O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Carole Parodi

Aktuelle Aufführungen

Irgendwie machen es alle so

COSÌ FAN TUTTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
30. April 2017
(Premiere)

 

Grand Théâtre de Genève,
Opéra des Nations

Così fan tutte gehört zum Standardprogramm eines jeden Stadttheaters wie Aida, Tosca oder die Zauberflöte. Da nimmt es Wunder, dass das Grand Théâtre Genève sich dieser Oper annimmt. Vielleicht, weil es so gut in die Ausweichspielstätte L’Opéra des Nations passt. Ist dann eben auch mal dran. Aber in Genf findet nichts einfach so statt – zumindest so lange es um die Oper geht. Da gibt es immer noch das Besondere, das Einzigartige. Und so ist es auch an diesem Abend.

Neben exzellenten Sängerdarstellern gönnt man sich den Dirigenten Hartmut Haenchen, der für eine solche Aufführung sicher überqualifiziert ist. Da entsteht eher der Eindruck, dass Haenchen sich ein persönliches Vergnügen gönnt. Und so dirigiert er auch. Unglaublich engagiert führt er die Musiker und vor allem die Sänger. Das Orchestre de la Suisse Romande folgt ihm auf nahezu jede Bewegung und erzielt so einen Klang, der nah bei Mozart und ganz eng am Geschehen ist. Dazu tragen auch Cellist Jakob Clasen und Cembalist Xavier Dami in besonderer Weise bei, wie sich später zeigen wird. Das hochkonzentrierte Orchester folgt der Idee des Dirigenten, die Musik lebensecht und sängerfreundlich zu präsentieren. Hier wird nicht forciert, sondern sensibel gedient.

POINTS OF HONOR

Musik  
Gesang  
Regie  
Bühne  
Publikum  
Chat-Faktor    

Das kommt der Idee von Regisseur David Bösch entgegen, die Oper so natürlich wie möglich erscheinen zu lassen. Zumindest im ersten Akt soll nicht der artifizielle Gesang im Vordergrund stehen, sondern die Handlung. Dazu hat Falko Herold eine Drehbühne gebaut, die auf der einen Seite eine typisch italienische Bar zeigt, auf der Rückseite über ein geräumiges Schlafzimmer verfügt. Don Alfonso ist zum Gastwirt mutiert, was nicht nur Spaß macht, sondern auch genauso gut funktioniert wie Despina als Kellnerin. Neben diesen stilisierenden Kostümen verwendet Bettina Walter viel Fantasie auf die Farbgestaltung insbesondere der Kleider der beiden Schwestern. Da darf es richtig bunt werden. Mit wenigen Accessoires verdeutlicht sie den mehrfachen Rollentausch. Den zu erklären, gehört mit zu den schwierigsten Aufgaben, die ein Regisseur zu lösen hat, wenn das Publikum nicht durch Rätselraten vom Spaß abgehalten werden soll. Bösch schafft größtmögliche Klarheit und lässt dabei den Spaß nicht zu kurz kommen. Im zweiten Akt geht ihm dabei ein wenig die Puste aus, und es wird viel „an der Rampe” gesungen. Immerhin fällt ihm aber noch ein, Dorabella und Guglielmo nach der Tenor-Arie Ah, lo veggio, quell’anima bella noch ein bisschen schwofen zu lassen – zu den Cembalo-Klängen von Elvis Presleys Love me tender. Mit Beginn der Hochzeitsfeier hat der Regisseur die Situation dann auch wieder im Griff und bringt das Stück schwungvoll zu Ende. Zur Feier selbst fällt dann auch Licht-Designer Michael Bauer noch ein besonders hübscher Effekt ein, ehe der große Coup zum Schlussbild kommt. Ansonsten begnügt er sich mit angenehm situationsgerechter Ausleuchtung und rückt die Sänger hier und da mit gekonntem Verfolger-Einsatz ins rechte Licht.

Foto © Carole Parodi

Viel mehr Lumen könnte auch leicht zur Quälerei für die Sänger geraten, die darstellerisch erheblich gefordert werden. Denn auch wenn Intendant Tobias Richter Tenor Steve Davislim vorsichtshalber als pollenbedingt indisponiert ankündigt, bringen alle Akteure vorbildlichen Einsatz. Allen voran Bariton Laurent Naouri, der mit großer Souveränität und Stimme die Rolle des Gastwirtes Don Alfonso ausfüllt. Auch Davislim zeigt sich als Ferrando darstellerisch wie stimmlich voll auf der Höhe, brilliert mit seiner Arie, die zu allem Überfluss ja auch noch recht spät ansteht – also nach zahlreichen kräftezehrenden Einsätzen. Wie viel Kraft ihn der Abend kostet, sieht man am Schweiß seines Angesichts nach vollbrachtem Werk. Einen ganz wunderbaren Guglielmo präsentiert Vittorio Prato, der vor allem im zweiten Akt seinen prachtvollen Bariton zur Gänze entfaltet. Despina ist hier mit Mezzosopranistin Monica Bacelli nicht mit einem „Mäuschen“ besetzt, sondern mit einer gestandenen Frau mit Lebenserfahrung – und das bekommt der Rolle ausgesprochen gut, zumal Bacelli auch durchaus über komödiantisches Geschick und, wie die anderen auch, über viel Spielfreude verfügt. Ähnlich verhält es sich mit Veronika Dzhioeva, in deren Sopran sich ein dramatischer Einschlag bemerkbar macht, was Fiordiligi ganz hervorragend aufwertet. Alexandra Kadurina erfrischt als Dorabella mit heiter-verspielter Art, gibt sich auch schon mal träumerisch oder lüstern. Schauspielerisch wird sie nicht weiter gefordert, so will es scheinen, stimmlich geht ihr unterwegs kurz die Puste aus. Aber wen interessiert das bei einem solch vorzüglichen Ensemble, das sich gegenseitig fabelhaft zuspielt? Niemanden.

Auch der Chor unter Leitung von Alan Woodbridge arbeitet im Wortsinn kräftig am Erfolg des Abends mit. Geht es in der Wirtshausszene noch recht beliebig zu, wird die Hochzeitsszene innerhalb kürzester Zeit vorbereitet, während die Stimmen präzise und durchschlagend bleiben.

Nach drei Stunden, in denen das Publikum der Handlung hochkonzentriert folgt und gerne und oft Einzelleistungen applaudiert, bricht ein Sturm der Begeisterung los, na, jedenfalls für schweizerische Verhältnisse. Zehn Minuten lang werden Leitungsteam, Ensemble, Chor und Orchester intensiv – inklusive Klatschmarsch – gefeiert.

Das Grand Théâtre Genève hat sich einmal mehr in der Ersatzspielstätte Opéra des Nations bewährt. In dieser Spielzeit steht noch Norma als Übernahme aus Stuttgart an. In der kommenden Saison warten zahlreiche, hochinteressante Produktionen, ehe es dann in das sanierte Gebäude an der Place Neuve zurückgeht.

Michael S. Zerban