O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Meyer Originals

Aktuelle Aufführungen

Zwischen Glamour und Slums

BODYREALITIES
(Gerda König)

Besuch am
17. September 2017
(Uraufführung am 15. September 2017)

 

Din a 13 tanzcompany, Tanzfaktur Köln

Din A 13 tanzcompany: Hinter dem rätselhaften Namen verbirgt sich ein Kölner Tanzensemble, das Gerda König 1995 ins Leben gerufen hat und das sich seither ein unverkennbar individuelles Profil erarbeitet hat. Wichtig ist der Choreografin und künstlerischen Leiterin die Zusammenarbeit von behinderten und nicht behinderten Tänzern. Und in ihren letzten Projekten bemühte sie sich mit beachtenswerten Erfolgen um die Entwicklung einer „Soziologie des Körpers“. Gemeint ist eine Lesart des Tanzes, die die Wechselwirkung zwischen Bewegung und sozialem und kulturellem Umfeld beleuchten will.

Was es damit auf sich hat, demonstrierte sie im letzten Jahr mit dem ersten Teil der Tanz- und Videokunstproduktion bodyRealities, für die sie in Sri Lanka vor Ort recherchierte, welchen Einfluss „Orte persönlicher Erlebnisse für das individuelle Körpergedächtnis haben und in welcher Weise sich diese Orte in der Körperbewegung widerspiegeln“.

POINTS OF HONOR

Musik
Tanz
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Das Gleiche unternahm sie in diesem Jahr zusammen mit den Medienautoren Miriam Jakobs und Gerhard Schick in der ghanaischen Hauptstadt Accra, wo sie akribisch die verschiedenen Lebensräume der Menschen im Bild festhielt und für ihre neue Kreation auswertete. In der Kölner Tanzfaktur wurde das 50-minütige Werk uraufgeführt, das sich im Oktober aber noch aus einer anderen Perspektive präsentieren will, wenn das Werk im alten Baptisterium unter dem Kölner Dom gezeigt werden soll.

Entstanden ist eine Art Multimediaschau, in der zwei live agierende Tänzer mit einer ausgeklügelt zusammengestellten, semi-dokumentarischen Video-Performance kommunizieren. Die Bilderflut auf dem Hintergrund der von Alexandra Tivig lediglich mit zwei käfigartigen Gestellen und ein paar Styropor-Steinen besetzten Bühne gibt Einblick in das Leben einer pulsierenden afrikanischen Metropole mit viel modernem Glamour, der scharf mit trostlosem Slum-Elend kontrastiert. Immer wieder wird der Blick auf das Freiheit verkündende Meer gerichtet und auf die verfallenden Gefängnisse aus den bösen Zeiten der Sklaverei und des Kolonialismus.

Die Nachwirkungen gerade der menschenverachtenden Zeiten bestimmen auch das Bewegungsvokabular der Tänzer, das zwischen Einschränkungen und Ausbruchsversuchen pendelt und sich nur selten völlig frei entwickeln kann. Die Ausführung durch zwei ghanaische Tänzer verleiht dem Projekt einen Schuss Authentizität.

Stark gleich der Beginn. Wir sehen Gefängnismauern, vergitterte Fenster und starke Eisenschlösser auf der Projektionswand. Davor windet sich Alfred Quarshie in einem niedrigen Gitterkasten, eingepfercht ohne Freiraum. Lediglich ein Arm presst sich gelegentlich durch die engen Gitterstäbe. Es dauert lange, bis er sich freischälen kann und man sieht, dass er aufgrund einer Kinderlähmung mit den Folgen partieller Lähmungen leben muss. Im Stück nimmt sich die Gehbehinderung wie eine Nachwirkung der jahrhundertelangen Gefangenschaft der Bevölkerung aus. Und tänzerisch wirkt Quarshies ausdrucksvolle Gestik und Körpersprache durch den Kontrast zu seiner Gehbehinderung noch eindringlicher.

Es entspinnt sich ein tänzerischer Dialog mit Mark Nii Lomo Lomotey, der viel von der Lebendigkeit des städtischen Lebens in Accra reflektiert. Teilweise in direkter Korrespondenz, bisweilen in Verdopplung der Video-Bilder, wobei auch die Lebenskraft Afrikas zum Zug kommt.

Ein ungewöhnliches und ungewöhnlich eindrucksvolles Projekt mit einer gelungenen Gratwanderung zwischen tänzerischer Abstraktion und realer Bodenhaftung. Ein Besuch der Wiederholungsaufführungen im Kölner Baptisterium vom 13. bis 15. Oktober lohnt auf jeden Fall.

Pedro Obiera