeitet der Dirigent Ulrich Leykam seit Beginn ihrer Entwicklung. Erreicht wird die lebendige Klangwiedergabe durch zusätzliche Software sowie penible und differenzierte Feinarbeit, unter anderem an Agogik, Dynamik und Artikulation der Spielweise jedes Instrumentes, um eine höchstmögliche Klang-Natürlichkeit zu erzielen. Und so ist das digitale Orchester eine interessante und spannende Alternative zur starren Konserve vom Band, aber es kann und soll ein echtes Orchester nicht ersetzen. Dennoch ist der musikalische Gesamteindruck gut, und Leykam leitet sein digitales Orchester und die Musiker mit klarem Gestus durch die aufwändige und schwierige Partitur.
Auch die Sänger hinterlassen durchweg einen guten Eindruck. Allen voran Giorgio Valenta in der Rolle des Ritters Fridolin, der sich mit heldenhaftem Tenor durch die Partie kämpft. Die Entdeckung des Abends aber ist Julia Reznik, die mit der Partie der Iris ein formidables Operndebüt feiert und mit einem schönen lyrischen Sopran zu begeistern weiß. Uli Bützer, Stipendiat des Würzburger Richard-Wagner-Verbandes, überzeugt mit kräftigem Bariton und engagiertem Spiel. Rebecca Broberg als Kaiserin Irene sticht durch ihren farbenreichen Sopran und ihre große Textverständlichkeit hervor. Während Dirk Mestmacher auf der Bühne den androgynen Hofnarr Gomella mit großer Gestik in Szene setzt, singt William Wallace von der Seitenbühne aus synchron mit Belcanto-Tenor. Die über zwanzig Solisten bilden auch in den kleinen Rollen eine homogene Einheit und lassen auf kleiner Bühne große Oper erklingen.
Nach gut 140 Minuten ohne Pause ist Schluss, und die knapp 100 Zuschauer im Reichshof – mehr waren „Corona-bedingt“ nicht zugelassen – spenden großen Applaus und feiern hinterher die Akteure bei einem kleinen Empfang. So kommt doch noch ein Hauch von Festspielstimmung auf. Pachl und dem Engagement der Internationalen Siegfried-Wagner-Gesellschaft ist es zu verdanken, dass die Werke Siegfried Wagners nicht komplett in Vergessenheit geraten, auch wenn es sicher schwer fällt, ihn auch 90 Jahre nach seinem Tod aus dem Schatten des schier übermächtigen Vaters heraustreten zu lassen, denn er war ja nicht nur Komponist, sondern auch ein erfolgreicher Dirigent und Festspielleiter, was in der Gesamtbetrachtung oft zu kurz kommt.
Andreas H. Hölscher