Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
LA FORZA DEL DESTINO
(Giuseppe Verdi)
Besuch am
9. September 2017
(Premiere)
Die Amsterdamer Oper startet ihre Spielzeit mit schwerer Fracht. Verdis Macht des Schicksals gilt als schwieriges, in ihren Handlungselementen kaum vermittelbares Schauerstück und nicht wenige Produktionen sind am heute so unglaubhaft wirkenden Libretto und Handlungsablauf sowie den höchsten musikalischen Anforderungen des Werkes verunglückt.
Um diese Herausforderung zu meistern, holte sich Intendant Pierre Audi – der mit dem Ende der Spielzeit das Haus verlässt und zum Festival nach Aix-en-Provence wechselt – mit Christof Loy einen der heute erfahrensten und international renommierten Opernregisseure. Loy hat sich in den vergangenen Jahren bei der Werkauswahl schon so manch einer Herausforderung gestellt, so auch in Amsterdam mit einer Neuproduktion der Chowanschtschina in der Saison 2015/16 – mit seinerzeit großem Erfolg.
Musik | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Gesang | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Regie | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
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Loy entwickelt sein Konzept für die Neuinszenierung der Forza del Destino auf zwei wesentlichen Säulen. Da ist zunächst die fiktive Vorgeschichte der Familie di Vargas. Während der Ouvertüre hebt sich der Vorhang zweimal und wir erleben den für die Familie plötzlichen und schockierenden Tod eines Bruders von Leonora und Carlos im Kindesalter. In einer zweiten Szene sehen wir einen nach dem offensichtlichen Tod auch der Mutter einsamen und ohnmächtigen Vater, der all seine Kraft auf die schutzhafte Einkerkerung seiner verbliebenen Kinder fokussiert. In der Folge kann sich der Sohn Carlos nie mehr selbstbestimmt entwickeln, er bleibt Racheinstrument des Vaters und endet als zerrütteter Charakter. In der Folge stirbt er in einem selbst provozierten Racheduell mit dem Liebhaber seiner Schwester, nicht ohne im Sterben noch Leonora in den Tod zu reißen. Die Konstellation ist mit einem Ur-Thema der griechischen Mythologie vergleichbar.
Verdi wurde im eigenen Leben mit dem plötzlichen Tod seiner Frau und zweier Kinder in kurzer Folge konfrontiert und mag daher zu den Handlungskomponenten der Oper, wie sie sich als Folge der geschilderten Vorgeschichte entwickelt haben könnten, eine tiefe Verbundenheit empfunden haben.
Die zweite Säule ist Leonores Hinwendung und vollkommene Hingabe an die Kraft des Glaubens. Sie sucht in Abgeschiedenheit von der Welt und in Erinnerung an ihre Liebe zu Alvaro in der Einsiedelei Erfüllung zu finden. Es handelt sich dabei nicht um die Rituale einer Amtskirche, sondern die Suche nach einem reinen Glaubenskern, wie er für Leonore in der Jungfrau Maria seit ihrer Kindheit lebendig war und geblieben ist.
Begleitet wird Loy von seinem Bühnen- und Kostümbildner Christian Schmidt, der die Handlung im Hause der Vargas und im Kloster in geschlossenen, übergroßen Räumen und den dritten Akt mit den Szenen des Krieges in fahler, schwarz-weiß bebilderter Landschaft spielen lässt. Und im zweiten Bild des dritten Aktes wird dann mit wenigen „arte-povera“-Elementen ein eindrucksvolles Stimmungsbild für die krachenden Tanz- und Choreinlagen, sowie die Rataplan-Arie Preziosillas geschaffen. An bestimmten emotionalen Höhepunkten werden die Handlungselemente durch sinnfällige Videoeinspielungen direkt oberhalb der Aktion der Sänger verstärkt. Das sensible Licht von Olaf Winter rundet den Gesamteindruck perfekt ab.
Es ist faszinierend zu erleben, wie die grundlegenden Motivationsmuster die Handlung mit allen ihren Versatzstücken in einen stringenten, nachvollziehbaren und spannenden Rahmen zusammenführen – und das trotz der ungekürzten, vierstündigen Länge der Mailänder Fassung. Geholfen hat dabei das außerordentlich hohe musikalische und darstellerische Niveau aller Mitwirkenden auf der Bühne sowie im Orchestergraben.
