O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Lorraine Wauters

Aktuelle Aufführungen

Im Geiste Stefano Mazzonis de Pralafera

LA FORZA DEL DESTINO
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
16. September 2021
(Premiere)

 

Opéra Royal de Wallonie Liège

Die Saison der Lütticher Oper startet zwar unter der Leitung des neuen Intendanten Stefano Pace. Der Geist seines plötzlich verstorbenen Vorgängers Stefano Mazzonis di Pralafera ist jedoch bei der Premiere von Verdis Oper La Forza del Destino – Die Macht des Schicksals – allgegenwärtig. Nach dem Don Carlo in der fünfaktigen französischen Urfassung, der letzten, kurz vor dem Lockdown zur Aufführung gebrachten Verdi-Produktion Mazzonis, konnte er noch das Konzept für die Macht des Schicksals ausarbeiten, die Aus- und Aufführung jedoch nicht mehr erleben. Doch Regisseur Gianni Santucci hat jetzt respektvoll die Ideen Mazzonis übernommen.

Auch das Bemühen des Verdi-Bewunderers Mazzonis um Sängerbesetzungen, die internationalen Maßstäben standhalten können, findet in der begeistert aufgenommenen Neuproduktion seinen Niederschlag. Musikalisch ist ein fast vierstündiges Feuerwerk zu erleben, das sich angesichts der stilistisch extrem buntscheckigen Anlage dieses dramaturgisch verworrenen und nicht unproblematischen Werks besonders effektvoll auswirkt.

Foto © Lorraine Wauters

Maestro Renato Palumbo schlägt im Orchestergraben kräftige Töne an, die sich nach der Pause verfeinern und den Sängern auch Luft für sensiblere Kantilenen lassen. Mit Marcelo Alvarez als Don Alvaro und Maria José Siri als Donna Leonora stehen Persönlichkeiten auf der Bühne, die stimmlich die nötige Kondition für das Mammutwerk aufbringen, aber auch die zarten Passagen zu ihrem Recht kommen lassen. Grandios der Bariton Simone Piazzolla als Don Carlo, Michele Pertusi als Padre Guardiano mit seinem balsamischen Bass und Enrico Marabelli mit einer lebendigen Charakterskizze des cholerisch-komischen Klosterbruders Fra Melitone. Große Bühnenpräsenz verströmt auch Nino Surguladze als kriegstreibende Preziosilla. Was den vokalen Standard angeht, hat sich in Lüttich nichts geändert.

Am szenischen Konzept auch nicht. Die komplizierte, recht unglaubwürdige Handlung wird pittoresk nacherzählt. Eng dem Libretto verhaftet, in historischen Kostümen von Fernand Ruiz und Dekors von Gary Mc Cann, was angesichts der wirren politischen Hintergründe im Umfeld der Spanischen und Österreichischen Erbfolgekriege des 19. Jahrhunderts und den zwischen Spanien und Italien wechselnden Schauplätzen zu einem historischen Ragout an Kostümierungen führt.

Die vielen Genre-Szenen zwischen Klostermauern, Wirtshäusern und Kriegsschauplätzen werden minutiös ausgeführt. Der latente Rassismus, dem sich der Mestize Don Alvaro von der Familie seiner angebeteten Leonora ausgesetzt sieht, wird allerdings nicht hinterfragt. Man sieht zwar die Spuren des Kriegs in den noblen Kulissen des spanischen Adels: Die von Verdi ironisch überdrehte Kriegsbegeisterung Preziosillas erfährt aber keine Brechung. Auch szenisch hat sich – noch – nichts geändert.

Man darf gespannt sein, wie sich der neue Intendant Stefano Pace die Zukunft der Lütticher Oper vorstellt.

Pedro Obiera