O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Meisterwerk der frühen Filmmusik

DIE NIBELUNGEN: SIEGFRIED
(Gottfried Huppertz)

Besuch am
4. Juni 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Konzerthalle Bamberg

Was wären große Kinofilme ohne Musik? Man denke nur an den Italo-Western Once upon a Time in the West von Sergio Leone, der ohne die großartige Musik von Ennio Morricone wohl kaum so populär geworden wäre. Es gibt unzählige Beispiele, bei denen die Filmmusik die Handlung nicht nur untermalt, sondern selbst agiert, Emotionen bestimmt und den Zuschauer wie Zuhörer in Bann zieht. Was wären die Star-Wars-Filme ohne John Williams? Was wäre der Herr der Ringe ohne die Musik von Howard Shore? Oder die Filmreihe Piraten der Karibik ohne die kongeniale Musik von Hans Zimmer? Mittlerweile haben es Filmmusiken auch in die klassischen Konzertsäle geschafft. Und wenn John Williams sich mit Anne-Sophie Mutter als Solistin die Ehre gibt, dann sind die Konzerthäuser voll. Ob Cross-Over, ob Klassik, das spielt keine Rolle, das Genre der Filmmusik hat sich etabliert, eine Vielzahl von Orchestern und Dirigenten haben sich auf diese Darbietungen spezialisiert. Die Filmmusik spielt eine gewichtige Rolle, seit es Filme gibt. Einer der prominentesten Vertreter der frühen Filmzeit ist sicher der Komponist Erich Wolfgang Korngold, der mit seiner Oper Die tote Stadt großen Ruhm erntete, das Werk steht bis heute erfolgreich auf den Spielplänen großer Häuser. Doch nur wenige wissen, dass Korngold, nachdem er aufgrund seiner jüdischen Herkunft in die USA emigrieren musste, dort als Komponist für Filmmusik reüssierte und für die Musik zu Robin Hood- König der Vagabunden 1938 einen Oscar erhielt.

Das Zeitalter der Filmmusik begann aber während der Stummfilmzeit, wo die Musik am Piano oder vom Orchester zur Aufführung gespielt wurde. Dass diese Art der Filmaufführung auch heute noch begeistern kann, zeigen die Bamberger Symphoniker im letzten Teil Ihrer Trilogie Die Welt mit Wagner mit einer Liveaufführung der Musik zum Stummfilmklassiker Die Nibelungen: Siegfried von Fritz Lang aus dem Jahre 1924. Die Nibelungen gehört zu den großen Epen der Filmgeschichte. Regisseur Fritz Lang verfilmte sie von 1923 bis 1924, bestehend aus den beiden Teilen Siegfried und Kriemhilds Rache. Das Drehbuch schrieb die damalige Ehefrau des Regisseurs, Thea von Harbou, unter Verwendung von Motiven des mittelhochdeutschen Nibelungenliedes, die Filmmusik stammt von Gottfried Huppertz. Der Stummfilm wurde 1924 im Ufa-Palast am Zoo in Berlin uraufgeführt. Dieses epochale Film- und Musikwerk wurde in Zusammenarbeit zwischen der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Fernsehsendern und der Europäischen Filmphilharmonie für große Orchesteraufführungen 2009 neu bearbeitet. Weltweit fand eine umfassende Recherche aller verfügbaren Filmmaterialien statt, deren Ergebnis eine brillante, original eingetönte Vorführkopie im 35-mm-Format ist. Das Werk wurde 2010 in der Deutschen Oper Berlin neu uraufgeführt, musikalisch begleitet von der Europäischen Filmphilharmonie unter Leitung des Dirigenten und ihres Gründers Frank Strobel, der die Filmmusik gemeinsam mit Marco Jovic eingerichtet und neu instrumentiert hat. Die gesamte Musik wurde in ein, unter filmmusikwissenschaftlichen Gesichtspunkten, neu ediertes Aufführungsmaterial überführt. Das liegt nun synchroneingerichtet auf die restaurierte Bildfassung für eine sinfonische Orchesterbesetzung vor und ermöglicht mit über zweitausend Synchron- und genauesten Tempo- und Metronomangaben eine historisch gerechte Aufführungspraxis des Werkes.

