O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Michael Zerban

Aktuelle Aufführungen

Mit vollem Einsatz

HÄNSEL UND GRETEL
(Engelbert Humperdinck)

Besuch am
30. November 2025
(Probenbesuch)

 

Klassik aber frisch im Haus Lörick, Düsseldorf

Gibt es noch ein Opernhaus oder ein Stadttheater, in dessen Programmheft zur Adventszeit nicht Hänsel und Gretel aufgeführt ist, das „Kinderstubenweihfestspiel“, das Engelbert Humperdinck nach dem Libretto seiner Schwester Adelheid Wette komponierte? Die Häufigkeit der Aufführungen nimmt gefühlt von Jahr zu Jahr zu. Der Zauber der Oper, die am 23. Dezember 1893 in Weimar unter Leitung von Richard Strauss uraufgeführt wurde, die bislang alle noch so abstrus erscheinenden Inszenierungsversuche überstanden hat, ist ungebrochen. Kannibalismus, sexuelle Bezüge, Kindesmissbrauch, schwule Interpretationen: alles altes Zeug, hat es alles schon gegeben, und die Oper hat es überlebt. Der neueste Trend ist eigentlich zu schön, um wahr zu sein. Da halten sich kleine Ensembles abseits subventionierter Theaterinstitutionen nach Möglichkeit an die Werktreue, arbeiten den Zauber des Märchens der Brüder Grimm heraus und überschlagen sich selbst, um ein Lebkuchenhaus, großartige Kostüme und womöglich noch eine fantastische Musik zu erarbeiten. Dabei steht nicht die Perfektion im Vordergrund, sondern die Wirkung. Wenn die sängerische, darstellerische und musikalische Qualität an die der Stadttheater heranreicht, ist das ein durchaus willkommener Nebeneffekt.

Ekaterina Porizko und Tiina Enckelmann – Foto © Michael Zerban

Zuletzt erregte Julia Coulmas überregionale Aufmerksamkeit, als sie im Oktober die Oper in dem Dorf Paulinzella, das offiziell ein Stadtteil von Königsee im Thüringer Wald ist, aufführte und damit mehr Besucher anlockte, als das Dorf Bewohner hat. Coulmas gründete die Düsseldorf Lyric Opera, zog im vergangenen Jahr endgültig nach Paulinzella und gründete dort die Kulturbrauerei als Kulturzentrum für eine Gegend, in der eigentlich gar keine Kultur mehr stattfindet. Das bedeutete aber nicht, dass sie hinter sich alle Brücken abbrach, ganz im Gegenteil. Die Sänger für ihre Aufführung reisten samt und sonders aus Düsseldorf an, um aus der Oper ein Märchenfest zu gestalten.

Jetzt hat Ekaterina Porizko sich vorgenommen, eine Aufführung zu verwirklichen. Die künstlerische Leiterin und Gründerin des gemeinnützigen Unternehmens Klassik aber frisch setzt ebenfalls auf ein Netzwerk, um eine überdurchschnittliche Qualität zu erzielen. Die Proben finden im Theatersaal des Hauses Lörick, eines Altenwohnheims, statt. Zwar ist bei der Klavierprobe auf der Bühne am Sonntagnachmittag noch nicht allzu viel sehen, aber im Hintergrund laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Das Bühnenbild wird von Polonca Olszak und Marina Kuklinskaya erarbeitet. Die Kostüme hat Ekaterina Somicheva entwickelt. Das Georg-Büchner-Gymnasium in Neuss wird nicht nur die Statisterie stellen, sondern auch ein Schülerteam für die Beleuchtung. Der Kinderchor wird von der International School on the Rhine in Neuss kommen, den Chor stellt Klassik aber frisch ebenso wie das Instrumentalensemble.

Stephanie Woodling und Ekaterina Somicheva – Foto © Michael Zerban

Marina Kuklinskaya zeichnet auch für die Regie verantwortlich. Gewissenhaft und energisch kümmert sie sich um die Personenführung. Und hier gibt es eine kleine Überraschung. Denn die Sängerriege ist nahezu identisch mit dem Ensemble, das nach Paulinzella gereist ist. Ekaterina Somicheva übernimmt wieder die Rolle der Gretel und zeigt sich ausgezeichnet eingespielt mit der wunderbaren Stephanie Woodling, die dem Hänsel nicht nur eine ebenso schöne Stimme verleiht, sondern auch sehr burschikos daherkommt. Da freut man sich bei beiden schon auf die Kostüme, die ihr Spiel gewiss noch einmal unterstreichen werden. Kennt man den Vater als bärbeißigen, desillusionierten Besenbinder, so muss man hier auf Séamus MacCullam verzichten und darf sich stattdessen auf den jungen Jason Tran freuen, der sehr viel glaubwürdiger herüberkommt als das übliche Rollenklischee. Claire Lumsden fiel ebenfalls in Paulinzella als überzeugende Mutter auf, ein Eindruck, der sich auch bei der Probe bestätigt. Das Sandmännchen wird Ruth Brooks spielen, und beim Taumännchen muss man sich auf Miriam Stjepic einstellen. Zugegeben, da hätte man sich über Yvonne Prentki gefreut, die in Paulinzella zugegen war. Rosina Leckermaul kommt als der Knusperhexe sowohl stimmlich als auch darstellerisch eine besondere Rolle beim Gelingen der Oper zu. Tiina Enckelmann konnte damit bereits in Thüringen überzeugen, ob es ihr im designten Kostüm von Somicheva gelingt, bleibt noch ein Geheimnis. Das Kostüm jedenfalls ist vielversprechend.

Die Akustik ist im Saal des Altenwohnheims eher auf Theater denn auf Musiktheater ausgerichtet. Da mag man die eingeschränkte Wortverständlichkeit noch nicht beurteilen. Aber als sicher dürfte gelten, dass Perfektionistin Porizko hierauf noch ein besonderes Augenmerk richten wird, zumal das generell ja als Hürde in der Oper gilt, also durchaus kein unbekanntes Phänomen darstellt.

Der Eindruck nach dem Probenbesuch ist eindeutig. Die Vorfreude auf die Aufführungen ist groß. Mindestens so groß wie die Hoffnung, dass auch das Publikum der Einladung des sympathischen Teams möglichst zahlreich folgt. Denn die Sponsorenliste ist marginal. Es kommt also darauf an, dass sich möglichst viele Menschen auf das herrliche Spektakel einlassen, das mit Weihnachten so wenig zu tun hat, dass es fast schon wieder wohltuend ist, aber schlicht mit Märchenhaftigkeit bezaubert.

Die erste Aufführung findet am 6. Dezember um 17 Uhr im Georg-Büchner-Gymnasium in Kaarst statt, die zweite Aufführung am 14. Dezember in der Mönchengladbacher Johanneskirche in der Severingstraße, dann bereits um 16 Uhr.

Michael S. Zerban