O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Affenliebe

FALSTAFF
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
22. Januar 2023
(Premiere)

 

Staatstheater Nürnberg

Wer an Verdis letzte Oper Falstaff denkt, hat vor seinem geistigen Auge ein klares Bild vor sich. Ein alter, stark übergewichtiger Mann, dem Alkohol und den Frauen zugetan, der in Verkennung der Realität sich immer noch als unwiderstehlich empfindet. Das ist Sir John Falstaff. Und so wird er meistens auch auf der Bühne dargestellt, als Karikatur des alternden Lebemanns, als peinlicher Vertreter einer gehobenen Klasse, die meint, sich alles nehmen zu können. Diese Thematik ist durch die Skandale um Harvey Weinstein, Bill Cosby und Prinz Andrew aktueller denn je. Nun hat Regisseur David Hermann Verdis Alterswerk für das Staatstheater Nürnberg als Koproduktion mit der Opéra Orchestre national Montpellier neu inszeniert. Bei dem Namen Hermann fällt einem sofort die umstrittene Lohengrin-Inszenierung ein, die der Regisseur im Mai 2019 als „Clash der Religionen“ zur Entrüstung des Publikums auf die Bühne gebracht hat. Entsprechend vorgewarnt darf man sich auf das Abenteuer Falstaff einlassen, zumal das Staatstheater die Premiere mit drastischen Worten angekündigt hat: „Falstaff ist die toxische Männlichkeit in Person: fett, verkommen und versoffen, aber von der eigenen Unwiderstehlichkeit zutiefst überzeugt. Die lustigen Weiber von Windsor müssen sich nicht nur seiner Nachstellungen erwehren, sondern auch noch den Langweiler Ford ausschalten, der seine Tochter Nannetta mit der Spaßbremse Dr. Cajus verheiraten will. Die Intrigen führen zum gewünschten Ergebnis: Alles auf der Welt ist Beschiss, aber nicht weiter schlimm, solange am Ende die Richtigen heiraten und einer wie Falstaff Stimmung in die Bude bringt. Denn ein Leben unter Leuten wie Ford wäre nicht zu ertragen.“ Damit ist klar, dieser Falstaff wird keine simple Komödie. Das am Ende des Tages eine durchaus geistreiche und pointierte Inszenierung begeistern kann, ist nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Doch wie so oft ist das dann nicht das Werk des Regisseurs, sondern der hervorragend spielenden Sängerdarsteller.

Das Bühnenbild von Jo Schramm kommt auf den ersten Blick billig daher. Ein Plattenbau aus Pressspan, ohne Farbe. Unten ein Kiosk namens „Kebapking“ mit einer Krone, die Ähnlichkeit mit einer bekannten Burger-Kette ist natürlich gewollt. Sattelitenschüsseln auf den Balkonen, von denen auch schon mal ein Müllbeutel runter geschmissen wird. Falstaff sitzt auf einem Plastikstuhl, seine beiden Diener sind eher dem Drogen- und Kleinkriminellen-Milieu zuzuordnen. „Sozialer Brennpunkt“ nennt man so eine Gegend, und Falstaff ist so etwas wie der Pate dieser Straße. Aber er ist eben nicht die übliche Karikatur, sondern durchaus ansehnlich, keine Fettmassen, vielleicht ein kleiner Wohlstandsbauch, ansonsten immer noch voller Testosteron. Und in seiner Selbstverliebtheit hat er den Damen Alice Ford und Meg Page einen gleichlautenden Liebesbrief geschrieben, um sie beide zu verführen. Doch die beiden Damen, zusammen mit der intriganten Mrs. Quickly, drehen den Spieß kurzerhand um und führen Falstaff an der Nase rum. Das Anwesen der Fords ist die Hinterseite des Plattenbaus. Ein Haus im Bauhaus-Stil, offener Galerie mit großer Bibliothek, alles Fake, denn die Bücher sind alle weiß und nicht lesbar. Der Porsche im Hintergrund ist nur ein Modell, auch der Pool hat kein Wasser. Mehr Schein als Sein. Dann entwickelt sich die Geschichte mit dem Eifersuchtsdrama um Alices Ford Gatten, und der verzwickten Liebesgeschichte der Tochter Nannetta, die Dr. Cajus heiraten soll, ein Spießerpendant zu Ford, die aber Fenton liebt, der sich bei den Fords als Poolboy verdingt.

