O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Uniformis amor

DIE GROßHERZOGIN VON GEROLSTEIN
(Jacques Offenbach)

Besuch am
26. Januar 2023
(Premiere)

 

Gärtnerplatztheater München

Uniformis amor“ – so nennt man eine besonders ausgeprägte Vorliebe für Uniformen und deren Inhalt, auch heute gerne als Uniformfetischismus bezeichnet. Wenn sogar eine Regentin diesen Reizen erliegt, kann es schnell brisant und skurril werden.  Dann wird innerhalb weniger Augenblicke ein einfacher Soldat zum kommandierenden General, Hofschranzen zittern um ihren Einfluss, und Kriege werden ganz nach Lust und Laune angezettelt. Doch wehe, wenn das Objekt der staatenlenkenden Begierde ganz andere Pläne verfolgt, dann kann es genauso schnell wieder in die andere Richtung gehen. Es ist eine knallbunte Satire auf Militarismus, Günstlingswesen, Kleinstaaterei und Provinzialismus, die Operette Die Großherzogin von Gerolstein von Jacques Offenbach, die er auf dem Höhepunkt seiner Karriere 1867 quasi als „Kulturbeitrag“ zur Pariser Weltausstellung präsentierte.

In dem Stück geht es um Korruption, um Protektion, und natürlich um Liebe und Leidenschaft. Das ganze Gärtnerplatztheater ist „Gerolstein“, mit Wachhäuschen vor der Oper und salutierendem Soldaten. Schon vor der Vorstellung wird eine Touristengruppe im Eiltempo durch das Haus geführt. Während der Ouvertüre erscheint wie in einem Kinofilm: „Gerolstein Production presents“ eine kleine Einführung in den fiktiven Operettenstaat, der als wunderschön museal und völlig unbedeutend beschrieben wird. Die Population sinkt derweil von 248 auf 247, während im Hintergrund eine Totenglocke läutet. Also, alles ruhig und unbedeutend, ja, wäre da nicht die Großherzogin, die an diesem Tage ihren 36. Geburtstag feiert, und das nun schon zum sechsten Mal. Sie liebt Männer in schmucken Uniformen. Ihr Land ist für Kriege viel zu unbedeutend, vor allem gibt es keinen Feind. Doch beim Anblick strammer Soldaten bläst die Großherzogin nur zu gern zur Attacke, und das im doppelten Wortsinn. Sie bedient sich Ihrer Position und sucht sich die Soldaten aus, die sie gerne hätte. Den, den sie ausgesucht hat, bringt sie in eine höhere Position.

Der einfache Soldat Fritz hat es ihr besonders angetan, und so macht sie den Grenadier erst zum Rittmeister, später sogar zum adligen General – doch da er den Avancen der Großherzogin widersteht und nur Augen für seine Wanda hat, rutscht er nach einem Komplott die großherzogliche Karriereleiter schnell wieder herunter, natürlich unter tatkräftiger Mithilfe der intriganten Hofschranzen Baron Puck, Erusine von Nepumukka und dem trotteligen General Bumm, der seine Vormachtstellung an Fritz verloren hatte. Und so ist dieses Werk eine bitterböse Persiflage, die Militarismus, Vetternwirtschaft und Opportunismus genüsslich auf die Schippe nimmt und seit der Uraufführung 1867 zur Zeit der Pariser Weltausstellung Erfolge feiert.

Der Intendant des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Josef E. Köpplinger, hatte dieses Werk vor knapp drei Jahren mit großem Erfolg an der Semperoper Dresden inszeniert, ein umjubeltes Debüt an einem Haus, wo die Operette eine eher untergeordnete Rolle spielt. Für Köpplinger ist es völlig irrelevant, ob das Oper, Opéra comique oder Operette oder Singspiel heißt. Hauptsache, die Handlung und Musik passen zueinander und erzählen eine spannende Geschichte. Für ihn kann „hehre Kunst kann auch sehr komisch sein; mit einem gewissen, selbstironischem Augenzwinkern jene Geschichten erzählen, die ganz simpel sind.“ Und so erzählt Köpplinger die simple Geschichte im Bühnenbild von Johannes Leiacker, der die Bühne als eine museale Galerie alter Meister mit Schlachtenbildern und Einschusslöchern von Kanonen darstellt. Das Regiment des General Bumm besteht aus genau dreizehn tanzwütigen Soldaten, die alles andere als Schlachten im Kopf haben. Eine Intrigensitzung der Hofschranzen soll verhindern, dass die Großherzogin, die übrigens nie beim Namen genannt wird und statt „Hoheit“ oder „Durchlaucht“ mit dem zweifelhaften Titel „Ihre Geschlechtlichkeit“ angeredet wird, auf den Gedanken kommen könnte, sich einen der Soldaten als Günstling zu nehmen, denn dann wären die Positionen der Hofschranzen weggefallen. Schnell wird der Krieg erklärt, und mangels Feinde wird kurzerhand die Touristengruppe, die auch während der Vorstellung im Eiltempo über die Bühne geführt wird, gefangen genommen. Überhaupt hat Köpplinger das Werk vollkommen umgestellt, einen komplett neuen Text eingebaut, der nicht nur die zahlreichen Dialoge betrifft, sondern auch den Großteil der Liedtexte. So wird Prinz Paul, der sich aufgrund der Staatsräson mit der Großherzogin verheiraten soll, als schwuler Adliger im rosaroten Frack überzeichnet dargestellt, und sein Lied beschreibt den investigativen Journalismus, dem er zum Opfer fällt. Und eine Anspielung auf die Diskussionen um den Klimawandel kann sich Köpplinger auch nicht ersparen. Dabei hat er einige Passagen im Text neu formuliert, um sie der Tagesaktualität anzupassen. Eine aberwitzige, skurrile Geschichte mit modernen, durchaus witzigen Dialogen, manchmal sehr überzeichnet. Grotesk wirken auch die farbenfrohen Kostüme von Alfred Mayerhofer.