Foto © O-Ton

Die Gesamtlänge des Films und der Musik beträgt etwa 5 Stunden. Der Komponist Gottfried Huppertz, der im Übrigen als Operettensänger seine Karriere begann, hatte zunächst gezögert, den Auftrag anzunehmen, da er befürchtete, „dass seine Musik nie unabhängig von Richard Wagner wahrgenommen würde, während die Aufgabenstellung – wie auch die Erwartung von Fritz Lang – eine ganz andere war: nämlich eine Musik zu schreiben, die primär den Anforderungen des Mediums Film entspricht und die musikalisch das Konzept fortführt, nach dem Thea von Harbou und Fritz Lang den großen Stoff aufbereitet und filmisch umgesetzt haben.“ Lang selbst sagte über seinen Film: „Es handelte sich um das geistige Heiligtum einer Nation. Es musste mir also darauf ankommen, in einer Form, die das Heilig-Geistige nicht banalisierte, mit den Nibelungen einen Film zu schaffen, der dem Volke gehören sollte und nicht, wie die Edda oder das mittelhochdeutsche Heldenlied, einer im Verhältnis ganz geringen Anzahl bevorzugter und kultivierter Gehirne. Damit war die Bedingung gestellt, den Nibelungen-Film mit unerbittlicher Strenge von dem Schema der üblichen Kostümfilme loszulösen und ihn auf eine Basis zu stellen, die jenseits des Ausstattungsfilms und des Sensationsfilms stehend, dennoch etwas vom Prunk des ersten und vom hinreißenden Atem des zweiten hatte.“ Huppertz wurde der Erwartungshaltung Langs gerecht und komponierte eine Musik, die einen eigenen Stil hat, von Wagner inspiriert, aber nicht imitierend.

Der Dirigent und Gründer der Europäischen Filmphilharmonie, Frank Strobel, der die Neuinstrumentierung der Filmmusik und Einspielung 2010 nach einer Vorbereitungszeit von zwei Jahren übernahm, sagt über Huppertz‘ Musik: „Es ist eine Musik, die sich nur entfernt an Richard Wagner anlehnt und die vor allem einen Klangraum schafft, der die Wucht der Geschichte suggestiv vergrößert. Huppertz’ Nibelungen-Musik wirkt wie ein dreidimensionaler Rahmen, in dem der Film sehr präzise in Hinblick auf Tempo und Bewegung abläuft und in dem sich die stark ornamentalisierte Choreografie eindrucksvoll entfalten kann. Mit einem relativ kleinen Vorrat von Themen leuchtet die Musik den Raum aus, sie macht ihn größer und kleiner, produziert Präsenz und Zeitlosigkeit und gibt der Geschichte zugleich etwas Statisches und Fatalistisches. Dabei bedient sich Huppertz zwar der Leitmotivtechnik für Figuren, Handlungen und Symbole, doch er geht mit diesen Motiven anders um als Strauss oder Wagner mit ihrem transzendierenden Fortspinnungsprinzip.“