Die Niederländerin Eva-Maria Westbroek hat in Amsterdam ein Heimspiel. Man könnte darüber diskutieren, inwieweit die auch durch viele Wagner-Partien oder Wozzecks Marie geprägte Stimme immer ideal den italienischen Schmelz für die Lyrismen der Leonora verkörpert. Jedenfalls ist die Darstellungskraft und Hingabe der Sängerdarstellerin für die ganz in ihrer Suche nach der richtigen Glaubensorientierung gefangenen Leonora nicht zu überbieten. Franco Vassalo bestätigte seinen Ruf als einer der besten Verdisänger dieser Tage und erschüttert in der Verkörperung des verzweifelten, in allen möglichen Formen der Verlorenheit taumelnden Carlos. Ziel- und orientierungslos folgt er dem Rachefluch des Vaters, keine menschliche Nähe ist erkennbar. Auch sein Ehrbegriff ist einzig dem Rachebefehl unterworfen. In der Rolle des Alvaro verkörpert Roberto Aronica den Gegenpol eines aus düsterer Vergangenheit nach menschlicher Nähe, Verzeihung und Liebe suchenden Liebhabers, der sich lange den Herausforderungen Carlos’ erwehrt. Seine sicher sitzende Tenorstimme glänzt verführerisch in den Begegnungen mit Leonora und strahlt kämpferische Kraft in den Auseinandersetzungen mit Carlos aus.
Die katholische Kirche ist in all ihren Gegensätzen vertreten. Zum einen der durch sattsame Bigotterie gestählte Fra Melitone des Alessandro Corbelli, der neben komischen Elementen sehr klar die Ordnung und Enge der Amtskirche vertritt. Melitone wird von Corbelli mit stimmlichem Effekt, aber ohne den sonst häufig vertretenen Hang zur Knallcharge verkörpert. Ganz anders die Ruhe und nachdenkliche Haltung des grandiosen Basses Vitalij Kowaljow, der ganz ohne kirchliche Insignien alleinige Bezugsperson für Leonora ist und letztendlich auch der einzige, der in Demut ihre Suche nachvollziehen kann und fördern will.
Foto © Monika Rittershaus
Veronica Simeoni bringt insbesondere in der zweiten Szene des dritten Aktes ein krachendes Portrait einer quick-gescheiten, an den Fährnissen des Krieges gestählten Marketenderin auf die Bühne, die mit einer brillanten und höchst geschmeidigen Sopranstimme die Schwierigkeiten der Partie meistert, ohne stimmlich oder darstellerisch ins Komisch-beliebige abzugleiten. Sie ist zugleich lustvolle Partnerin der schwarz-grün gewandeten, etwas abgründigen Männertänzergruppe unter der Choreografie von Otto Pichler, die die schwungvollen und effektvollen Melodien der Party in der Kriegsszenerie artistisch auf den Punkt bringt.
Der Chor der Amsterdamer Oper unter der bewährten Leitung von Ching-Lien Wu bringt sich engagiert ein und weiß zu jeder Zeit die gesanglichen Anforderungen der ganz unterschiedlichen Inhalte zu meistern.
Michele Mariotti, der trotz seiner Jugendlichkeit schon an den größten Häusern weltweit dirigiert und seine Heimat als Chefdirigent am Teatro Comunale in Bologna hat, führt das Nederlands Philharmonisch Orkest mitreißend durch die lange Partitur. Man möchte meinen, das Orchester sei mit Verdi groß geworden, so authentisch klingen die feinen Differenzierungen in allen Orchestergruppen, die unverwechselbare Dynamik der Musik des mittleren Verdi und die bei allem emotionalen Furor fein kontrollierten dramatischen Höhepunkte des Werkes. Das gesamte Orchester spielt mit größter Begeisterung und Hingabe.
Vielleicht hat auch die Amsterdamer Oper mit ihrem Stagione-Prinzip besonders gute Voraussetzungen, solche Anforderungen zu erfüllen: Man holt für eine Neuproduktion international die besten Sängerdarsteller und zeigt eine Inszenierung in der Regel nur in einer Aufführungsserie von etwa acht bis zehn Vorstellungen. Das bietet die Chance, mit einem Ensemble, das dann auch über die gesamte Aufführungsserie auf der Bühne steht, intensiv zu proben, konzentrierter zu arbeiten und kann vor dem Verschleiß im Repertoirebetrieb bewahren.
Den Aufwand der Produktion teilt sich das Haus in diesem Fall mit Covent Garden in London.
Die Amsterdamer Oper hat in den letzten Jahren mit ihrem Intendanten Pierre Audi eine außerordentlich glückliche Hand für die aktuellen künstlerischen Strömungen und Möglichkeiten der Oper sowie deren Umsetzung bewiesen. Die Nachfolgerin, Sophie de Lint, wird ein Haus auf höchstem Niveau übernehmen.
Achim Dombrowski