O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Meyer Originals

Aktuelle Aufführungen

Solo für das Alter

BEST OF 65
(Silke Z.)

Besuch am
24. Mai 2019
(Uraufführung)

 

Ehrenfeldstudios, Köln

Idyllisch geht es zu im Hof der Ehrenfeldstudios in der Wissmannstraße in Köln. Vor der Eingangstür ist ein provisorischer Kassentisch aufgebaut, an dem eine junge Frau sitzt. Ein älterer Herr in Trainingshose und T-Shirt tritt aus dem Studio und setzt sich neben sie. Sie wechseln ein paar Worte. Angus Balbernie wirkt erschöpft, aber entspannt. 65 Jahre ist er im April geworden, ein Alter, in dem Tänzer längst ihren Beruf verlassen haben, sich bestenfalls als Choreograf auf den Ruhestand vorbereiten. In weniger als einer Stunde beginnt die Uraufführung seines Solos Best of 65, das Silke Z. resistdance mit ihm entworfen und choreografiert hat. Rund 85 Stücke hat der Künstler selbst verwirklicht. Er hat als Tänzer, Choreograf und Lehrer weltweit gearbeitet. Unter anderem war Balbernie rund zehn Jahre im niederländischen Arnhem als Dozent tätig.

Silke Z. wechselte nach ihrem Sportstudium in Köln an das European Dance Development Center, um dort ihr Tanzstudium zu vertiefen. Für ihre Abschlusschoreografie stellte sich der Dozent Balbernie zur Verfügung. Es wurde der Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit. Inzwischen ist Z.‘s Compagnie Resistdance 20 Jahre alt geworden. Es gibt also doppelten Grund zum Feiern. Die Herausforderung liegt darin, dass Alter für Tänzer eigentlich ein Tabu-Thema ist. Immerhin scheint das Interesse des Publikums am Solo eines 65 Jahre alten Tänzers groß zu sein. An diesem Abend bleibt kein Platz auf der Tribüne frei.

POINTS OF HONOR

Musik



Tanz



Choreografie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Vor der Tribüne breitet sich der leere Saal aus. In der rechten Hälfte hängt eine Leinwand herunter, die später Fläche für Projektionen und Kommunikation, aber auch Rückzugsort für den Tänzer bietet. Vorfreude liegt in der Luft, während das Licht erlischt. Vor dem Fenster an der Rückseite der linken Saalhälfte fährt Wolfgang Pütz, der das Lichtdesign verantwortet, einen Lichtbogen hoch. Davor steht Balbernie, jetzt barfuß im Straßenanzug mit weißem Hemd mit dem Rücken zum Publikum. Die stampfenden Rhythmen von Fuck Buttons dröhnen über die Lautsprecher. Angus boxt sich durch das Leben. Und er gibt schon hier ein Statement ab. Die lebenslang eingeübte Leichtigkeit der Bewegungsabläufe verliert sich auch im Alter nicht. Gewiss, der Atem wird kürzer, die Bewegungen fallen nicht mehr so leicht wie früher, auch der Körper hat die Entbehrungen der vergangenen Jahre verkürzt und damit von seiner Form eingebüßt. Dennoch hat die Grundspannung den Körper nicht verlassen. André Zimmermann untermalt auch späterhin spannende Einfälle mit seinem längst preisgekrönten Sounddesign.

Z. hat den Abend szenisch abseits jeder Chronologie aufgebaut. So bleibt ihr Raum für Humor, Fantasie, Poesie und kluge Bemerkungen. Die Projektionsfläche wird zum Kommunikationsangebot. Hier darf Balbernie seine Gedanken äußern, über die zunehmenden körperlichen Beschwerden klagen, die ihm das tänzerische Leben eingetragen hat, über seine philosophische Weiterentwicklung berichten, in der der Tanz zunehmend in der geistigen Auseinandersetzung stattfindet, und Antworten verweigern wie zum Beispiel auf die Frage, wie lange er noch tanzen will. Wen interessiert denn das? Raimund Hoghe, der dieser Tage seinen 70. Geburtstag begeht, begeistert das Publikum mindestens ebenso wie Balbernie.

Nein, wir werden in Zukunft nicht nur noch alte Leute auf der Bühne erleben. Aber wir werden sie auch erleben. Balbernie und Z. zeigen, wie es geht. Mit Fantasie, genialen Einfällen und dem Rückgriff auf die körperlichen Ressourcen, die über die alterstypische Verlangsamung hinausgehen. Benjamin von Aleman hat dazu ein Video geschaffen, dass den jungen Kerl in Erinnerung ruft, der an einem Seil durch eine Baumlandschaft schwingt. Ob die Erinnerung notwendig ist, in den Genen gespeichert wird oder schlicht sentimental ist, bleibt offen. Poetisch wirken diese Begegnungen zwischen Tänzer und Projektion allemal.

Dass der Tänzer auch das Wort ergreift, sorgt für zusätzlichen Spaß, nachdenkliche Momente, nie aber Wehmut oder traurige Abrechnung. Darin zeigt der Abend seine wahrhafte Größe. Nein, hier geht es nicht um Abschied. Das beweist das Video nach dem ersten Applaus zum Schluss der knapp einstündigen Aufführung. Die Botschaft ist einfach: Balbernie wird in einer Interpretation zu dem Song Staying alive gezeigt.

Es gibt viel Lob an diesem Abend, Gratulationen für den Geburtstag, das 20-jährige Bestehen der Compagnie und eine großartige Aufführung eines Menschen, der nicht daran glaubt, dass der Jugendwahn eines Tänzers mit dem 40. Lebensjahr aufhört. Im besten Sinne.

Michael S. Zerban