O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Magali Dougados

Aktuelle Aufführungen

Ende mit Schrecken

FIGARO GETS A DIVORCE
(Elena Langer)

Besuch am
15. September 2017
(Premiere)

 

Grand Théâtre de Genève

Die Idee einer Figaro-Trilogie ist nicht neu. Und sie hat sich fast immer an der dritten Geschichte von Pierre Beaumarchais festgemacht, La Mère Coupable – die schuldige Mutter. Im 20. und 21. Jahrhundert versuchten sich Giselher Kleibe, Darius Milhaud, Inger Wilkström und Thierry Pécou daran. Dann hat sich David Pountney an ein eigenes Werk gemacht, das auf der Beaumarchais-Geschichte, einem Stück von Ödön Horvath und eigenen Ideen beruht. Er beauftragte Elena Langer mit der Komposition.

Am 26. Februar vergangenen Jahres kam Figaro Gets a Divorce in Cardiff zur Uraufführung. Man kann die Geschichte wohl eher fantastisch denn fantasievoll nennen. In einer nicht näher festgelegten Zeit an einem unbekannten Ort flieht Graf Almaviva mit Familie und Anhang aus dem Land. An der Landesgrenze werden sie von einem rätselhaften Major festgesetzt. Der erzählt Angelika und Serafin, dass sie tatsächlich Geschwister seien. Angelika ist einer Liaison des Grafen entsprungen, Serafin entstammt einem One-Night-Stand zwischen der Gräfin und Cherubino. Der Major, der danach trachtet, Angelika zu heiraten, verlangt vom Figaro Schutzgeld, wenn er einen neuen Laden eröffnen will. Derweil ist die Stimmung zwischen Susanna und Figaro auf dem Tiefpunkt, weil Susanna ein Kind will und Figaro sich angesichts der turbulenten Zeiten weigert, sie zu schwängern. Klar, dass Susanna sich das nicht bieten lässt – und wer bietet sich als Helfer an? Cherubino schwängert Susanna. Figaro ist derweil damit beschäftigt, die Familie des Grafen aus den Fängen des Majors zurück zum gräflichen Schloss zu retten. Denn der Major arbeitet als Doppelagent für die revolutionären Kräfte. Er versucht, die Familie im Schloss festzusetzen, um sie ermorden zu lassen. Figaro, Susanna, Angelika und Serafin durchkreuzen seine Pläne und fliehen durch einen Geheimgang, während Graf und Gräfin zurückbleiben.

POINTS OF HONOR

Musik     
Gesang     
Regie     
Bühne     
Publikum     
Chat-Faktor     

Soweit das Libretto. In der Praxis zeigt David Pountney eine Flüchtlingsgeschichte reicher Leute mit Entourage mit vielen Aha-Erlebnissen und vielen offenen Fragen. Aber vermeiden wir nicht seit Monteverdi, tiefergehende Fragen nach der Logik einer Handlung zu stellen? Pountney bringt Bewegung auf die Bühne, ohne in Hektik zu verfallen. Gelassen verfolgt er das Konzept der beiden wandernden Wände weiter, das Ralph Koltaï entwickelt hat. Auch Linus Fellbom bleibt konsequent unaufgeregt bei seiner Lichtregie, die situationsgerecht ohne Überraschungseffekte auskommt. Sue Blane hält diesmal zeitneutrale, eher heutige Kostüme vor. Ihr „Leitmotiv“ ist die schwarzweiß-gestreifte Weste des Figaro, die in allen drei Vorstellungen auftaucht. Genau der Figaro ist es, der Bauchschmerzen bereitet. Er wird von Aufführung zu Aufführung unscheinbarer, verliert seine Leichtigkeit, wird gar in der Scheidung des Figaro zum tragischen Helden. Das ist nicht mehr der Frisör, dessen Schlitzohrigkeit wir bei Rossini lieben. Zwar ist er in der dritten Folge der Reise noch derjenige, der im Hintergrund mehr oder minder die Strippen zieht, aber er verliert zunehmend an Glanz und unterstützt die Handlung nur mehr bedingt. Dass er schließlich auch noch zum Mörder wird, der unbehelligt entkommt, macht ihn auch nicht sympathischer.