Foto © O-Ton

In der Bamberger Kongresshalle wird nun Teil 1 der Nibelungen-Saga, Siegfried in der restaurierten Fassung auf einer Großleinwand gezeigt und die Neuedition der Filmmusik von 2010 von den Bamberger Symphonikern unter der Leitung von Christian Schumann gespielt, der mit diesem Dirigat auch sein Debüt bei den Bambergern gibt. Der Inhalt des Films orientiert sich sehr deutlich an dem Epos Nibelungenlied und ist in sieben Gesänge unterteilt. Siegfried hat bei Mime das Waffenschmieden erlernt. Als er erfährt, dass König Gunther und dessen Schwester in Worms sind, will er sich auf den Weg machen. Doch sein Lehrer Mime ist eifersüchtig auf seinen Musterschüler, er weist ihm einen gefährlichen Weg nach Worms, der durch einen Zauberwald führt. Siegfried trifft auf einen Drachen, den er im Kampf tötet. Er badet in dessen Blut und wird unverwundbar – mit Ausnahme einer Stelle an seiner linken Schulter, die von einem Lindenblatt bedeckt war. Nachdem Siegfried den Nibelungenschatz gewonnen hat, zieht er mit reichem Gefolge in Worms ein, um die schöne Kriemhild zu gewinnen. Auch König Gunther will freien: Brunhild, Königin von Isenland, die er jedoch im Zweikampf besiegen muss. Mit dem Tarnhelm geschützt, gelingt es Siegfried, Gunther im Kampfe beizustehen und Brunhild zu besiegen. In Worms soll nun Doppelhochzeit gefeiert werden: König Gunther soll mit Brunhild, Siegfried mit Kriemhild vermählt werden. Als Kriemhild, die von Siegfrieds heimlicher Hilfe im Kampf weiß, vor der Kirche mit Brunhild in Streit gerät, verrät sie das Geheimnis. Brunhild fordert, dass Gunther Siegfried töte. Wenig später wird Siegfried während eines Jagdausfluges von Gunthers Kämpfer Hagen von Tronje, dem Kriemhild leichtgläubig die verletzliche Stelle an der Schulter verriet, getötet. Am Totenbett Siegfrieds schwört Kriemhild unerbittliche Rache, und Brunhild, deren Liebe Siegfried einst zurückwies, nimmt sich zu Füßen des Toten selbst das Leben.

Die Bamberger Symphoniker spielen die Filmmusik mit großer Leidenschaft, und Christian Schumann, ein ausgewiesener Experte für zeitgenössische Musik und Filmmusik, ist absolut präzise mit den Tempi, denn die Musik ist absolut synchron mit dem gezeigten Film. Der Film ist ein Klassiker, fast 100 Jahre alt, und von Stil und Dramaturgie in keinster Weise mit den heutigen Filmen vergleichbar. Aber die besondere Choreografie und Ästhetik des Films, vor allem Mimik und Gestik der Schauspieler, erhalten durch die große, teils wuchtige, teils aber auch zarte Musik Tiefgang und Ausdruck. Große Bögen, Leitmotive und kammermusikalische Episoden wechseln sich ab. Die Musik klingt heldenhaft, ja, teilweise hochdramatisch wie in der Szene, wenn Siegfried den Drachen tötet, und naturalistisch, wenn mit Flöten der Gesang des Waldvogels imitiert wird. An dieser Stelle kommt Huppertz Wagner ganz nahe.

Nach drei Stunden, unterbrochen von einer 20-minütigen Pause nach dem dritten Gesang, ist die Filmvorführung mit Livemusik beendet. Das Publikum im nur mäßig gefüllten Joseph-Keilberth-Saal, darunter auch Dirigent Frank Strobel, der die von den Bambergern gespielte Fassung eingerichtet hat, spendet warmherzigen Applaus, aber Ovationen wie bei den ersten zwei Abenden der Trilogie gibt es diesmal nicht, obwohl Dirigent und Orchester nach dieser Leistung und auch in der Summation der drei Abende es sicher verdient hätten. Vielleicht hatten auch einige unter den Zuschauern sich was anderes vorgestellt, vielleicht sogar Musik von Richard Wagner. Die gibt es an diesem Abend nicht, dafür aber eine wunderbare Filmmusik, die emotional anspricht und ihre Nähe eher zu Korngold hat denn zu Wagner oder Strauss. Gerne hätte man einen vierten Abend gehabt, mit dem zweiten Teil Kriemhilds Rache und der Filmmusik von Gottfried Huppertz. So bleibt es bei einer faszinierenden Trilogie mit dem ersten Abend Die Welt mit Wagner mit innovativer und experimenteller Aufführung, einem wunderbaren Ring ohne Worte mit Lesungen am zweiten Abend und zum Abschluss die Musik von Gottfried Huppertz zum Stummfilm Siegfried von Fritz Lang. Die Bamberger Symphoniker haben mit dieser Konzertreihe gezeigt, wie modern und intensiv Aufführungen sein können. Es bleibt zu hoffen, dass auch in der Zukunft derartige Konzertreihen auf dem Programm stehen. Und wer Lust auf die Filmmusik bekommen hat, es gibt eine Gesamteinspielung beider Teile mit der Frankfurt Radio Symphony unter Frank Strobel, sehr empfehlenswert.

Andreas H. Hölscher