O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Michael S. Zerban - Foto © Michaela Büttgen

Kommentar

Großes Wehklagen

Im Bundeshaushalt 2026 taucht die Förderung für das Bündnis internationaler Produktionshäuser nach zehn Jahren nicht mehr auf. Aus Sicht der geförderten Institutionen eine ungerechtfertigte Entscheidung, die die Sichtbarkeit der Freien Szene bundesweit und international aufs Spiel setze. Da scheint es einen eklatanten Widerspruch zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung zu geben. Und wenn die Verantwortlichen weiterhin auf Selbstreflexion verzichten, wird es wohl auch 2027 nichts mit der erhofften Wiederaufnahme der Förderung.

Foto © Dirk Rose

Die Nachricht sickerte langsam ein, inzwischen ist sie Gewissheit: Das Bündnis internationaler Produktionshäuser verliert im kommenden Jahr die Bundesförderung. Auskömmliche vier Millionen Euro zahlte der Bund jährlich im zurückliegenden Jahrzehnt, damit sieben Produktionshäuser „ihre Fähigkeiten und Erfahrungen als zentrale kultur- und gesellschaftspolitische Akteure, die internationale Perspektiven mit Künstlern vor Ort, lokalen Zuschauergruppen und diversen Stadtgesellschaften in einen kontinuierlichen, offenen und vielfältigen Austausch bringen“. So formulieren es die Häuser. Und sie wähnen sich auf einem sehr erfolgreichen Weg. „Als Ankerinstitutionen arbeiten die Bündnishäuser jedes Jahr mit tausenden Künstlern, hunderten zivilgesellschaftlichen Kooperationspartnern und erreichen hunderttausende Theaterbegeisterte deutschland- und weltweit“, lässt Stefan Hilterhaus, künstlerischer Leiter von Pact Zollverein in Essen, ohne Belege verlauten.

Die sieben Produktionshäuser verteilen sich auf das Bundesgebiet: Das sind das Forum Freies Theater und das Tanzhaus NRW in Düsseldorf, HAU Hebbel am Ufer Berlin, Europäisches Zentrum der Künste in Dresden-Hellerau, Kampnagel in Hamburg, Mousonturm in Frankfurt am Main und Pact Zollverein in Essen. Es liegt nahe, dass sich Häuser mit gleichgesinnten Aufgaben zu einem Netzwerk zusammenschließen. Möglich wurde das aber überraschenderweise erst mit der millionenstarken Finanzierung seitens des Bundes. Was ist aus den aufgeblähten Worthülsen in den letzten zehn Jahren geworden? Nach dem, was auf der Netzseite nachzulesen ist, müssten sich internationale und lokale Gruppen in den einzelnen Häusern die Klinke in die Hand geben. Der Blick nach Düsseldorf offenbart anderes.

Seit Jahren mehrt sich die Kritik am Forum Freies Theater. Einige wenige Gruppen, die zum „inneren Kern“ zählen, werden dort aufgeführt. Andere freie Gruppen, die sich um Aufführungsmöglichkeiten im FFT bemühen, berichten von Absagen, weil keine Termine zur Verfügung stünden. Der Blick in das Veranstaltungsprogramm erzählt von Kulturfrühstück im Foyer, Stadtspaziergängen, Kinderveranstaltungen und hin und wieder Auftritten von längst bekannten Gruppen. Neuentdeckungen, egal, ob international oder lokal: Fehlanzeige. Besuche aus anderen Bundesländern finden in der öffentlichen Wahrnehmung nicht oder nur ausnahmsweise statt. Fußläufig entfernt das Tanzhaus NRW. Früher war man hier ein bis zwei Mal die Woche, wenn nicht öfter, um Aufführungen des zeitgenössischen Tanzes zu erleben. Anstatt nun zeitgenössische Tanzensembles aus Berlin, Dresden oder Frankfurt zu sehen, gibt es HipHop oder Urban Dance. „Woke“ Themen inklusive.

Da spielt es auch keine Rolle mehr, dass die Institutionen mit ihrer selbst erfundenen Sprache, in der sie mit Asterisken um sich werfen, das Publikum längst nicht mehr erreichen. Nun erreichen sie nicht einmal mehr die Menschen, die für die Gestaltung des Bundeshaushaltes zuständig sind. Das Mitleid hält sich in Grenzen. Es ist eine Sache, sich als elitärer Teil einer Bewegung zu fühlen, die die Theaterlandschaft der Zukunft gestalten will. Eine andere ist, das Publikum zu vergraulen und sich dann darüber zu beschweren, dass es dafür kein Geld mehr gibt.

Nein, auch ich glaube nicht, dass solche Etatentscheidungen inhaltlich begründet sind. Da werden in einem Zahlenwust ein paar Zahlen gestrichen, und damit hat es sich. Aber für die Häuser ist es möglicherweise ein längst überfälliger Moment der Wahrheit – die bittere Ernte einer Entwicklung, die sie selbst maßgeblich befördert haben.

Die Behauptung „In Zeiten knapper Kassen werden die zukunftsweisenden, internationalen Projekte zuerst fallengelassen“ entbehrt jeder Grundlage. Das Gegenteil ist wahr: Solche Kürzungen treffen zunächst die kleinen Ensembles in Deutschland – jene Künstler, die von den Düsseldorfer Produktionshäusern schon lange sträflich vernachlässigt werden.

Vergessen wir nicht: Die freien Produktionshäuser – allen voran in Düsseldorf – wurden von der lokalen Szene erkämpft, um eben dieser Szene Raum und Infrastruktur zu geben. Nach der Etablierung, der finanziellen Besserstellung und Installation kuratierender Intendanzen wurde die lokale Szene systematisch ausgeschlossen aus den Häusern, die ursprünglich für sie geschaffen worden waren. Stattdessen setzte man auf Internationalität – nicht aus künstlerischer Notwendigkeit, sondern um Erwartungshaltungen der Geldgeber zu bedienen. Die lokale Szene wurde ausgetrocknet, ihre verbleibenden Vertreter mussten sich demütigend an Türstehern der eigenen Häuser vorbeidrücken.

Nun dreht eben diese Politik den Geldhahn zu. Das Jammern ist groß, weil die Herren, deren Brot man aß, nun plötzlich keine Lieder mehr bestellen. Das Gebot der Stunde: Rückbesinnung auf Ursprung und Gründungszweck. Offene Türen für lokale Künstler – das wäre der einzige ehrliche Weg. Wenn der Wegfall der Bundesförderung bewirkte, dass die betroffenen Häuser zu einer Sprache zurückfänden, mit der sie Publikum und regionale Kulturarbeiter erreichen, anstatt sich davon abzugrenzen – das könnte ein Schritt in die Zukunft sein. Wenn die Kürzungen ein Umdenken einleiteten, deutsche Künstler am internationalen Markt zu unterstützen, anstatt für teures Geld ausländische Künstler nach Deutschland zu befördern – das erschiene förderungswürdiger.

Ja, man könnte das als Paradigmenwechsel verstehen. Aber nur als einen, der die Freie Szene stärkt, wenn die Produktionshäuser zu ihren Wurzeln zurückkehren: zu den Künstlern vor der eigenen Haustür, deren Kampf die Häuser überhaupt erst möglich gemacht hat.

Michael S. Zerban

Kommentare geben die persönliche Meinung  des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von O-Ton wieder.