Insbesondere die Großherzogin in ihrer leuchtroten Fantasieuniform, die in einem Bilderrahmen von der Decke herunterschwebt, ist ein Hingucker. Und hier kommt der entscheidende Unterschied zur ursprünglichen Fassung in Dresden. Die Großherzogin wird bewusst nicht von einem Sopran, sondern von einem Tenor dargestellt. Mit diesem Schritt wagt Köpplinger die Gratwanderung zwischen Operettenpersiflage und Travestieshow. Jetzt ist nicht nur Prinz Paul in seinem rosafarbenen Anzug bekennend schwul, auch der „Großherzog“ von Gerolstein in Frauengewändern bevorzugt die strammen Soldaten, von denen einer in einem Tutu-Rock über die Bühne tanzen darf. Überhaupt, diese Inszenierung ist ein Bekenntnis zu queeren Lebensansichten, die es auch schon zu Offenbachs Zeiten und früher gegeben hat, wie zwei Beiträge im Programmheft es eindrucksvoll schildern. Im krassen Gegensatz dazu die  von Offenbach geniale Persiflage des General Bumm, der seinem Namen alle Ehre macht und als dummer Einfaltstölpel agiert, der nur rumbrüllen kann. Köpplinger setzt auch bei dieser Figur noch einen drauf und parodiert die Persiflage in einer so genialen Art, dass man bei jedem Auftritt Bumms an sich halten muss, um nicht laut loszuprusten. Wenn er mit „Piff Paff Puff Tataratatumm, ich bin der General Bumm“ loslegt, seinen Federbusch schüttelt und seinen Degen in die Höhe reckt, da bleibt kein Auge mehr trocken.

Der Degen des Vaters des „Großherzogs“ ist das Symbol der Macht und Stärke, schwebt ebenfalls in einem Bilderrahmen herunter, von Spinnweben umschlossen. Also mehr ein museales Relikt als ein Phallussymbol. Musikalisch dominiert das hymnusartige „Degen-Lied“ schon die Ouvertüre, das sich nachher als Leitmotiv durch die gesamte Operette zieht. Im zweiten Akt ist die Szene von Fritz in einem Schaumbad, aus dem plötzlich der „Großherzog“ im erotischen Badeanzug und Netzstrümpfen auftaucht, der Hingucker, während Köpplinger mit Anklängen aus der Barcarole aus Offenbachs Hoffmanns Erzählungen und Tschaikowskis Schwanensee als Männerballett Verwirrung auf der Bühne stiftet. Zwar hat Fritz den imaginären Feind besiegt, doch die Gefangennahme von Touristen führt zu einer Staatskrise, die nur durch ein „Meuchelmordkomplott“ der drei Knallchargen Bumm, Puck und Paul gelöst werden kann, im Hintergrund dazu tanzt ein „Geisterballett“ à la The Walking Dead. Der dritte Akt nimmt dann wieder eine völlige Kehrtwendung. Die Großherzogin bläst das Mordkomplott ab, will sich mit Prinz Paul verheiraten, um freie Bahn für den Baron Grog zu haben, der aber wegen Frau und Kindern auch schnell wieder aus ihrer Gunst verschwindet.

Höhepunkt ist die gestörte Hochzeitsnacht von Fritz und Wanda, ein singendes Männerballett sorgt für Jubel im Publikum, und „Gerolstein wird Fritzefrei“ intoniert General Bumm. Das Männerballett als geniale Persiflage des Militärs und der gestörten Hochzeit, mit einer insgesamt herausragenden Choreografie von Adam Cooper. Am Ende bleibt alles beim Alten. General Bumm erhält Degen und Federbusch zurück, der „Großherzog“ muss sich nach anderen Soldaten für seine Gelüste umsehen, und der degradierte Fritz nimmt seinen Abschied vom Militär und will Fremdenführer werden, in Gerolstein sicher ein sehr ruhiger Job.

