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Aktuelle Aufführungen

Unverputzt

LIEDER AUS FÜNF JAHRHUNDERTEN
(John Dowland, Manuel de Falla et al.)

Besuch am
19. März 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Sancta-Clara-Keller, Köln

Christiane Oelze eine Institution zu nennen, dürfte kaum zu hoch gegriffen sein. Zu fragen bliebe, vor welchen Orchestern sie noch nicht gestanden, mit welchen Dirigenten sie noch nicht zusammengearbeitet hat. Von Meisterklassen, einer Unterrichtstätigkeit an den renommier­testen Instituten ganz zu schweigen. Was hierbei ihr Liedrepertoire angeht, so hat sie in den letzten Jahren auch die kleine Besetzung, ohne obligates Klavier an der Seite, für sich entdeckt. Die Charmeoffensive, die sie zusammen mit dem Düsseldorfer Gitarristen Christian Kiefer kreiert hat, widmet sich, das gibt das Instrument so vor, der englischen, vor allem der spanischen Literatur. Große Kunst, die hierzulande, anders als dies etwa in Spanien, zumal im Süden des Landes, der Fall ist, vornehmlich in kleinen Sälen reüssiert, reüssieren muss. Auch beim Köln-Konzert des Duos ist das nicht anders.

Ausgebreitet haben Oelze und Kiefer ihr Nord-Süd-Programm im Sancta-Clara-Keller, einer romanischen Gewölbearchitektur im Herzen Kölns, eine, die den Reiz des Unverputzten ausstrahlt. Nacktes Ziegelwerk, raue Außenhaut. Ein Outfit, das die Ästhetik, das die künstlerische Haltung des Duos spiegelt. Sich ehrlich geben, nichts her-, nichts vormachen. Wobei in diesem Fall auch die Akustik mitspielt. Nichts, dass das Duo Oelze und Kiefer im mittelalterlichen Gemäuer hätte vermurmeln oder verhallen lassen. Die Mitteilungen, von Anfang bis Ende, fokussiert. Das Publikum goutiert es.

Letzteres auf maximaler Tuchfühlung mit den Ausführenden. Für einen kommunikativen Typus wie ihn Christiane Oelze verkörpert, ist das ideal. Gleichwohl: Immer wieder sucht, versucht sie die Ansprache, wechselt vom Kunsternst in den informellen Ton. Es geht ihr um Nähe. Das spürt man. So sehr Kunst notwendig aus der Ferne redet, reden muss, es soll doch alles direkt sein! Christian Kiefer, ihr Duo-Partner, greift in diesem Punkt, insbesondere, wenn er den spanischen Teil des Abends anzukündigen hat, zum Halteseil nüchterner Information. Eine Innenspannung, aus der das Duo seine Energie bezieht. Und, man ist erfolgreich damit. Schon seit einer ganzen Reihe von Jahren. Wie gut das funktionieren kann, offenbart in Sancta Clara vor allem der zweite, der spanische Teil dieses sonntäglichen Konzerts zur Teestunden-Zeit.

Los geht es mit einem Streifzug, mit einem Besuch auf der sonderbaren, auf dieser, wie wir wissen, so hartnäckig auf ihre Eigenständigkeit bedachten Insel. Im Fokus John Dowland, Henry Purcell, Benjamin Britten. Ist das Duo bei den Folksong-Arrangements angekommen, die Britten für seinen Partner Peter Pears ausgesetzt hat, wird deutlich, dass das mit Lieder aus fünf Jahrhunderten überschriebene Konzert immer dann stark ist, wenn es das Liedhafte, wenn es den sprichwörtlichen „Song“ transzendiert. Was auf den ersten Blick paradox scheinen mag. Doch gerade an einem John Dowland, an dessen unglaublich frisch wirkenden Kompositionen, gelingt es dem Duo, dies vernehm-, hörbar zu machen. Wenn Oelze Dowlands In darkness let me dwell vorträgt, voller Dramatik, Energetik, ihr Innerstes nach außen kehrend, die Hand geballt zur Faust – Oelze liebt das Gestische – in solchen Momenten wird nicht nur klar, was das für eine wunderbare Sängerin ist, sondern eben auch, dass Kunst darin besteht, alle Konvention, jeden Konventionston hinter sich zu lassen.

Christiane Oelze – Foto © Nathalie Bothur

Gespürt haben das auch zwei spanische Künstler, die daraus im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts bemerkenswerte organisatorisch-kompositorische Konsequenzen ziehen: Gabriel Garcia Lorca, Manuel de Falla. Das erste Flamenco-Festival in der spanischen Konzert­geschichte, der Concurso de Cante Jondo in Granada 1922, geht auf eine Initiative Lorcas zurück. Nicht anders als de Falla, der seine Canciones im Jahr 1914 schreibt, geht auch Lorca den Ursprüngen nach, sammelt Texte, sammelt Melodien, um sie dem verflachenden Naturalismus seiner Zeit entgegenzustellen. Das Unverputzte, die raue Außenhaut, sie faszinierten auch ihn.

Oelze und Kiefer gelingt die Transmission. Das Publikum spürt die bestechende Dramaturgie, mit der dieses Recital in Lorcas Canciones espagñoles antiguas, mehr noch in de Fallas Siete canciones populares españolas gipfelt, alle Zweifel aus dem Weg räumend. Ein Moment, in dem das Duo hörbar bei sich selbst angekommen ist. Insbesondere Kiefer verrät, dass es dieses Repertoire ist, das ihm aus dem Herzen spricht. Im Solovortrag rahmt der Gitarrist die Lorca-Canciones mit zwei umwerfenden Flamencos von Paco de Lucia: ein sich fortspinnendes Fantasieren, das jedes konventionelle Kadenzieren meidet und sei es durch herrisches Wegbürsten mit der Schlaghand. Dass de Lucia, der keine Noten lesen konnte, sich seinerseits von Manuel de Falla fasziniert zeigte, versteht man nur zu gut. De Fallas Kompositionen sind Klang gewordene Demokratien, beharren auf absoluter Gleichberech­tigung der Ausführenden. Bloße „Begleitung“, das war einmal. Dazu: Alles bei de Falla ist individuell gestaltet. Und kommt aus spanischem Herzen. Große Kleinkunst in Köln.

Lieder aus fünf Jahrhunderten – der Titel des Konzertabends verdeckt letztlich ein wenig, dass das Duo keineswegs bloß Fingerfood im Angebot hat. Das gibt es zwar auch, in den Zugaben zumal, aber letztlich bleiben das Randerscheinungen. Stattdessen sorgt das Duo Oelze und Kiefer für die Entdeckung, dass man als Hörer nichts vermisst, wenn man auf Komponisten hört, die ihre Liebe der gitarrenbegleiteten Gesangsstimme geschenkt haben. Wofür insbesondere Oelze das ihre, tatkräftig, hinzugegeben hat. Eine klar geführte Stimme, eine makellose sängerische Performance, namentlich in den mittleren Lagen, voller Wärme in den unteren Registern – Unbedingt achten auf Folgeaufführungen!

Georg Beck