O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Baus

Aktuelle Aufführungen

Es blitzen die Finessen

DON CARLOS
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
13. Februar 2022
(Premiere)

 

Theater Basel

Dem Theater Basel gelingt mit Giuseppe Verdis Don Carlos in der Inszenierung von Vincent Huguet und mit dem Bühnenbild von Legende Richard Peduzzi ein Wurf. Starke Solisten, ein exzellent geführter Chor und das sehr französische Dirigat von Michele Spotti machen dieses nahezu in der Urversion gezeigte Opus, das 1867 erstmals in Paris zur Aufführung kam, zum herausragenden Opernerlebnis.

Man muss Regisseur Huguet ein Kränzchen winden, dass er nicht wie einige seiner Kollegen der Versuchung erliegt, Verdis fünfaktige Grand Opéra nach Friedrich Schiller deutungsvoll zu ersticken. Huguet erzählt die Geschichte stringent, wie sie im Libretto steht – doch die Präzision, mit der er ans Werk geht, ist hohe Kunst – das gilt auch für die Personenführung. Anstatt das Drama, das sich Mitte des 16. Jahrhunderts in einem Überwachungsstaat mit drohender Inquisition entfacht, mehrdeutig zu interpretieren, konzentriert sich das Regieteam mit Bühnenbildner-Koryphäe Richard Peduzzi auf die sechs Hauptprotagonisten und deren zerrissene Seelenwelten.

Alles beginnt im Wald von Fontainebleau, wo Hörner und Jagdrufe erklingen. Don Carlos trifft sich mit seiner Verlobten Elisabeth de Valois, die wenige Liebesschwüre später zu einer Zwangsheirat mit dem spanischen König Philippe II genötigt wird – dem Vater des jungen Verliebten. Es ist eine Vollmondnacht, der Wald wird raffiniert schablonenartig visualisiert und Irene Selka am Lichtpult zaubert erste magische Momente auf die Bühne in der rund vierstündigen Oper.

Das minimalistische Setting ist der Dreh- und Angelpunkt dieser Lesart: Mal ist es der Umriss einer Alhambra, dann wieder schält sich eine comichaft stilisierte Treppe aus einer Wand. Bühnenhohe, modulierbare Tafeln schaffen mit wenig Aufwand großes Kino und halten die Handlung im Fluss. Goyas Gemälde standen Pate. Manche dieser eindrücklichen Bilder erinnern auch an Fritz Langs Filmklassiker Metropolis. Es ist eine düstere Schattenwelt, in der politische und familiäre Intrigen das Misstrauen am spanischen Hof nähren, es droht das Autodafé oder der Gang ins Kloster.

Bei den Bühnenelementen dominieren warme Rot- und Orangetöne. Die Kostüme von Camille Assaf sind farblich abgestimmt, es ist ein stilsicherer Mix, der die Historie nicht leugnet und den Bogen sehr kreativ über Art déco bis in die Gegenwart spannt: Eine schwarze Lederhose mit passendem Hipster-Pulli ist dem Infanten Carlos zugedacht, bei Philippe ist es ein goldener Brustpanzer, der seine Macht demonstriert und gleichzeitig Zerbrechlichkeit offenlegt. Prinzessin Eboli ist eine Roaring-Twenty-Schönheit in edler Pannesamt-Robe mit blonder Wasserwelle.

Joachim Bäckström zeigt die Entwicklung vom barfüßigen Antihelden Don Carlos zum mutigen Rebellen mit Punk-Attitüde körperbetont. Sein klarer, heller Tenor passt gut zum juvenilen Gestus, das Metall in seiner Stimme hat Strahlkraft. Yolanda Auyanet wirkt als Elisabeth de Valois anfänglich etwas zurückhaltend, kommt aber stimmlich und darstellerisch schnell auf Touren. Die Künstlerin beeindruckt mit einer eleganten Linienführung und filigranen Schattierungen in der Mittellage. Ihre Arie Tu che le vanità im letzten Akt ist ein Bravourstück.

Der Star des Abends ist Mezzosopranistin Kristina Stanek. Sie ist die designierte Puffmutter in dieser Lesart, die den König immer wieder mit neuen Gespielinnen versorgt und auch mal selbst mit dem gläubigen Patriarchen in die Federn steigt. Ihre Rollengestaltung ist eine gelungene Mischung aus glamouröser Jean Harlow und unterkühlter Lisa Eckhart. Stanek stolziert mit kerzengeradem Rücken einer Primaballerina durchs Geschehen und ihre gutturale, mit dunklen Farben durchwobene Stimme betört bis in die hintersten Reihen. Auch Mezzosopranistin Nataliia Kukhar fehlt es als Gräfin von Aremberg nicht an Ausdruckskraft.

Rodrigue, der Marquis von Posa, treuer Blutsbruder an Carlos Seite, findet mit John Chest das passende Bündel an Energie. Fehlt nur noch Thors Hammer. Chests Bariton kommt, nomen est omen, tief aus der Brust und hat Charakter. Der Bernstein in seiner Stimme kontrastiert perfekt mit Joachim Bäckströms gleißenden Höhen, so wird das berühmte Männerduett Dio che nell’alma infondere zum Hochgenuss. Ausnahmslos streng im Spiel und voluminös im Gesang ist Bass-Bariton Nathan Berg als Philippe II. Den Großinquisitor von Bass Vazgen Gazaryan hätte man sich betont bedrohlicher gewünscht. In Bern sang er den Philippe II weit eindrücklicher.

Michele Spotti gelingt am Pult mit dem Sinfonieorchester Theater Basel ein auffallend leichtfüßiges Dirigat, das die Finessen dieser französischen Fassung zur Blüte bringt. Spotti ist die Liebe zum Detail weit wichtiger als effektvoller Krawall, das hindert ihn aber nicht, in den richtigen Momenten für gesteigerte Hochspannung zu sorgen. Punktgenau und prächtig strahlend sind auch die Auftritte von Chor und Extrachor des Theater Basel unter Michael Clark.

Das Premierenpublikum in der bis auf den letzten Platz ausverkauften Vorstellung bringt seine Begeisterung mit zahlreichem Szenenapplaus und am Schluss mit zusätzlichen Bravorufen zum Ausdruck.

Peter Wäch