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KOMMENTAR


FLEGELHAFT

von Franz R. Stuke


 
 

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Alfred Kerr soll einmal zu spät ins Theater gekommen sein. Der Logenschließer ließ ihn ein und legte dabei einen Finger auf den Mund, was den Theaterpapst zur Replik veranlasst haben soll "Sind denn schon alle eingeschlafen?!"

Diese Anekdote gibt Anlass zu Fragen nach der Professionalität von Schließern und Besuchern: Welcher Teufel hat den Schließer geritten, die Logentür bei laufender Aufführung zu öffnen? Offenbar der Promi-Bonus Kerrs!
Und welche flegelhafte Anwandlung überkam den Ästheten, das unseriöse Angebot überhaupt anzunehmen? offenbar die Arroganz der Prominenz. Haben beide - Schließer und Besucher - eigentlich daran gedacht, was nach Öffnung der Tür geschieht - Licht fällt in den dunklen Raum, 500 Zuschauer werden aus der Illusion gerissen; der Plumpsack sucht im Dunklen seinen Platz, blind wie ein Maulwurf stolpert er auf seinen Sitz. Doch hoffen wir, dass im Foyer die Lampen dämmerten und Kerrs Platz direkt an der Tür lag.
Und schließlich: Was war mit dem Respekt vor den Akteuren auf der Bühne? Türenklappen, plötzlicher Lichteinfall, Unterbrechung der entstandenen Spannung zwischen Bühne und Auditorium - nie davon gehört, der Profi-Schließer und der Profi-Kritiker? Offenbar alles vergessen, was Theater ausmacht: die Konzentration von Darstellern und Zuschauern auf das bedeutungsvolle Bühnengeschehen.

Wie immer die Kritik Kerrs an dem von ihm "mitgestalteten" Theaterabend ausfiel: konkretes Verhalten und theoretische Anspruch klafften enorm auseinander.

Und das geschieht auch heute noch!

Da sitzt man in der "Mittelloge" eines nordostdeutschen Staatstheaters, wird nach der ersten Pause auf seine gültige Eintrittskarte gefilzt (da fragt man sich schon, in welchem Etablissement man sich befindet, wenn als Begründung herhalten muss: "Sie glauben gar nicht, wer sich hier einschleicht") und erlebt dann im enorm intensiven dramatischen Moment (Otello ist vom denunziatorischen Gift Jagos getroffen) wie sich im Rücken die Tür öffnet, eine Gestalt vorbeirauscht und sich direkt im Blick auf die Bühne plaziert. Klar: Situation gestört, Spannung weg, man möchte raus - geht aber nicht, weil: Aufstehen, Stuhl rücken, Tür öffnen und schließen - die Steigerung der flegelhaften Störung. Akt drei geht zu Ende, Pause. Der angesprochene Störer reagiert naiv "Die Schließerin hat mich reingelassen". Die Schließerin "Ja, kennen Sie den Herrn nicht?" Es ist ein Ex-Sänger des Hauses.

Was soll man dazu sagen? Die Kerr-Situation wird zur Möchtegern-Realität.

Kein Respekt vor Sängern und Zuschauern, kein Verständnis für die unwiederholbare Situation des Gefangenseins durch Faszination, aber - die Ignoranz bestätigend - kein entschuldigendes Wort. Die "Stimmung" ist hin, die Illusion zerstört, Bonsai-Profis verjagen einen Opern-Enthusiasten.

Dies ist ein Hilferuf: Rettet das "Theater der Einsamkeit" (Robert Ciulli), lasst es nicht zu, dass die Erlebnisse des "Gesamtkunstwerks" zum beliebigen Verbrauch verkommen!



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