O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Brillante Holzarbeiten

NORDISCHE NACHT
(Diverse Komponisten)

Besuch am
6. Augst 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Stadt Neuss, Globe-Theater

Früher gab es diese schönen Bilder von Freibädern und Eis essenden Passanten in Fußgängerzonen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wenn der Sommer Einzug in Nordrhein-Westfalen hielt. Mit solchen Dingen hält man sich in einer Zeit eskalierender Berichterstattung nicht mehr auf. Man denkt neuerdings lieber in Wellen. Und so ist ganz schnell von einer Hitzewelle die Rede. Und wirklich: Der Himmel ist blankgeputzt, die Sonne erhellt das Gemüt und erwärmt die Stadt auf 33 °C. Wer allerdings beim alljährlichen Shakespeare-Festival auf der Galopprennbahn in Neuss schon einmal einen echten Sommertag im Globe-Theater erlebt hat, empfindet bei diesen Außentemperaturen schon Respekt. Da kann man bei einer Aufführung schon mal ordentlich Wasser verlieren.

In diesem Jahr gab es kein Shakespeare-Festival. Stattdessen läuft derzeit der Kulturgarten, ein Festival, das nicht nur im Globe-Theater stattfindet, sondern für das eigens eine Freiluft-Bühne neben dem Rundbau errichtet wurde. Die eignet sich beim besten Willen für das heutige Programm nicht. Aber die Konzertbesucher – ausschließlich im vorgerückten Alter – stört das nicht im Geringsten. Von 96 Plätzen sind 82 verkauft. Die Menschen wollen Kultur. Und wenn die Deutsche Kammerakademie Neuss ruft, kommen die Alten – egal, zu welcher Risikogruppe sie gerade gehören. Dabei hat die Kammerakademie das gleiche Problem wie andere Veranstalter. Zu entscheiden ist ein Programm nicht nach künstlerischen, sondern zuvörderst nach hygienischen Aspekten. Und da verlassen sich viele Anbieter gerade auf „Best-of“-Programme. Die schönsten Arien, die größten Musical-Schlager, die beliebtesten Konzertstücke … Das braucht wenig Personal, und man kriegt schnell ein einstündiges Programm hin. Wenn das allerdings die Kultur ist, die übrigbleibt, sieht es auf Dauer düster aus in Deutschland. Haben sich auch Martin Jakubeit, Orchestermanager bei der Deutschen Kammerakademie Neuss, und sein Team gedacht. Stattdessen rufen sie eine Nordische Nacht aus. Zugegeben, für eine einstündige Aufführung, die am späten Nachmittag beginnt, klingt das ein bisschen gewagt. Aber immerhin hat es das Programm in sich. Und wenn danach das Publikum davon träumt, dass das noch eine ganze Nacht lang weitergehen könnte, passt es ja wieder. Na, ja …

Ema Grčman – Foto © O-Ton

Bloß nichts Triviales auf der Bühne, hat Jakubeit gedacht. Dann schon lieber ein Programm, das man wirklich nicht alle Tage im Konzert erlebt. Trotzdem dürfen nur wenige Leute auf die Bühne. Da könnten also Quartette passen. Und schon gibt es die nächste Schwierigkeit. Die Reisefreude hat auch bei den Künstlern arg nachgelassen in Zeiten, in denen man im Flugzeug Seit an Seit sitzt. Der DKN gelingt es, vier Musiker zusammenzubekommen. Erst im letzten Moment sagt der Erste Geiger aus privaten, höchst nachvollziehbaren Gründen ab und empfiehlt einen Kollegen. Was sich als ausgesprochener Glücksfall erweist. Oliver Pastor reist am Dienstagnachmittag aus Wien an, und sofort beginnen die Proben. Hätte man doch irgendein Standard-Programm gewählt! Einmal mehr zahlt sich aus, dass die DKN auf junge, hochtalentierte Musiker setzt, die sich gerade bei außergewöhnlichen Programmen besonders motiviert fühlen.

Torben Jans hat als Stipendiat bereits mehrfach sein herausragendes Können unter Beweis gestellt. Heute unterstützt er als Zweiter Geiger Pastor, ehe er zum nächsten Semester sein Studium in Mannheim fortsetzen wird. Für die Bratschistin Maria-Luiza Antonescu hat die Kammerakademie das Stipendium wegen des Shutdown noch einmal verlängert. Sie hat ihr Konzertexamen in der Tasche und beweist jetzt in Neuss ihre außerordentlichen Fähigkeiten. Gleichen Genuss ihrer Fähigkeiten bietet Ema Grčman, die als Cellistin seit zwei Jahren ihr Stipendium bei der Kammerakademie wahrnimmt. Sie wird ab dem kommenden Semester ihr Master-Studium in Norwegen aufnehmen. Dass alle Musiker dieses Abends mehrfach preisgekrönt sind, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Ob allerdings ein Modell in Zukunft Erfolg hat, das schier unglaubliche Reiseaktivitäten voraussetzt, darüber wird man auch in der Kammerakademie, dem Orchester der Stadt Neuss, nachdenken müssen. Vorerst aber steht der künstlerische Genuss im Vordergrund. Und davon gibt es an diesem Abend reichlich.

Die ersten beiden Sätze aus Edvard Griegs Streichquartett g-Moll opus 27 bieten schon mal reichlich Anlass zur Freude. Am 29. Oktober 1878 in der Neusser Nachbarstadt Köln uraufgeführt, ist es Griegs einziges vollendetes und erhaltenes Streichquartett. Dass es aus dem 19. Jahrhundert stammt, wissen die Musiker auf der Bühne des Globe geschickt zu verbergen. Hier klingt das Ganze frisch, lebendig und wie eben entstanden. Nicht zu Unrecht wurde Grieg vorgeworfen, seiner Zeit weit voraus zu sein. Einmal mehr stellt sich die Frage, warum es auch der DKN nicht gelingt, mit solchen Werken Leute ins Konzert zu locken, die noch nicht das 50. Lebensjahr vollendet haben. Ebenso virtuos wie diesen Einstand präsentiert das Quartett den dritten Satz aus Carl Nielsens Streichquartett Nr. 4 F-Dur opus 44. Da bleibt an der einen oder anderen Stelle nur noch ein „Wow!“ im Raum stehen. Vielleicht noch einfallsreicher als diese Programmauswahl zeigt sich der zweite Teil des Abends.

Nahtlos geht es über zu Holzarbeiten. Wood Works – Nordic Tunes, also Holzarbeiten – Nordische Klänge ist so eine Art American Songbook für skandinavische Volkslieder. Das Danish String Quartet hat diese Lieder für Streichquartett arrangiert und ist damit zu Weltruhm gelangt. Geschickt haben die „Neusser“ fünf dieser Lieder ausgewählt und sorgen damit für viel Wohlgefallen und, ohne übertreiben zu wollen, für so etwas wie Stimmung im Rundbau. Auch den Musikern ist der Spaß an dieser Auswahl anzumerken, die gleichwohl durchaus anspruchsvoll zu spielen ist. Und die bewältigt das Quartett mit Handtuch bravourös. Tatsächlich hat das Organisationsteam im Globe eine geschickte Hand in der Lüftungstechnik bewiesen, so dass selbst Pastor unter den Scheinwerfern nur selten zu seinem lilafarbenen Handtuch greifen muss. Das ist ebenso lobenswert wie die Organisation insgesamt, die sich geradezu rührend um das Publikum kümmert. Sommer in Neuss am und im Globe, so der Slogan des Festivals, macht Spaß auf hohem Niveau.

Michael S. Zerban