Die von Pountney gewünschte Brücke zu den beiden vorangegangenen Abenden lässt sich nicht so leicht finden. Dazu trägt auch die Komposition von Elena Langer bei, die sich doch deutlich von Rossini und Mozart abgrenzt. Das ist gewollt. Auch wenn sie der Orchester-Besetzung von Mozart lediglich Akkordeon und Schlagwerk hinzufügt, soll es – bis auf wenige Ausnahmen – keine Zitate geben. Zwei Stunden mit großem Streichereinsatz, einem Akkordeon, von dem man nichts hört, zahlreichen Dissonanzen und etlichen Jazz-Anklängen später ist der große Wurf ausgeblieben. Wo instrumental immer wieder Spannung aufglänzt, sind die Stimmen von wenig Anspruch und großer Monotonie gekennzeichnet.

Foto © Magali Dougados

Dabei setzen die Mitwirkenden auf der Bühne und im Graben alles daran, aus dem Material einen gewinnbringenden Abend zu gestalten. Der Major wird von Alan Oke mit der nötigen Verschlagenheit gespielt und singt seinen Part sehr ordentlich. David Stout hat, wie es sich für einen Figaro gehört, eine sehr moderne Frisur verpasst bekommen, die nicht jedem gefallen muss, spielt sehr zurückgesetzt und gibt sich vokal viel Mühe. Marie Arnet glänzt als Susanna mit ihrem Aussehen, singt gekonnt, was von ihr verlangt wird, und stellt eine Frau mit Kinderwunsch dar, die sich zwar durchsetzt, aber nur dank der Einsicht Figaros zu ihrem Glück zurückfindet. Bei Elli Diehn, die als Gräfin sehr authentisch wirkt, ist dem Regisseur zur Personenführung nichts eingefallen und so singt sie zwischendurch auch schon mal zu den nicht vorhandenen Rängen, was sie dem Grafen mitzuteilen hat. Als Graf macht Mark Stone bis zuletzt eine gute Figur. Das neu eingeführte „Kinderpaar“ – Naomi Louisa O’Connell in der Hosenrolle des Serafin und Rhian Lois als etwas unglücklich gekleidete Angelika – soll mit erotischen Andeutungen erfreuen, die allerdings so gespielt erscheinen, dass man sich eher freut, wenn es denn in der Handlung weitergeht. Aus dem (Mezzo-)Sopran des Cherubino ist bei Elena Langer der Counter-Tenor The Cherub geworden. Mit Andrew Watts hat Pountney einen Mann gefunden, der die Rolle des zum fetten Lüstling verkommenen Cherubino glaubhaft verkörpern kann. Nachdem am Ende so ziemlich alles dekonstruiert ist, was eine Oper ausmacht, können die jungen Leute fliehen, während dem Grafenpaar nichts als die Musik bleibt.

Die Musik präsentiert die Basel Sinfonietta allerdings in kongenialer Weise. Unter Leitung von Justin Brown wird eine Präzision an den Tag gelegt, die beeindruckt. Was in der Komplexität des Gesangs fehlt, wird hier gleich doppelt verlangt. Brown meistert die Herausforderung souverän, hält dabei Sänger im Blick und balanciert sehr sorgfältig.

Das Publikum weiß das zu würdigen und applaudiert allen Beteiligten begeistert und langanhaltend.

Damit geht ein Vorzeigeprojekt zu Ende. Intendant Richter darf mit dem Erfolg zufrieden sein. Sein Haus ist mit einem Paukenschlag aus der spielfreien Zeit zurückgekehrt und hat gleich mal gezeigt, dass Oper kein Museum ist, sondern auch der Brückenschlag zwischen Repertoire und Neuzeit gelingen kann.

Michael S. Zerban