O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Will van Iersel

Aktuelle Aufführungen

Labyrinth der Gefühle

DIE LUSTIGE WITWE
(Franz Lehár)

Besuch am
19. Dezember 2021
(Premiere)

 

Theater Aachen

Wenn sich schon die Um- und Außenwelt widerborstig zeigt, sollte man sich wenigstens im Heim die Lebensfreude nicht vergällen lassen. Wobei bei Gauklern aller Art das Theater besonders warme Heimatgefühle auslösen kann. So hebt Björn Jacobsen in der zum Theaterdirektor aufgewerteten Sprechrolle des Njegus die Stimmung seiner demoralisierten Schauspiel-, Tanz- und Gesangstruppe kräftig, indem er mit ihnen Franz Lehárs Operetten-Hit Die lustige Witwe aus dem Stand aufführt. So beginnt die Neuinszenierung der beliebten Operette am Aachener Theater, wobei bewusst Beziehungen zu Boccaccios Decamerone gezogen werden, in denen sich isolierte junge Leute deftige Geschichten erzählen, während draußen die Pest tobt.

Zum Glück überzieht Regisseur Mario Conradi diese Querverbindungen nicht und entfacht, immer nah am Puls des Stücks, ein turbulentes Szenario für das verwickelte Spiel um Geld und Liebe. Es fehlt in den Tanzeinlagen nicht an Pep und in den großen Arien und Duetten nicht an der nötigen Prise Sentiment. Auf Aktualisierungen verzichtet Conradi. Stattdessen schafft Ausstatter Italo Grassi ein Gartenlabyrinth, das auch noch vertikal auf die Rückwand gespiegelt wird, so dass sich die Orientierungslosigkeit der feinen, aber abgebrannten pontevedronischen Gesellschaft, mit der sie durch die Missverständnisse, Intrigen und Täuschungen der Handlung irrt, in den Bewegungsabläufen nachvollziehen lässt. Und das in straffem Tempo, das lediglich in Romanzen wie dem Ohrwurm Lippen schweigen stilsicher zurückgedreht wird. Wobei man nicht mit romantischen Klischees inklusive azurblauem Sternenhimmel geizt.

Foto © Will van Iersel

Die Ausstattung löst manchen Szenenbeifall aus. Vor allem ein überdimensionaler, aus einer Hecke geschnittener Elefant, auf dem Hanna, die „Lustige Witwe“, das Vilja-Lied singt, scheint zu entzücken. Es ist eine bunte, von einer Irrung in die andere stapfende Gesellschaft, die der Regisseur geschickt führt und den Chor wie auch das Ballett intensiv mit einbezieht.

Dass man sich Corona-bedingt mit einem reduzierten Orchesterapparat begnügt, wirkt sich in diesem Fall erheblich weniger störend aus als in der zurzeit ebenfalls auf dem Spielplan stehenden Carmen. Dem Esprit und der Gefühlsseligkeit der Musik tut das keinen Abbruch, und die Sänger haben es leichter, sich gegen das Orchester durchzusetzen.

Ein Stück, das dem Temperament des neuen Stellvertretenden Generalmusikdirektors Chanmin Chung durchaus entgegenkommt. Für die beiden Protagonisten, die millionenschwere Hanna Glawari und ihren mittellosen Jugendfreund Danilo, setzt man mit Irina Popova und Daniel Szeili auf große Stimmen. Popova verkörpert die Rolle durchaus charmant, kann auch vor allem im Vilja-Lied überzeugen, allerdings lassen sich auch die stimmlichen Härten in der Höhe nicht verbergen. Szeili verfügt über einen druckvollen Tenor, geht aber mit der Intonation recht sorglos um.

Gesanglich ausgeglichener wirkt das zweite Liebespaar mit der Botschafter-Gattin Valencienne und ihrem Liebhaber Camille de Rosillon. Suzanne Jerosme und Soon-Wook Ka verfügen beide über frische, mühelos und leicht geführte Stimmen ohne jede Verschleißerscheinung. Ohne Zweifel die besten vokalen Leistungen des Abends.

Die zahlreichen Nebenrollen sind dank der guten Ensemblepflege des Aachener Theaters durchweg vorzüglich besetzt. Desgleichen überzeugt der Opernchor, der sich nach der Carmen erneut über eine große Rolle freuen darf. Und auch dem Aachener Sinfonierochester hört man die wiedergewonnene Spiellaune an.

Überschwänglicher Jubel für eine flotte, sauber gearbeitete Operetten-Produktion mit hohem Unterhaltungswert.

Pedro Obiera