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DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)
Besuch am
25. Juli 2021
(Premiere)
Ohne roten Teppich und Staatsempfang, dafür mit Maske und viel Armfreiheit im halb gefüllten Festspielhaus: Die Eröffnung der 109. Bayreuther Festspiele gestaltet sich anders als gewohnt. Auf und unter Bühne geht es dagegen bei der Neuinszenierung des Fliegenden Holländers erstaunlich normal zu. Das Regie-Team wird mit Ovationen und Buh-Salven bombardiert, das Orchester bläst in voller Besetzung aus allen Rohren und das Solistenensemble empfiehlt sich in qualitativ disparater Vielfalt. Selbst der einzige gravierende musikalische Eingriff, der Umgang mit den Chorszenen, fällt glimpflicher aus als befürchtet. Nur die Hälfte des Stammchores darf ihren Part im Probenraum singen, während die 70 Kollegen auf der Bühne stumme Statistenrollen übernehmen müssen. Der übertragene Klang wirkt natürlich, wenn auch nicht so gewaltig wie in gesunden Zeiten. Und die Koordination zwischen Chor und Orchester wackelt in der Premiere noch wiederholt. Angesichts der ungewohnten Situation verständlich und mit wachsender Gewöhnung reparabel.
Foto © Enrico Nawrath
Dass unter diesen Umständen die Chorschlachten zwischen Norwegern und Holländern im letzten Akt ein wenig harmlos wirken, kommt der Inszenierung des als „Regie-Star“ hoch gehandelten Russen Dmitri Tcherniakov durchaus entgegen, der alles Märchenhafte, alles Dämonische radikal ausradierte und sich auf das riskante Glatteis begab, alles Unerklärliche logisch erklären zu wollen. Dass er damit die geheimnisvoll-rätselhafte Substanz einer hochromantischen Oper verfehlt, führt auch in diesem Fall zu gedanklich hochgestochenen szenischen Konstrukten, die sich weder mit dem Kolorit noch dem ideellen Gehalt des Werks vereinbaren lassen.
Tcherniakov sieht im Holländer nicht den fluchbeladenen, getriebenen Verdammten auf der Suche nach Erlösung durch die Treue einer Frau. Er sieht die Handlung, ähnlich wie Dürrenmatt im Besuch der alten Dame, quasi als Racheakt eines „alten Holländers“. Dazu dichtet Tcherniakov eine fantasievolle, aber wenig überzeugende Vorgeschichte. Der kleine Holländer erlebt, wie seine Mutter durch Sentas Vater in den Selbstmord getrieben wird. Als alter Mann kehrt er unerkannt in sein Dorf zurück, benutzt die rebellische Senta als Werkzeug und überzieht die am Ende in Flammen aufgehende Stadt mit Terror, bevor er von Sentas Mutter erschossen wird. Viel Tcherniakov, wenig Wagner.
Viele Details lassen in der Umsetzung durchaus die handwerkliche Klasse Tcherniakovs erkennen. Allerdings auf der Basis wenig werkdienlicher Konzepte. Die nüchterne Sehweise führt zu viel Stillstand auf der Bühne, sieht man von den munteren Humpen-schwenkenden Norwegern an ihren Biertischen ab. Ein Stillstand, den vor allem zwei Frauen wohltuend beleben.
Foto © Enrico Nawrath
Ohne die geringste Andeutung auf die breitgetretene Sensation, dass sie als erste Frau nach 145 Jahren das Bayreuther Festspielorchester leiten darf, muss man der Dirigentin Oksana Lyniv bescheinigen, dass sie mit den akustisch, besonders beim Holländer heiklen Problemen des Hauses erstaunlich gut, wenn auch noch nicht perfekt zurechtkommt. Sie betont den überschwänglichen Charakter des Frühwerks und zieht die Ouvertüre mit orkanhafter Vehemenz durch. Was freilich immer wieder zu groben, noch nicht rundum ausgewogenen Klangbildern führt. Insgesamt gibt sie dem Werk jedoch den emotionalen Überdruck, den Tcherniakov eliminieren möchte.
Mit dem gleichen leidenschaftlichen Pulsschlag und der mit Abstand besten gesanglichen Leistung des Abends füllt Asmik Grigorian ihre Rolle als Senta aus. Ihre Senta rebelliert gegen die Eltern. Dass sie sich dabei dem Holländer nicht aus Liebe, sondern als Affront gegen die Eltern hingibt, gehört zu den szenischen Ungereimtheiten der Inszenierung. Was aber ihrer stimmlichen Brillanz und Durchschlagskraft keinen Abbruch tut. Sie singt ohne Pause mit Volldampf, was gar nicht nötig wäre, wie sie mit ihrer perfekt gestalteten Ballade zeigt.
John Lundgren als Holländer hat es nicht leicht, sich gegen diesen weiblichen Vulkan durchzusetzen. Einerseits wird er von der Regie recht statisch geführt, andererseits wirken die Folgen seiner Korona-Erkrankung noch mit konditionellen Schwächen nach. Georg Zeppenfeld, eine der qualitativ stabilsten Säulen der Bayreuther Stammgarde, ist zwar nicht der charismatischste Darsteller eines Bösewichts, wie Tcherniakov den Daland versteht. Stimmlich überzeugt er jedoch wie gewohnt ohne den geringsten Makel. Dass Tcherniakov die oft weinerlich-undankbare Rolle des Erik aufwertet, gehört zu den wenigen Höhepunkten seiner Arbeit. Eric Cutler fühlt sich dadurch so beflügelt, dass die Auseinandersetzungen mit Senta zu den packendsten Szenen geraten. Auch die Rolle der Mary, die zugleich Sentas Mutter verkörpert, erhält durch Marina Prudenskaya schärferes Profil als gewohnt.
Insgesamt eine musikalisch hochwertige, aber noch nicht rundum ausgereifte Interpretation, basierend auf einem fantasievoll erdachten, aber blass ausgeführten und von der Partitur nicht getragenen szenischen Konzept.
Pedro Obiera