Josef E. Köpplinger ist mit seiner knapp zweieinhalb Stunden dauernden Inszenierung eine doppelte Persiflage gelungen. Einerseits persifliert das Werk an sich ja schon den Militarismus, den Adel und die Kleinstaaterei der damaligen Zeit, andererseits wird durch diese schrille Inszenierung auch diese Opéra-bouffe selbst persifliert, vor allem durch die neuen Texte und den Bezug zur Aktualität, was aber bei einer „Offenbachiade“ auch so sein darf. Manchmal überzogen, zu schrill, zu skurril, zu bunt, aber mit Witz und selbstironischem Augenzwinkern. Und in einer Zeit, in der in Europa wieder Krieg herrscht, ein ganz besonderes Statement.

Der Tenor Juan Carlos Falcón ist seit 2016 festes Ensemblemitglied am Staatstheater am Gärtnerplatz. Hier singt er Rollen wie den Dr. Blind in der Fledermaus oder die Knusperhexe in Hänsel und Gretel. Nun aber ist er von Köpplinger für eine Rolle besetzt, die für einen Sopran geschrieben wurde und natürlich für ihn als Tenor transponiert werden musste. Und das ist das Dilemma an dieser Aufführung. Optisch und vor allem schauspielerisch glänzt Falcón als Großherzogin oder eben als „Großherzog“. Doch stimmlich, vor allem beim Degenlied, kommt er da an seine Grenzen, und im dritten Akt wirkt die Stimme schon sehr angestrengt. Köpplingers Intention, diese Frauenrolle durch einen Sänger zu besetzen, ist klar und in der Inszenierung stringent umgesetzt, dafür Chapeau! Aber sängerisch ist die Darstellung grenzwertig, und die Aufführung verliert dadurch. Sehr schade. Es ist schwierig, diese Rolle adäquat zu besetzen. Bei der Premiere an der Semperoper hat die große Wagner-Sängerin Anne Schwanewilms die Großherzogin gegeben, auch dieses Debüt gelang seinerzeit nicht, die Schwanewilms fremdelte mit der Rolle. Aber vielleicht gelingt es Falcón, in den nächsten Vorstellungen noch an der sängerischen Darbietung zu feilen, dann ist dieser Auftritt definitiv ein Knaller!

Der junge Matteo Ivan Rašić überzeugt dagegen mit schönem Buffo-Tenor und witzigem Spiel als Fritz, für die Rolle eine Idealbesetzung. Julia Sturzlbaum beeindruckt an diesem Abend als Wanda mit einem sehr lyrischen und wohlklingenden Sopran. Daniel Prohaska gibt den Prinzen Paul, den er schon bei der Premiere in Dresden gesungen hat, mit tuntenhaftem Spiel und markantem Tenor und setzt im Vergleich zu Dresden noch einen drauf. Alexander Grassauer begeistert als nur vordergründig trotteliger General Bumm mit markantem Bassbariton und herrlich persifliertem Spiel. Der Bariton Gunnar Frietsch als Baron Puck gefällt durch sein schleimig-intrigantes Spiel mit ausdrucksstarker Stimme. Alexander Franzen als cooler Trash-Baron Grog mit markantem Bariton, während Sigrid Hauser wie schon in Dresden als schrille Hofdame Erusine von Nepumukka mit überzogenem Spiel und scharfer Artikulation zu begeistern weiß.

Michael Balke leitet das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz mit viel Gefühl für die typischen Rhythmen Offenbachs mit den schnellen Wechseln von Militärmarsch, Couplet, Arie und Chorgesang und sorgt für Spritzigkeit und farbenfrohen Klang im Orchestergraben. Der Chor des Staatstheaters ist von Dovilė Šiupėnytė bestens präpariert. Die Balletttänzer in der Choreografie von Adam Cooper haben sich an diesem Abend für ihre Tanzeinlagen ein Extralob verdient. Auch die Komparsen haben sich als eilfertige Touristen unter der Führung von Ulrike Dostal prima geschlagen, und Ralf Reitmeier zeigt mit seiner stimmungsvollen Lichtregie, dass er sein Handwerk versteht.

Am Schluss gibt es im ausverkauften Haus großen Jubel für Ballett und Chor, die Solisten und auch das Regieteam werden gefeiert. Als Zugabe gibt es vom Orchester ein musikalisches Medley aus der Großherzogin quasi als Rausschmeißer-Musik, die das Publikum rhythmisch beklatscht. Es ist eine insgesamt witzig-skurrile Inszenierung, die da am Gärtnerplatztheater über die Bühne geht, noch schriller und schräger als in Dresden, aber für eine moderne Interpretation allemal tauglich. Und am Ende der Gratwanderung zwischen Persiflage und Travestie bleibt das selbstironische Augenzwinkern.

Andreas H. Hölscher