Und so könnte die Geschichte vor sich hinplätschern, doch dann gibt Regisseur Hermann dem Affen Zucker, und das kann man fast wörtlich nehmen. Durch eine geschickte Video-Collage und Animation von Jo Schramm wird aus der Pressspanfassade plötzlich ein mit Graffiti verschmierter, bunt greller Sozialbau, an dem ein überdimensionaler, animierter Affe seine Mätzchen macht. Dadurch wird der Gegensatz zwischen sozialem Elend und blasiertem Neureichtum noch krasser. Der Affe klettert zu Beginn des dritten Aktes mal eben das Bühnenportal hoch, vorbei an den Proszeniumslogen, sehr zur Erheiterung des Publikums. Stehen die ersten beiden Akte mehr für das Aufeinandertreffen unterschiedlicher sozialer Schichten, was die eigentliche Kennzeichnung Falstaffs in den Hintergrund treten lässt, aber stringent durchgehalten wird, verfällt Hermann im dritten Akt in die bekannten Muster, die wir schon aus seinem Lohengrin kennen. Der als Eiche verkleidete Falstaff erscheint in einem zotteligen Yeti-Kostüm, der Herrenchor zunächst als zwanzigfache Verdoppelung von Ford in einem hellblauen Anzug, um dann mit den Damen zusammen am Schluss in neonbunten Hippiemänteln auf der Bühne zu erscheinen. Die Kostüme stammen von Carla Caminati. Schade, nach den interessanten ersten zwei Akten wirkt diese Lösung eher albern und macht die eh schon konfuse Geschichte noch undurchsichtiger. Und natürlich muss Hermann am Schluss noch einen draufsetzen, Mrs. Meg Page erschießt sich, ohne Sinn und Verstand, komplett am Werk vorbeiinszeniert.

Dass dieser Abend nicht floppt, ist wie schon erwähnt den starken Sängern zu verdanken. Claudio Otelli gibt mit schon schmeichelndem Bassbariton und ausdrucksstarkem Spiel einen sehr interessanten John Falstaff. Emily Newton, die in der schon erwähnten Lohengrin-Premiere die Elsa sang, überzeugt auch an diesem Abend mit strahlendem, jugendlich-dramatischem Sopran und gefühlvollem Spiel. Die junge Chloë Morgan, seit dieser Spielzeit festes Ensemblemitglied in Nürnberg, wird in der Partie der Nannetta mit keckem Spiel und glockenklarem Sopran zum Star des Abends und erhält am Schluss zu Recht jubelnden Beifall. Almerija Delic weiß mit tiefem, ausdrucksstarkem Mezzosopran und erotischem Spiel zu begeistern. Corinna Scheuerle als Meg Page gewinnt mit ihrem warmtimbrierten Mezzosopran und forschem Auftreten. Samuel Hasselhorn gibt den spießigen, eifersuchtskranken Ford mit kräftigem Bariton und überdrehtem Spiel. Sergei Nikolaev als Fenton kann mit klarem Tenor und männlichem Habitus schnell das Herz der Nannetta gewinnen und den Charaktertenor Hans Kittelmann in der Rolle des Dr. Cajus austricksen. Martin Platz als Bardolfo und Nicolai Karnolsky als Pistola, die beiden Bediensteten Falstaffs, fügen sich nahtlos in das hervorragende Ensemble ein.

Der Chor ist von Tarmo Vaask für die kurzen Szenen bestens eingestimmt. Die Staatsphilharmonie Nürnberg unter Björn Huestege spielt einen flotten, schmissigen Verdi, ohne Pathos und Sentimentalität. Manchmal ist es ein bisschen zu laut im Orchestergraben, da müssen die Sänger schon ordentlich gegenhalten, das ist aber ein Grundproblem der Akustik des Nürnberger Opernhauses. Das Publikum ist am Schluss nach zweidreiviertel Stunden Aufführungszeit durchaus begeistert, es gibt lautstarken Jubel für die Sänger und den Dirigenten, ein einzelner Buhruf für Claudio Otelli ist völlig deplatziert. Das Regieteam wird diesmal mit freundlichem Applaus empfangen, keine Buhstürme wie beim Lohengrin, dafür gibt es auch keinen Anlass. Wenn man sich auf diese Inszenierung einlässt, dann kann man viel Spaß haben, und mit diesem Ensemble wirkt das Alterswerk Verdis jung und kraftvoll.

Andreas H. Hölscher