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Aktuelle Aufführungen

Eine berührende Zweierbeziehung und ein öder Weltuntergang

HERZOG BLAUBARTS BURG/DE TEMPORUM FINE COMOEDIA
(Béla Bartók, Carl Orff)

Besuch am
31. Juli 2022
(Premiere)

 

Salzburger Festspiele, Felsenreitschule

Von Anfang an herrscht absolute Dunkelheit. Sie wird nur durch das erbärmliche Schreien eines Säuglings unterbrochen. Es bricht abrupt ab und ist offenbar gestorben, denn eine Frauenstimme weint ihm schluchzend nach. So beginnt Béla Bartóks Oper Herzog Blaubarts Burg bei den Salzburger Festspielen. Später wird das tote Kind immer wieder herumgetragen. Man kann davon ausgehen, dass es das gemeinsame Kind von Blaubart und Judith ist.

Die riesige Bühne der Felsenreitschule ist fast völlig leer, die Arkaden sind alle abgedeckt. Es gibt kein Schloss und keine Türen, hinter denen Judith die Folterkammer, die Waffenkammer, den See der Tränen oder glitzernde Edelsteine sehen und finden sollte. Romeo Castellucci verweigert in seiner Ausstattung und Inszenierung jeglichen Realismus. Die Bühne bleibt meist dunkel, sie steht knöcheltief unter Wasser, in dem die beiden Protagonisten herumwaten. Sie wird immer wieder von abwechselnd brennenden Symbolen, wie Stäben, Kreuzen, einem schwebenden Reifen oder dem Wort „Ich“ erhellt. Der italienische Regisseur, der in den letzten Jahren hier in Salzburg Strauss‘ Salome und letztes Jahr Mozarts Don Giovanni inszeniert hat, konzentriert sich auf das Wesentliche, nämlich ganz auf die leidvolle Zweierbeziehung des Paares, das durch das Wasser des Unbewussten watet. Da wird teils fast kämpferisch getanzt und gestritten, denn es herrscht ein großer emotionaler Krieg. Aggression und Begehren werden eindringlich choreografiert.

Aušrinė Stundytė singt die Rolle der Judith einfach großartig mit unzähligen Fassetten und Gefühlen, mit starker traumatisch-psychologischer Intensität. Sie schließt damit an ihre beeindruckenden Elektra-Auftritte hier in Salzburg an und agiert verzweifelt mit dem toten Baby im Arm bis zur Selbstentäußerung. Mika Kares ist ein zuerst sehr unnahbarer Blaubart, den er würdevoll wohltönend, aber auch durchdringend kernig singt, und der erst zum Finale zu resignieren scheint. Bartóks farbige, schwelgerische, spätromantische Musik, die ungemein berührt und verzaubert wird vom hoch ambitionierten Gustav-Mahler-Jugendorchester unter Teodor Currentzis mit unglaublichen Nuancen vom kaum mehr hörbaren Pianissimo bis zu gewaltigen Ausbrüchen musiziert, dass es eine Freude ist. Gegen den Dirigenten wurde wegen seiner nicht unumstrittenen politischen Haltung zum Ukraine-Krieg und Putin vor Beginn der Premiere vor den Festspielhäusern von einer kleinen Gruppe demonstriert.

Der Gegensatz könnte nicht größer sein, denn der zuerst gezeigte, kammerspielartige Operneinakter wird bei den Festspielen mit Carl Orffs letztem Oratorium, dem massenerweckenden De temporum fine comoedia – das Spiel vom Ende der Zeit – zusammengespannt. Bei diesem 1973 durch Herbert von Karajan hier in Salzburg uraufgeführten, letzten großen Opus von Orff geht es um die Schmerzen des Jüngsten Gerichts und der Bitte um Vergebung. Aber der Weltuntergang zieht sich, es gibt keine Handlung, es gibt keine individuellen Figuren. Alle Lösungen von Konflikt und Leid sind Gott anvertraut. Orff gelang es auch mit diesem Stück nicht, den Erfolg seines Überwerks Carmina Burana zu übertreffen. Denn im Riesenschatten dieses Schlagers führen seine anderen Werke, auch die Comoedia ein trauriges Dasein. Sie wird selten aufgeführt. Doch in ihrer überraschend radikalen, kompromisslos herben Klangsprache ist sie zumindest einer Anhörung wert. Starr, schroff und hart hämmert sie in doch recht simplen, manisch repetierten Rhythmen düstere religiöse Formeln ein. Apokalypse, Verzweiflung und Weltuntergang: „Wo irren wir hin, verloren, verlassen … Alle Wege führen ins Nichts.“ Da sind die blutrünstigen Sybillen, die das Ende herbeirufen, das sind die Anachoreten, die an einem Baumstamm Riten simulieren. Da sind die gesichtslosen Kreaturen, in weiße Ganzkörpergewänder gehüllt, die das Ende erflehen. Die Steinigung einer Frau, die Opferung von Kindern durch Erwürgen, aus dem Boden kriechende Larven, die Errichtung von Totempfählen: Solche Ideen sind Castellucci ebenso eingefallen wie endlose Tableaus des Chores. Die Endzeit-Show bleibt öde-pathetisch. Letztlich taucht Luzifer auf und bekennt, gesündigt zu haben. Der Regisseur lässt Judith und Blaubart nochmal auftreten. Die beiden fallen auf die Knie und bitten zusammen mit Luzifer demütig Gott um Verzeihung. Man kommt aber nicht auf den Punkt. So wirkt die Weltuntergangsstimmung langweilig.

Der MusicAeterna-Chor und der Bachchor Salzburg skandieren und schreien hauptsächlich in einem rhythmischen Sprechgesang. Hier gelingt Orchester und Dirigent, den monotonen, beinahe maschinell wirkenden Sprechgesang hart und kompromisslos erklingen zu lassen. Currentzis peitscht dazu die Schlagwerker und Bläser des Gustav-Mahler-Jugendorchesters zu dunklen Rhythmus-Orgien an. Erst zum Finale erklingt aus dem Off ein verhalten lichtes, kaum mehr hörbares Gambenquartett, das Zuversicht vermitteln soll.

Großer Jubel.

Helmut Christian Mayer